Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 11. Aufl. Göttingen, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

und gemeint, es werde gar kein Mensch, und kein
anderes Thier, und keine Pflanze erzeugt, - son-
dern sie lägen alle schon seit der ersten Schöpfung
als völlig präformirte Keime*) bey ihren
Aeltern und Vorfahren längst vorräthig; die ver-
schiedenen Generationen steckten, gleichsam wie ein-
gepackte Schachteln, in einander, und würden nur
nach und nach, so wie die Reihe an sie käme, durch
die Befruchtung entwickelt und aus Licht gebracht. -
Eine Meynung, die doch schon sowohl durch den
dabey erforderlichen Aufwand von übernatürlichen
(hyperphysischen) Anstalten**), als durch die,
allen Gesetzen einer philosophischen Naturforschung
zuwiderlaufende unnütze Vervielfältigung der
natürlichen [physischen]***) Kräfte, und durch die
unübersehliche Menge von zwecklosen Schöpfun-
gen
aller der zahllosen präformirten Keime, die
nur nicht zu ihrer Entwickelung gelangen konnten,
aller präjudizlosen Urtheilskraft widerstehen müßte,
wenn sie auch nicht durch die überwiegenden gegen-
seitigen Erfahrungsgründe
widerlegt würde.

*) "Denn" (so sagt Haller, das Haupt der neuern Evo-
lutionisten -) "alle Eingeweide und die Knochen selbst waren
schon im unsichtbaren Keim vorhero gebaut gegenwärtig, obgleich
in einem fast flüssigen Zustande."
Und das ist doch wenigstens bestimmte Sprache.Wenn hingegen andre, um die Evolutionshypothese mit
der Lehre von der allmähligen Bildung in vereinbaren, zwar
zugeben, daß der Zeugungsstoff nicht präformirt sey, aber doch
meinen, daß er dessen ungeachtet einen Keim enthalte, der den-
noch was anders sey, als ungeformter Zeugungsstoff etc., so sind
das unbestimmte, leere Ausdrücke. Wenigstens geht mir es dann
mit solchen Quasi-Keimen, wie dem Cicero mit dem quasi
corpus
des Gottes der Epicuräer, wovon er sagt: "corpus quid
"sit, intelligo; quasi corpus quid sit, nullo prorsus modo in-
"telligo
."
**) s. Kant a. a. O. S. 372.
***) Physische Kräfte überhangt - im Gegenfaß jener
hyperphysischen Anstalten.

und gemeint, es werde gar kein Mensch, und kein
anderes Thier, und keine Pflanze erzeugt, – son-
dern sie lägen alle schon seit der ersten Schöpfung
als völlig präformirte Keime*) bey ihren
Aeltern und Vorfahren längst vorräthig; die ver-
schiedenen Generationen steckten, gleichsam wie ein-
gepackte Schachteln, in einander, und würden nur
nach und nach, so wie die Reihe an sie käme, durch
die Befruchtung entwickelt und aus Licht gebracht. –
Eine Meynung, die doch schon sowohl durch den
dabey erforderlichen Aufwand von übernatürlichen
(hyperphysischen) Anstalten**), als durch die,
allen Gesetzen einer philosophischen Naturforschung
zuwiderlaufende unnütze Vervielfältigung der
natürlichen [physischen]***) Kräfte, und durch die
unübersehliche Menge von zwecklosen Schöpfun-
gen
aller der zahllosen präformirten Keime, die
nur nicht zu ihrer Entwickelung gelangen konnten,
aller präjudizlosen Urtheilskraft widerstehen müßte,
wenn sie auch nicht durch die überwiegenden gegen-
seitigen Erfahrungsgründe
widerlegt würde.

*) „Denn“ (so sagt Haller, das Haupt der neuern Evo-
lutionisten –) “alle Eingeweide und die Knochen selbst waren
schon im unsichtbaren Keim vorhero gebaut gegenwärtig, obgleich
in einem fast flüssigen Zustande.”
