Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. Bd. 1. Göttingen, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

lebt meist vom Raube der Säugthiere, und geht
nur im Nothfall auch Fische an. Ein Cuntur soll
ein ganzes Kalb, und ihrer zwey eine Kuh, auf
eine Malzeit verzehren können. Das eigentliche
Vaterland dieses ungeheuren Thiers ist wol das
südliche Amerika, besonders Chili und Peru, und
es widerlegt nebst den Patagonen die gemeine
Sage, daß die Thiere der neuen Welt durchge-
hends kleiner wären, als die in der alten. In-
zwischen scheint der Cuntur, nach den Erzälungen
der Reisenden zu schliessen, doch auch in Afrika
und in Ostindien zu leben. Und selbst in Europa
sind hin und wieder Vögel geschossen worden,
die, wenn sie keine Lämmergeyer waren (womit
man den Cuntur oft vermengt hat), wahrschein-
lich Cunture gewesen sind. So hat man 1551 ei-
nen zwischen Torgau und Meisen gefangen, der
sein Nest auf drey Eichen gehabt; und ähnliche,
aber nur nicht genau genug bestimmte Vögel sind
1666 zu Harvic bey London, 1719 in Frankreich
und anderwärts geschossen worden.

2. + Barbatus. Der Lämmergeyer, Bartgey-
er. Goldgeyer. V. albidus, dorso fusco,
rostro incarnato barbato, cera coerulea, ca-
pite linea nigra cincto.

(Andreä) Briefe aus der Schweiz, Taf. XII.
Lavaters physiognom. Fragm. 2 Th. Taf. 55.

Der Lämmergeyer ist der gröste Europäische
Vogel, der dem Cuntur in vielen Stücken, beson-
ders auch in seiner Lebensart änelt, sich doch aber
durch seinen starkhaarichten Bart, und durch den
befederten Kopf, der bey andern Geyern kahl ist,
auszeichnet. Er ist vorzüglich in Tyroler- und
Schweizer-Alpen, besonders häufig in den
leztern, zu Hause, aber sehr schwer lebendig
zu fangen. Er lebt nur im Nothfall von Aas-

lebt meist vom Raube der Säugthiere, und geht
nur im Nothfall auch Fische an. Ein Cuntur soll
ein ganzes Kalb, und ihrer zwey eine Kuh, auf
eine Malzeit verzehren können. Das eigentliche
Vaterland dieses ungeheuren Thiers ist wol das
südliche Amerika, besonders Chili und Peru, und
es widerlegt nebst den Patagonen die gemeine
Sage, daß die Thiere der neuen Welt durchge-
hends kleiner wären, als die in der alten. In-
zwischen scheint der Cuntur, nach den Erzälungen
der Reisenden zu schliessen, doch auch in Afrika
und in Ostindien zu leben. Und selbst in Europa
sind hin und wieder Vögel geschossen worden,
die, wenn sie keine Lämmergeyer waren (womit
man den Cuntur oft vermengt hat), wahrschein-
lich Cunture gewesen sind. So hat man 1551 ei-
nen zwischen Torgau und Meisen gefangen, der
sein Nest auf drey Eichen gehabt; und ähnliche,
aber nur nicht genau genug bestimmte Vögel sind
1666 zu Harvic bey London, 1719 in Frankreich
und anderwärts geschossen worden.

2. † Barbatus. Der Lämmergeyer, Bartgey-
er. Goldgeyer. V. albidus, dorso fusco,
rostro incarnato barbato, cera coerulea, ca-
pite linea nigra cincto.

(Andreä) Briefe aus der Schweiz, Taf. XII.
Lavaters physiognom. Fragm. 2 Th. Taf. 55.

Der Lämmergeyer ist der gröste Europäische
Vogel, der dem Cuntur in vielen Stücken, beson-
ders auch in seiner Lebensart änelt, sich doch aber
durch seinen starkhaarichten Bart, und durch den
befederten Kopf, der bey andern Geyern kahl ist,
auszeichnet. Er ist vorzüglich in Tyroler- und
Schweizer-Alpen, besonders häufig in den
leztern, zu Hause, aber sehr schwer lebendig
zu fangen. Er lebt nur im Nothfall von Aas-

