Viele organisirte Körper verlieren, zu be- stimmten Zeiten, gewisse Theile ihres Körpers von freyen Stücken, die ihnen nachher wieder reproducirt werden; wohin das Abwerfen der Geweihe, das Mausern der Vögel, die Häutung der Schlangen, der Raupen, das Schälen der Krebse, das Entblättern der Gewächse u. s. w. gehört. Man könnte dieß die gewöhnliche Reproduction nennen.
Die andere hingegen ist die außerordent- liche, von der hier eigentlich die Rede ist, da nähmlich dem organisirten Körper, zumahl den Thieren, Wunden, Beinbrüche etc. geheilt, oder gar durch Unfall verstümmelte und verlo- rene Theile wieder ersetzt werden. Der Mensch und die ihm zurächst verwandten Thiere be- sitzen eine freylich sehr eingeschränkte Repro- ductionskraft: die hingegen bey vielen kalt- blütigen Thieren, besonders bey den Wasser- Molchen, Krebsen, Land-Schnecken, Regen- würmern, See-Anemonen, See-Sternen, Arm-Polypen etc. von einer ausnehmenden Stärke und Vollkommenheit ist.
Anm. Vor mehreren Jahren habe ich einem Wasser- molch der größern Art (Lacerta lacustris), den ich nun in Spiritus aufbewahre, fast das ganze Auge exstirpirt; nähmlich alle Säfte auslausen lassen und dann 4/5 der ausgeleerten Häute rein ausgeschnitten; - und doch hat sich hinnen zehn Monaten ein vollkommener neuer Augapfel mit neuer Hornhaut, Augenstern, Crystall-Linse etc. reproducirt, der sich bloß dadurch vom andern gesunden Auge auszeichnet, das er nur erst un-
Viele organisirte Körper verlieren, zu be- stimmten Zeiten, gewisse Theile ihres Körpers von freyen Stücken, die ihnen nachher wieder reproducirt werden; wohin das Abwerfen der Geweihe, das Mausern der Vögel, die Häutung der Schlangen, der Raupen, das Schälen der Krebse, das Entblättern der Gewächse u. s. w. gehört. Man könnte dieß die gewöhnliche Reproduction nennen.
Die andere hingegen ist die außerordent- liche, von der hier eigentlich die Rede ist, da nähmlich dem organisirten Körper, zumahl den Thieren, Wunden, Beinbrüche ꝛc. geheilt, oder gar durch Unfall verstümmelte und verlo- rene Theile wieder ersetzt werden. Der Mensch und die ihm zurächst verwandten Thiere be- sitzen eine freylich sehr eingeschränkte Repro- ductionskraft: die hingegen bey vielen kalt- blütigen Thieren, besonders bey den Wasser- Molchen, Krebsen, Land-Schnecken, Regen- würmern, See-Anemonen, See-Sternen, Arm-Polypen ꝛc. von einer ausnehmenden Stärke und Vollkommenheit ist.