Und das ist doch wenigstens bestimmte Sprache.Wenn hingegen andre, um die Evolutionshypothese mit
der Lehre von der allmähligen Bildung in vereinbaren, zwar
zugeben, daß der Zeugungsstoff nicht präformirt sey, aber doch
meinen, daß er dessen ungeachtet einen Keim enthalte, der den-
noch was anders sey, als ungeformter Zeugungsstoff ꝛc., so sind
das unbestimmte, leere Ausdrücke. Wenigstens geht mir es dann
mit solchen Quasi-Keimen, wie dem Cicero mit dem quasi
corpus
des Gottes der Epicuräer, wovon er sagt: corpus quid
sit, intelligo; quasi corpus quid sit, nullo prorsus modo in-
„telligo
.”
**) s. Kant a. a. O. S. 372.
***) Physische Kräfte überhangt – im Gegenfaß jener
hyperphysischen Anstalten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" xml:id="pb012_0001" n="12"/>
und gemeint, es werde gar kein Mensch, und kein<lb/>
anderes Thier, und keine Pflanze erzeugt, &#x2013; son-<lb/>
dern sie lägen alle schon seit der ersten Schöpfung<lb/>
als <hi rendition="#g">völlig präformirte Keime</hi><note anchored="true" place="foot" n="*)"><p>&#x201E;Denn&#x201C; (so sagt <hi rendition="#g">Haller</hi>, das Haupt der neuern Evo-<lb/>
lutionisten &#x2013;) <q type="preline">&#x201C;alle Eingeweide und die Knochen selbst waren<lb/>
schon im unsichtbaren Keim vorhero gebaut gegenwärtig, obgleich<lb/>
in einem fast flüssigen Zustande.&#x201D;</q></p><p>Und das ist doch wenigstens bestimmte Sprache.</p><p>Wenn hingegen andre, um die Evolutionshypothese mit<lb/>
der Lehre von der allmähligen Bildung in vereinbaren, zwar<lb/>
zugeben, daß der Zeugungsstoff nicht präformirt sey, aber doch<lb/>
meinen, daß er dessen ungeachtet einen Keim enthalte, der den-<lb/>
noch was anders sey, als ungeformter Zeugungsstoff &#xA75B;c., so sind<lb/>
das unbestimmte, leere Ausdrücke. Wenigstens geht mir es dann<lb/>
mit solchen <hi rendition="#aq">Quasi</hi>-Keimen, wie dem <hi rendition="#g">Cicero</hi> mit dem <hi rendition="#aq">quasi<lb/>
corpus</hi> des Gottes der Epicuräer, wovon er sagt: <q type="preline">&#x201E;<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">corpus</hi> quid<hi rendition="#i"><lb/>
&#x201E;</hi>sit, intelligo; <hi rendition="#i">quasi corpus</hi> quid sit, nullo prorsus modo in-<lb/>
&#x201E;telligo</hi>.&#x201D;</q></p></note> bey ihren<lb/>
Aeltern und Vorfahren längst vorräthig; die ver-<lb/>
schiedenen Generationen steckten, gleichsam wie ein-<lb/>
gepackte Schachteln, in einander, und würden nur<lb/>
nach und nach, so wie die Reihe an sie käme, durch<lb/>
die Befruchtung entwickelt und aus Licht gebracht. &#x2013;<lb/>
Eine Meynung, die doch schon sowohl durch den<lb/>
dabey erforderlichen Aufwand von <hi rendition="#g">übernatürlichen</hi><lb/>
(<hi rendition="#g">hyperphysischen</hi>) Anstalten<note anchored="true" place="foot" n="**)"><p>s. <hi rendition="#g">Kant</hi> a. a. O. S. 372.</p></note>, als durch die,<lb/>
allen Gesetzen einer philosophischen Naturforschung<lb/>
zuwiderlaufende unnütze <hi rendition="#g">Vervielfältigung</hi> der<lb/>
natürlichen [<hi rendition="#g">physischen</hi>]<note anchored="true" place="foot" n="***)"><p><hi rendition="#g">Physische</hi> Kräfte überhangt &#x2013; im Gegenfaß jener<lb/><hi rendition="#g">hyperphysischen</hi> Anstalten.</p></note> Kräfte, und durch die<lb/>
