Erfahrung: Ein himmlisches Vergnügen be- gleitet schon hier einen jeden Sieg, den ich über mein Herz erkämpfe, eine jede kleine Verleugnung, der ich mich unterziehe. Und ich sollte einen Augenblick anstehn, mir diese Freude zu verschaffen; ich sollte sie bis zu einer gewissen Periode meines Le- bens, bis zu den letzten Minuten desselben hinaussetzen? Nimmermehr! so viel an mir ist. Die Tugend ist mir verdächtig, die ich nur dreymal oder viermal in einem Jahre zu wiederhohlen gesonnen bin und die ist in meinen Augen zu klein, die auf meinem Ster- bebette erst ihren Anfang nehmen soll. Der Trost begleite mich in eine bessere Welt, dass ich keinen beleidigte, dem ich nicht Genugthuung zu geben bemüht war, und dass ich von keinem beleidigt wurde, dem ich nicht bald, und von ganzem Herzen vergab!
Erfahrung: Ein himmliſches Vergnügen be- gleitet ſchon hier einen jeden Sieg, den ich über mein Herz erkämpfe, eine jede kleine Verleugnung, der ich mich unterziehe. Und ich ſollte einen Augenblick anſtehn, mir dieſe Freude zu verſchaffen; ich ſollte ſie bis zu einer gewiſsen Periode meines Le- bens, bis zu den letzten Minuten deſſelben hinausſetzen? Nimmermehr! ſo viel an mir iſt. Die Tugend iſt mir verdächtig, die ich nur dreymal oder viermal in einem Jahre zu wiederhohlen geſonnen bin und die iſt in meinen Augen zu klein, die auf meinem Ster- bebette erſt ihren Anfang nehmen ſoll. Der Troſt begleite mich in eine beſſere Welt, daſs ich keinen beleidigte, dem ich nicht Genugthuung zu geben bemüht war, und daſs ich von keinem beleidigt wurde, dem ich nicht bald, und von ganzem Herzen vergab!
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Erfahrung: Ein himmliſches Vergnügen be-
gleitet ſchon hier einen jeden Sieg, den ich
über mein Herz erkämpfe, eine jede kleine
Verleugnung, der ich mich unterziehe. Und
ich ſollte einen Augenblick anſtehn, mir
dieſe Freude zu verſchaffen; ich ſollte ſie
bis zu einer gewiſsen Periode meines Le-
bens, bis zu den letzten Minuten deſſelben
hinausſetzen? Nimmermehr! ſo viel an mir
iſt. Die Tugend iſt mir verdächtig, die ich
nur dreymal oder viermal in einem Jahre
zu wiederhohlen geſonnen bin und die iſt in
meinen Augen zu klein, die auf meinem Ster-
bebette erſt ihren Anfang nehmen ſoll. Der
Troſt begleite mich in eine beſſere Welt,
daſs ich keinen beleidigte, dem ich nicht
Genugthuung zu geben bemüht war, und daſs
ich von keinem beleidigt wurde, dem ich
nicht bald, und von ganzem Herzen vergab!
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/116>, abgerufen am 27.11.2024.
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