die grossmüthige Unterstützung dieser ver- lassenen Waisen, deren Vater mir so schlim- me Dienste gethan hat, dass ich die Folgen davon bis jetzt noch empfinde? Keine Aus- flüchte! Waren es Bewegungsgründe der Religion, die mich so zu handeln bestimm- ten, die mir meinen Hass und Zorn unter- würfig machten? oder war es nicht eine andre mächtigere Leidenschaft vielmehr, die die schwächere besiegte? War es die Macht der Tugend, oder der Schönheit, und wür- de ich so und nicht anders gehandelt haben, wenn nicht ein reizendes Gesicht, wenn kein schmachtendes Auge, wenn nicht die leidende Schönheit mich für sich eingenommen hätte? -- Jch seh' es nun allzuwohl, dass ich meine Schuldigkeit nur schlecht erfülle, dass ich bey meinen rühm- lichsten Handlungen doch nur auf mich sehe, und dass ich wenig genug thun und
die groſsmüthige Unterſtützung dieſer ver- laſsenen Waiſen, deren Vater mir ſo ſchlim- me Dienſte gethan hat, daſs ich die Folgen davon bis jetzt noch empfinde? Keine Aus- flüchte! Waren es Bewegungsgründe der Religion, die mich ſo zu handeln beſtimm- ten, die mir meinen Haſs und Zorn unter- würfig machten? oder war es nicht eine andre mächtigere Leidenſchaft vielmehr, die die ſchwächere beſiegte? War es die Macht der Tugend, oder der Schönheit, und wür- de ich ſo und nicht anders gehandelt haben, wenn nicht ein reizendes Geſicht, wenn kein ſchmachtendes Auge, wenn nicht die leidende Schönheit mich für ſich eingenommen hätte? — Jch ſeh’ es nun allzuwohl, daſs ich meine Schuldigkeit nur ſchlecht erfülle, daſs ich bey meinen rühm- lichſten Handlungen doch nur auf mich ſehe, und daſs ich wenig genug thun und
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die groſsmüthige Unterſtützung dieſer ver-
laſsenen Waiſen, deren Vater mir ſo ſchlim-
me Dienſte gethan hat, daſs ich die Folgen
davon bis jetzt noch empfinde? Keine Aus-
flüchte! Waren es Bewegungsgründe der
Religion, die mich ſo zu handeln beſtimm-
ten, die mir meinen Haſs und Zorn unter-
würfig machten? oder war es nicht eine
andre mächtigere Leidenſchaft vielmehr, die
die ſchwächere beſiegte? War es die Macht
der Tugend, oder der Schönheit, und wür-
de ich ſo und nicht anders gehandelt haben,
wenn nicht ein reizendes Geſicht, wenn
kein ſchmachtendes Auge, wenn nicht
die leidende Schönheit mich für ſich
eingenommen hätte? — Jch ſeh’ es nun
allzuwohl, daſs ich meine Schuldigkeit nur
ſchlecht erfülle, daſs ich bey meinen rühm-
lichſten Handlungen doch nur auf mich
ſehe, und daſs ich wenig genug thun und
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/222>, abgerufen am 24.11.2024.
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