unübersehliche Menge von <hi rendition="#g">zwecklosen Schöpfun-<lb/>
gen</hi> aller der zahllosen präformirten Keime, die<lb/>
nur nicht zu ihrer Entwickelung gelangen konnten,<lb/>
aller präjudizlosen Urtheilskraft widerstehen müßte,<lb/>
wenn sie auch nicht durch die überwiegenden <hi rendition="#g">gegen-<lb/>
seitigen Erfahrungsgründe</hi> widerlegt würde.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0034] und gemeint, es werde gar kein Mensch, und kein anderes Thier, und keine Pflanze erzeugt, – son- dern sie lägen alle schon seit der ersten Schöpfung als völlig präformirte Keime *) bey ihren Aeltern und Vorfahren längst vorräthig; die ver- schiedenen Generationen steckten, gleichsam wie ein- gepackte Schachteln, in einander, und würden nur nach und nach, so wie die Reihe an sie käme, durch die Befruchtung entwickelt und aus Licht gebracht. – Eine Meynung, die doch schon sowohl durch den dabey erforderlichen Aufwand von übernatürlichen (hyperphysischen) Anstalten **), als durch die, allen Gesetzen einer philosophischen Naturforschung zuwiderlaufende unnütze Vervielfältigung der natürlichen [physischen] ***) Kräfte, und durch die unübersehliche Menge von zwecklosen Schöpfun- gen aller der zahllosen präformirten Keime, die nur nicht zu ihrer Entwickelung gelangen konnten, aller präjudizlosen Urtheilskraft widerstehen müßte, wenn sie auch nicht durch die überwiegenden gegen- seitigen Erfahrungsgründe widerlegt würde. *) „Denn“ (so sagt Haller, das Haupt der neuern Evo- lutionisten –) “alle Eingeweide und die Knochen selbst waren schon im unsichtbaren Keim vorhero gebaut gegenwärtig, obgleich in einem fast flüssigen Zustande.” Und das ist doch wenigstens bestimmte Sprache. Wenn hingegen andre, um die Evolutionshypothese mit der Lehre von der allmähligen Bildung in vereinbaren, zwar zugeben, daß der Zeugungsstoff nicht präformirt sey, aber doch meinen, daß er dessen ungeachtet einen Keim enthalte, der den- noch was anders sey, als ungeformter Zeugungsstoff ꝛc., so sind das unbestimmte, leere Ausdrücke. Wenigstens geht mir es dann mit solchen Quasi-Keimen, wie dem Cicero mit dem quasi corpus des Gottes der Epicuräer, wovon er sagt: „corpus quid „sit, intelligo; quasi corpus quid sit, nullo prorsus modo in- „telligo.” **) s. Kant a. a. O. S. 372. ***) Physische Kräfte überhangt – im Gegenfaß jener hyperphysischen Anstalten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Editura GmbH & Co.KG, Berlin: Volltexterstellung und Basis-TEI-Auszeichung
Johann Friedrich Blumenbach – online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-08-26T09:00:15Z)
Frank Wiegand: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2013-08-26T09:00:15Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Nicht erfasst: Bogensignaturen und Kustoden, Kolumnentitel.
  • Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterschiede zugunsten der Identifizierung von <titlePart>s verzichtet.
  • Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.
  • Langes ſ: als s transkribiert.
  • Hochgestellte e über Vokalen: in moderner Schreibweise erfasst.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1825/34
Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 11. Aufl. Göttingen, 1825, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1825/34>, abgerufen am 23.11.2024.