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Blumenbach, Johann Friedrich: Anfangsgründe der Physiologie. (Übers. Joseph Eyerel). 2. Aufl. Wien, 1795.

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digsten Reisebeschreibungen. Daher wir auch
Rousseaus Meinung, daß der Gesang der mensch-
lichen Natur zuwider sey, allerdings paradox
scheinet. Dictionaire de musique. Vol. I. p. 170.
Ed. Genev. 1781. 12.

§. 154.

Die Sprache selbst ist eine besondere Ver-
änderung der Stimme, wo die Töne durch Bey-
hülfe der Zunge, der Lippen, der Zahne, des Gau-
mes, und der Nase in Buchstaben umgeschaffen
werden.

Daher der Unterschied zwischen Stimme und
Sprache; jene entspringt aus dem Kehlkopfe; die-
se wird (einige Völker, z. B. die Sinesen aus-
genommen, bey denen gleichlautende Wörter bloß
durch die Höhe und Tiefe unterschieden werden)
durch Mitwirkung der übrigen Stimmorganen her-
vorgebracht.

Nicht nur der Mensch, sondern auch das
Thier, auch das neugebohrne Kind hat eine Stim-
me; sogar unter wilden Thieren, erwachsene Kin-
der, sogar stummgebohrne verrathen Spuren der
Stimme. Die Sprache aber ist ein Resultat des
gebildeten Verstandes und der Uebung, folglich
ein ausschließendes Vorrecht des Menschen. Denn
die Thiere werden durch Naturtriebe geleitet; der
Mensch hingegen, dem solche Beförderungsmittel
zu seiner Selbsterhaltung versagt sind, bedarf al-
lerdings dieses Vorzuges, des Verstandes und der
Sprache, um in dem gesellschaftlichen Leben, wozu
er von Natur bestimmt ist, seine Bedürfnisse aus-
drücken, und befriedigen zu können.

digsten Reisebeschreibungen. Daher wir auch
Rousseaus Meinung, daß der Gesang der mensch-
lichen Natur zuwider sey, allerdings paradox
scheinet. Dictionaire de musique. Vol. I. p. 170.
Ed. Genev. 1781. 12.

§. 154.

Die Sprache selbst ist eine besondere Ver-
änderung der Stimme, wo die Töne durch Bey-
hülfe der Zunge, der Lippen, der Zahne, des Gau-
mes, und der Nase in Buchstaben umgeschaffen
werden.

Daher der Unterschied zwischen Stimme und
Sprache; jene entspringt aus dem Kehlkopfe; die-
se wird (einige Völker, z. B. die Sinesen aus-
genommen, bey denen gleichlautende Wörter bloß
durch die Höhe und Tiefe unterschieden werden)
durch Mitwirkung der übrigen Stimmorganen her-
vorgebracht.

Nicht nur der Mensch, sondern auch das
Thier, auch das neugebohrne Kind hat eine Stim-
me; sogar unter wilden Thieren, erwachsene Kin-
der, sogar stummgebohrne verrathen Spuren der
Stimme. Die Sprache aber ist ein Resultat des
gebildeten Verstandes und der Uebung, folglich
ein ausschließendes Vorrecht des Menschen. Denn
die Thiere werden durch Naturtriebe geleitet; der
Mensch hingegen, dem solche Beförderungsmittel
zu seiner Selbsterhaltung versagt sind, bedarf al-
lerdings dieses Vorzuges, des Verstandes und der
Sprache, um in dem gesellschaftlichen Leben, wozu
er von Natur bestimmt ist, seine Bedürfnisse aus-
drücken, und befriedigen zu können.

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[97/0115] digsten Reisebeschreibungen. Daher wir auch Rousseaus Meinung, daß der Gesang der mensch- lichen Natur zuwider sey, allerdings paradox scheinet. Dictionaire de musique. Vol. I. p. 170. Ed. Genev. 1781. 12. §. 154. Die Sprache selbst ist eine besondere Ver- änderung der Stimme, wo die Töne durch Bey- hülfe der Zunge, der Lippen, der Zahne, des Gau- mes, und der Nase in Buchstaben umgeschaffen werden. Daher der Unterschied zwischen Stimme und Sprache; jene entspringt aus dem Kehlkopfe; die- se wird (einige Völker, z. B. die Sinesen aus- genommen, bey denen gleichlautende Wörter bloß durch die Höhe und Tiefe unterschieden werden) durch Mitwirkung der übrigen Stimmorganen her- vorgebracht. Nicht nur der Mensch, sondern auch das Thier, auch das neugebohrne Kind hat eine Stim- me; sogar unter wilden Thieren, erwachsene Kin- der, sogar stummgebohrne verrathen Spuren der Stimme. Die Sprache aber ist ein Resultat des gebildeten Verstandes und der Uebung, folglich ein ausschließendes Vorrecht des Menschen. Denn die Thiere werden durch Naturtriebe geleitet; der Mensch hingegen, dem solche Beförderungsmittel zu seiner Selbsterhaltung versagt sind, bedarf al- lerdings dieses Vorzuges, des Verstandes und der Sprache, um in dem gesellschaftlichen Leben, wozu er von Natur bestimmt ist, seine Bedürfnisse aus- drücken, und befriedigen zu können.

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Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Anfangsgründe der Physiologie. (Übers. Joseph Eyerel). 2. Aufl. Wien, 1795, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_physiologie_1795/115>, abgerufen am 24.11.2024.