Anm. Vor mehreren Jahren habe ich einem Wasser- molch der größern Art (Lacerta lacustris), den ich nun in Spiritus aufbewahre, fast das ganze Auge exstirpirt; nähmlich alle Säfte auslausen lassen und dann 4/5 der ausgeleerten Häute rein ausgeschnitten; – und doch hat sich hinnen zehn Monaten ein vollkommener neuer Augapfel mit neuer Hornhaut, Augenstern, Crystall-Linse ꝛc. reproducirt, der sich bloß dadurch vom andern gesunden Auge auszeichnet, das er nur erst un-
<TEI><textxmlns:xsi="http://www.w3.org/2001/XMLSchema-instance"xml:id="blume_hbnatur_000032"><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0053"xml:id="pb031_0001"n="31"/><p>Viele organisirte Körper verlieren, zu be-<lb/>
stimmten Zeiten, gewisse Theile ihres Körpers<lb/>
von freyen Stücken, die ihnen nachher wieder<lb/>
reproducirt werden; wohin das Abwerfen der<lb/>
Geweihe, das Mausern der Vögel, die Häutung<lb/>
der Schlangen, der Raupen, das Schälen der<lb/>
Krebse, das Entblättern der Gewächse u. s. w.<lb/>
gehört. Man könnte dieß die gewöhnliche<lb/>
Reproduction nennen.</p><p>Die andere hingegen ist die außerordent-<lb/>
liche, von der hier eigentlich die Rede ist, da<lb/>
nähmlich dem organisirten Körper, zumahl<lb/>
den Thieren, Wunden, Beinbrüche ꝛc. geheilt,<lb/>
oder gar durch Unfall verstümmelte und verlo-<lb/>
rene Theile wieder ersetzt werden. Der Mensch<lb/>
und die ihm zurächst verwandten Thiere be-<lb/>
sitzen eine freylich sehr eingeschränkte Repro-<lb/>
ductionskraft: die hingegen bey vielen kalt-<lb/>
blütigen Thieren, besonders bey den Wasser-<lb/>
Molchen, Krebsen, Land-Schnecken, Regen-<lb/>
würmern, See-Anemonen, See-Sternen,<lb/>
Arm-Polypen ꝛc. von einer ausnehmenden<lb/>
Stärke und Vollkommenheit ist.</p><prendition="#indent-1 #small">Anm. Vor mehreren Jahren habe ich einem Wasser-<lb/>
molch der größern Art (<hirendition="#aq">Lacerta <hirendition="#i">lacustris</hi></hi>), den<lb/>
ich nun in Spiritus aufbewahre, fast das ganze<lb/>
Auge exstirpirt; nähmlich alle Säfte auslausen<lb/>
lassen und dann 4/5 der ausgeleerten Häute rein<lb/>
ausgeschnitten; – und doch hat sich hinnen zehn<lb/>
Monaten ein vollkommener neuer Augapfel mit<lb/>
neuer Hornhaut, Augenstern, Crystall-Linse ꝛc.<lb/>
reproducirt, der sich bloß dadurch vom andern<lb/>
gesunden Auge auszeichnet, das er nur erst un-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[31/0053]
Viele organisirte Körper verlieren, zu be-
stimmten Zeiten, gewisse Theile ihres Körpers
von freyen Stücken, die ihnen nachher wieder
reproducirt werden; wohin das Abwerfen der
Geweihe, das Mausern der Vögel, die Häutung
der Schlangen, der Raupen, das Schälen der
Krebse, das Entblättern der Gewächse u. s. w.
gehört. Man könnte dieß die gewöhnliche
Reproduction nennen.
Die andere hingegen ist die außerordent-
liche, von der hier eigentlich die Rede ist, da
nähmlich dem organisirten Körper, zumahl
den Thieren, Wunden, Beinbrüche ꝛc. geheilt,
oder gar durch Unfall verstümmelte und verlo-
rene Theile wieder ersetzt werden. Der Mensch
und die ihm zurächst verwandten Thiere be-
sitzen eine freylich sehr eingeschränkte Repro-
ductionskraft: die hingegen bey vielen kalt-
blütigen Thieren, besonders bey den Wasser-
Molchen, Krebsen, Land-Schnecken, Regen-
würmern, See-Anemonen, See-Sternen,
Arm-Polypen ꝛc. von einer ausnehmenden
Stärke und Vollkommenheit ist.
Anm. Vor mehreren Jahren habe ich einem Wasser-
molch der größern Art (Lacerta lacustris), den
ich nun in Spiritus aufbewahre, fast das ganze
Auge exstirpirt; nähmlich alle Säfte auslausen
lassen und dann 4/5 der ausgeleerten Häute rein
ausgeschnitten; – und doch hat sich hinnen zehn
Monaten ein vollkommener neuer Augapfel mit
neuer Hornhaut, Augenstern, Crystall-Linse ꝛc.
reproducirt, der sich bloß dadurch vom andern
gesunden Auge auszeichnet, das er nur erst un-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 10. Aufl. Göttingen, 1821, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1821/53>, abgerufen am 11.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.