Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
politisch zu leiten und so die Organisirung der Menschheit zu vollziehen.
Wir betrachten so die Verschiedenheit der Menschenrassen als ein Werk der schöpferisch erregten Natur, nicht als ein Werk unserer menschlichen Geschichte, und erkennen in ihnen natürliche Varietäten der Menschheit. Dagegen die Völker, in welche die Rassen sich theilen, oder welche aus der Mischung verschiedener Rassen entstanden sind, sind offen- bar das Erzeugnisz unserer Geschichte. Die Völker sind historische Glieder der Menschheit und ihrer Rassen. Zwar kennen wir auch Urvölker, d. h. die uns schon in den ersten Zeiten begegnen, aus welchen uns eine dürftige Kunde zugekommen ist, oder deren Ursprung sich in ein dunkles Alterthum verliert. Aber wir kennen eine sehr grosze Zahl Völker, deren Entstehung in den Bereich unserer historischen Kenntnisz fällt und haben Gründe genug für die Annahme, dasz auch jene Urvölker in ähnlicher Weise entstanden seien. Die Geschichte durch ihre Trennungen und Vermischungen, wie durch ihre Wandlungen und Entwicklungen hat im Laufe der Zeit die Völker gesondert und neue Völker hervorgebracht. Die Eigenthümlichkeit der Völker zeigt sich daher weniger noch in ihrer physischen Erscheinung als in ihrem Geist und in ihrem Charakter, d. h. in der Sprache und im Recht.
Anmerkungen. 1. Prichard hat in seinem Werke: Natur- geschichte des Menschengeschlechtes (in deutscher Uebersetzung von R. Wagner, Leipzig 1840, 4 Thle.) vorzüglich die physiologischen und sprachlichen Unterschiede und Verwandtschaften der wesentlichen Rassen behandelt; A. de Gobineau dagegen in seinem Essai sur l'inegalite des races humaines, Paris 1652-55, mehr die politischen Gegensätze darzustellen gesucht. So anregend und interessant diese Untersuchungen sind, so ist in beiderlei Hinsicht noch sehr viel zu thun, um sichere wissenschaftliche Resultate zu erreichen. Das neueste und vielseitige Werk ist von Th. Waitz, Anthropologie der Naturvölker.
2. Man hat die Bedeutung der Rasse für Recht und Stat lange in der Wissenschaft übersehen und miszachtet. Das Werk von Gobineau sucht diesem Mangel abzuhelfen, verirrt sich aber nicht selten in den
Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
politisch zu leiten und so die Organisirung der Menschheit zu vollziehen.
Wir betrachten so die Verschiedenheit der Menschenrassen als ein Werk der schöpferisch erregten Natur, nicht als ein Werk unserer menschlichen Geschichte, und erkennen in ihnen natürliche Varietäten der Menschheit. Dagegen die Völker, in welche die Rassen sich theilen, oder welche aus der Mischung verschiedener Rassen entstanden sind, sind offen- bar das Erzeugnisz unserer Geschichte. Die Völker sind historische Glieder der Menschheit und ihrer Rassen. Zwar kennen wir auch Urvölker, d. h. die uns schon in den ersten Zeiten begegnen, aus welchen uns eine dürftige Kunde zugekommen ist, oder deren Ursprung sich in ein dunkles Alterthum verliert. Aber wir kennen eine sehr grosze Zahl Völker, deren Entstehung in den Bereich unserer historischen Kenntnisz fällt und haben Gründe genug für die Annahme, dasz auch jene Urvölker in ähnlicher Weise entstanden seien. Die Geschichte durch ihre Trennungen und Vermischungen, wie durch ihre Wandlungen und Entwicklungen hat im Laufe der Zeit die Völker gesondert und neue Völker hervorgebracht. Die Eigenthümlichkeit der Völker zeigt sich daher weniger noch in ihrer physischen Erscheinung als in ihrem Geist und in ihrem Charakter, d. h. in der Sprache und im Recht.
Anmerkungen. 1. Prichard hat in seinem Werke: Natur- geschichte des Menschengeschlechtes (in deutscher Uebersetzung von R. Wagner, Leipzig 1840, 4 Thle.) vorzüglich die physiologischen und sprachlichen Unterschiede und Verwandtschaften der wesentlichen Rassen behandelt; A. de Gobineau dagegen in seinem Essai sur l'inégalité des races humaines, Paris 1652-55, mehr die politischen Gegensätze darzustellen gesucht. So anregend und interessant diese Untersuchungen sind, so ist in beiderlei Hinsicht noch sehr viel zu thun, um sichere wissenschaftliche Resultate zu erreichen. Das neueste und vielseitige Werk ist von Th. Waitz, Anthropologie der Naturvölker.
