verdienten Mann übergeht, der sich zu kei- ner niederträchtigen Betteley herablassen kann? Sie denken, dass er schwaches Ko- pfes und ich denke, dass er auch schwaches Herzens ist. Nicht Gutherzigkeit, nicht wahres Mitleiden; Leichtsinn ist es, Unge- rechtigkeit gegen andre, einem erkannten Bösewichte durch ein falsches Zeugniss sei- nes Wohlverhaltens öffentlichen Kredit zu geben. Der Vorwand, dass man ihn bey Ehren erhalten wolle, ist durchaus nichtig. Auch die Bedürfnisse meiner Angehörigen werden oft meine Wohlthaten gegen andre, die mit mir in entfernterer Verbindung ste- hen, einschränken müssen. Die Natur selbst spricht für jene. Wie könnt' ich sie ver- gessen? Sollt' ich meinen Kindern das Brod nehmen, und es einem andern geben, weil er auf zwey Beinen einhergeht wie sie? Das sey ferne! Weg mit den frommen,
verdienten Mann übergeht, der ſich zu kei- ner niederträchtigen Betteley herablaſsen kann? Sie denken, daſs er ſchwaches Ko- pfes und ich denke, daſs er auch ſchwaches Herzens iſt. Nicht Gutherzigkeit, nicht wahres Mitleiden; Leichtſinn iſt es, Unge- rechtigkeit gegen andre, einem erkannten Böſewichte durch ein falſches Zeugniſs ſei- nes Wohlverhaltens öffentlichen Kredit zu geben. Der Vorwand, daſs man ihn bey Ehren erhalten wolle, iſt durchaus nichtig. Auch die Bedürfniſse meiner Angehörigen werden oft meine Wohlthaten gegen andre, die mit mir in entfernterer Verbindung ſte- hen, einſchränken müſsen. Die Natur ſelbſt ſpricht für jene. Wie könnt’ ich ſie ver- geſsen? Sollt’ ich meinen Kindern das Brod nehmen, und es einem andern geben, weil er auf zwey Beinen einhergeht wie ſie? Das ſey ferne! Weg mit den frommen,
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verdienten Mann übergeht, der ſich zu kei-
ner niederträchtigen Betteley herablaſsen
kann? Sie denken, daſs er ſchwaches Ko-
pfes und ich denke, daſs er auch ſchwaches
Herzens iſt. Nicht Gutherzigkeit, nicht
wahres Mitleiden; Leichtſinn iſt es, Unge-
rechtigkeit gegen andre, einem erkannten
Böſewichte durch ein falſches Zeugniſs ſei-
nes Wohlverhaltens öffentlichen Kredit zu
geben. Der Vorwand, daſs man ihn bey
Ehren erhalten wolle, iſt durchaus nichtig.
Auch die Bedürfniſse meiner Angehörigen
werden oft meine Wohlthaten gegen andre,
die mit mir in entfernterer Verbindung ſte-
hen, einſchränken müſsen. Die Natur ſelbſt
ſpricht für jene. Wie könnt’ ich ſie ver-
geſsen? Sollt’ ich meinen Kindern das Brod
nehmen, und es einem andern geben, weil
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/137>, abgerufen am 23.11.2024.
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