Gesang! Jch gestehe, dass es mir oft ein Ekel ist, ihm zuzuhören; geschweige denn selbst an ihm theil zu nehmen. Der veral- teten Lieder nicht zu gedenken, die ein zweyhundertjähriger Gebrauch geheiliget hat, so werden oft noch dazu die Arbeiten der elendesten Reimschmiede mit Fleiss zum singen ausgesucht, an denen selten etwas erträglich ist, es müsste denn die Melodie seyn. Ausserdem müssen die vornehmen Städter in dem falschen Wahne stehn, als schicke es sich für sie nicht, ihre Stimme mit der Stimme des Pöbels zu vermischen. Denn sie kommen selten eher zur Kirche, als wann das Singen beynahe vorbey ist, und da kann es denn nicht fehlen, dass nicht ein ansehnlicher Theil der Gemeine, durch den Glanz ihres Aufzugs in seiner Andacht gestört werden sollte. -- Nach Endigung des gedachten Morgenliedes,
Geſang! Jch geſtehe, daſs es mir oft ein Ekel iſt, ihm zuzuhören; geſchweige denn ſelbſt an ihm theil zu nehmen. Der veral- teten Lieder nicht zu gedenken, die ein zweyhundertjähriger Gebrauch geheiliget hat, ſo werden oft noch dazu die Arbeiten der elendeſten Reimſchmiede mit Fleiſs zum ſingen ausgeſucht, an denen ſelten etwas erträglich iſt, es müſste denn die Melodie ſeyn. Auſserdem müſsen die vornehmen Städter in dem falſchen Wahne ſtehn, als ſchicke es ſich für ſie nicht, ihre Stimme mit der Stimme des Pöbels zu vermiſchen. Denn ſie kommen ſelten eher zur Kirche, als wann das Singen beynahe vorbey iſt, und da kann es denn nicht fehlen, daſs nicht ein anſehnlicher Theil der Gemeine, durch den Glanz ihres Aufzugs in ſeiner Andacht geſtört werden ſollte. — Nach Endigung des gedachten Morgenliedes,
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Geſang! Jch geſtehe, daſs es mir oft ein
Ekel iſt, ihm zuzuhören; geſchweige denn
ſelbſt an ihm theil zu nehmen. Der veral-
teten Lieder nicht zu gedenken, die ein
zweyhundertjähriger Gebrauch geheiliget
hat, ſo werden oft noch dazu die Arbeiten
der elendeſten Reimſchmiede mit Fleiſs zum
ſingen ausgeſucht, an denen ſelten etwas
erträglich iſt, es müſste denn die Melodie
ſeyn. Auſserdem müſsen die vornehmen
Städter in dem falſchen Wahne ſtehn, als
ſchicke es ſich für ſie nicht, ihre Stimme
mit der Stimme des Pöbels zu vermiſchen.
Denn ſie kommen ſelten eher zur Kirche,
als wann das Singen beynahe vorbey iſt,
und da kann es denn nicht fehlen, daſs
nicht ein anſehnlicher Theil der Gemeine,
durch den Glanz ihres Aufzugs in ſeiner
Andacht geſtört werden ſollte. — Nach
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/59>, abgerufen am 24.11.2024.
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