<TEI>
  <text xml:id="blume_hbnatur_000021">
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p rendition="#l1em"><pb facs="#f0207" xml:id="pb184_0001" n="184"/>
lebt meist vom Raube der Säugthiere, und geht<lb/>
nur im Nothfall auch Fische an. Ein Cuntur soll<lb/>
ein ganzes Kalb, und ihrer zwey eine Kuh, auf<lb/>
eine Malzeit verzehren können. Das eigentliche<lb/>
Vaterland dieses ungeheuren Thiers ist wol das<lb/>
südliche Amerika, besonders Chili und Peru, und<lb/>
es widerlegt nebst den Patagonen die gemeine<lb/>
Sage, daß die Thiere der neuen Welt durchge-<lb/>
hends kleiner wären, als die in der alten. In-<lb/>
zwischen scheint der Cuntur, nach den Erzälungen<lb/>
der Reisenden zu schliessen, doch auch in Afrika<lb/>
und in Ostindien zu leben. Und selbst in Europa<lb/>
sind hin und wieder Vögel geschossen worden,<lb/>
die, wenn sie keine Lämmergeyer waren (womit<lb/>
man den Cuntur oft vermengt hat), wahrschein-<lb/>
lich Cunture gewesen sind. So hat man 1551 ei-<lb/>
nen zwischen Torgau und Meisen gefangen, der<lb/>
sein Nest auf drey Eichen gehabt; und ähnliche,<lb/>
aber nur nicht genau genug bestimmte Vögel sind<lb/>
1666 zu Harvic bey London, 1719 in Frankreich<lb/>
und anderwärts geschossen worden.</p>
            <p rendition="#indent-2">2. &#x2020; <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Barbatus</hi></hi>. Der Lämmergeyer, Bartgey-<lb/>
er. Goldgeyer. <hi rendition="#aq">V. albidus, dorso fusco,<lb/>
rostro incarnato barbato, cera coerulea, ca-<lb/>
pite linea nigra cincto.</hi></p>
            <p rendition="#l2em">(Andreä) Briefe aus der Schweiz, Taf. XII.<lb/>
Lavaters physiognom. Fragm. 2 Th. Taf. 55.</p>
            <p rendition="#l1em">Der Lämmergeyer ist der gröste Europäische<lb/>
Vogel, der dem Cuntur in vielen Stücken, beson-<lb/>
ders auch in seiner Lebensart änelt, sich doch aber<lb/>
durch seinen starkhaarichten Bart, und durch den<lb/>
befederten Kopf, der bey andern Geyern kahl ist,<lb/>
auszeichnet. Er ist vorzüglich in Tyroler- und<lb/>
Schweizer-Alpen, besonders häufig in den<lb/>
leztern, zu Hause, aber sehr schwer lebendig<lb/>
zu fangen. Er lebt nur im Nothfall von Aas-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0207] lebt meist vom Raube der Säugthiere, und geht nur im Nothfall auch Fische an. Ein Cuntur soll ein ganzes Kalb, und ihrer zwey eine Kuh, auf eine Malzeit verzehren können. Das eigentliche Vaterland dieses ungeheuren Thiers ist wol das südliche Amerika, besonders Chili und Peru, und es widerlegt nebst den Patagonen die gemeine Sage, daß die Thiere der neuen Welt durchge- hends kleiner wären, als die in der alten. In- zwischen scheint der Cuntur, nach den Erzälungen der Reisenden zu schliessen, doch auch in Afrika und in Ostindien zu leben. Und selbst in Europa sind hin und wieder Vögel geschossen worden, die, wenn sie keine Lämmergeyer waren (womit man den Cuntur oft vermengt hat), wahrschein- lich Cunture gewesen sind. So hat man 1551 ei- nen zwischen Torgau und Meisen gefangen, der sein Nest auf drey Eichen gehabt; und ähnliche, aber nur nicht genau genug bestimmte Vögel sind 1666 zu Harvic bey London, 1719 in Frankreich und anderwärts geschossen worden. 2. † Barbatus. Der Lämmergeyer, Bartgey- er. Goldgeyer. V. albidus, dorso fusco, rostro incarnato barbato, cera coerulea, ca- pite linea nigra cincto. (Andreä) Briefe aus der Schweiz, Taf. XII. Lavaters physiognom. Fragm. 2 Th. Taf. 55. Der Lämmergeyer ist der gröste Europäische Vogel, der dem Cuntur in vielen Stücken, beson- ders auch in seiner Lebensart änelt, sich doch aber durch seinen starkhaarichten Bart, und durch den befederten Kopf, der bey andern Geyern kahl ist, auszeichnet. Er ist vorzüglich in Tyroler- und Schweizer-Alpen, besonders häufig in den leztern, zu Hause, aber sehr schwer lebendig zu fangen. Er lebt nur im Nothfall von Aas-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Editura GmbH & Co.KG, Berlin: Volltexterstellung und Basis-TEI-Auszeichung
Johann Friedrich Blumenbach – online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-08-26T09:00:15Z)
Frank Wiegand: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2013-08-26T09:00:15Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Nicht erfasst: Bogensignaturen und Kustoden, Kolumnentitel.
  • Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterschiede zugunsten der Identifizierung von <titlePart>s verzichtet.
  • Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.
  • Langes ſ: als s transkribiert.
  • Hochgestellte e über Vokalen: in moderner Schreibweise erfasst.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1779/206
Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. Bd. 1. Göttingen, 1779, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1779/206>, abgerufen am 23.11.2024.