2. Man hat die Bedeutung der Rasse für Recht und Stat lange in der Wissenschaft übersehen und miszachtet. Das Werk von Gobineau sucht diesem Mangel abzuhelfen, verirrt sich aber nicht selten in den
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0108"n="90"/><fwplace="top"type="header">Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u.<lb/>
Volksnatur.</fw><lb/>
politisch zu leiten und so die Organisirung der Menschheit<lb/>
zu vollziehen.</p><lb/><p>Wir betrachten so die Verschiedenheit der Menschenrassen<lb/>
als ein Werk der schöpferisch erregten <hirendition="#g">Natur</hi>, nicht als ein<lb/>
Werk unserer menschlichen Geschichte, und erkennen in ihnen<lb/><hirendition="#g">natürliche Varietäten der Menschheit</hi>. Dagegen die<lb/><hirendition="#g">Völker</hi>, in welche die Rassen sich theilen, oder welche aus<lb/>
der Mischung verschiedener Rassen entstanden sind, sind offen-<lb/>
bar das Erzeugnisz unserer <hirendition="#g">Geschichte</hi>. Die Völker sind<lb/><hirendition="#g">historische Glieder</hi> der Menschheit und ihrer Rassen.<lb/>
Zwar kennen wir auch <hirendition="#g">Urvölker</hi>, d. h. die uns schon in den<lb/>
ersten Zeiten begegnen, aus welchen uns eine dürftige Kunde<lb/>
zugekommen ist, oder deren Ursprung sich in ein dunkles<lb/>
Alterthum verliert. Aber wir kennen eine sehr grosze Zahl<lb/>
Völker, deren Entstehung in den Bereich unserer historischen<lb/>
Kenntnisz fällt und haben Gründe genug für die Annahme,<lb/>
dasz auch jene Urvölker in ähnlicher Weise entstanden seien.<lb/>
Die Geschichte durch ihre Trennungen und Vermischungen,<lb/>
wie durch ihre Wandlungen und Entwicklungen hat im Laufe<lb/>
der Zeit die Völker gesondert und neue Völker hervorgebracht.<lb/>
Die Eigenthümlichkeit der Völker zeigt sich daher weniger<lb/>
noch in ihrer physischen Erscheinung als in ihrem Geist und<lb/>
in ihrem Charakter, d. h. in der <hirendition="#g">Sprache</hi> und im <hirendition="#g">Recht</hi>.</p><lb/><p><hirendition="#g">Anmerkungen</hi>. 1. <hirendition="#g">Prichard</hi> hat in seinem Werke: Natur-<lb/>
geschichte des Menschengeschlechtes (in deutscher Uebersetzung von<lb/>
R. <hirendition="#g">Wagner</hi>, Leipzig 1840, 4 Thle.) vorzüglich die physiologischen und<lb/>
sprachlichen Unterschiede und Verwandtschaften der wesentlichen Rassen<lb/>
behandelt; A. de <hirendition="#g">Gobineau</hi> dagegen in seinem Essai sur<lb/>
l'inégalité<lb/>
des races humaines, Paris 1652-55, mehr die politischen Gegensätze<lb/>
darzustellen gesucht. So anregend und interessant diese Untersuchungen<lb/>
sind, so ist in beiderlei Hinsicht noch sehr viel zu thun, um sichere<lb/>
wissenschaftliche Resultate zu erreichen. Das neueste und vielseitige<lb/>
Werk ist von <hirendition="#g">Th</hi>. <hirendition="#g">Waitz</hi>, Anthropologie der Naturvölker.</p><lb/><p>2. Man hat die Bedeutung der <hirendition="#g">Rasse</hi> für Recht und Stat lange in<lb/>
der Wissenschaft übersehen und miszachtet. Das Werk von Gobineau<lb/>
sucht diesem Mangel abzuhelfen, verirrt sich aber nicht selten in den<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[90/0108]
Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u.
Volksnatur.
politisch zu leiten und so die Organisirung der Menschheit
zu vollziehen.
Wir betrachten so die Verschiedenheit der Menschenrassen
als ein Werk der schöpferisch erregten Natur, nicht als ein
Werk unserer menschlichen Geschichte, und erkennen in ihnen
natürliche Varietäten der Menschheit. Dagegen die
Völker, in welche die Rassen sich theilen, oder welche aus
der Mischung verschiedener Rassen entstanden sind, sind offen-
bar das Erzeugnisz unserer Geschichte. Die Völker sind
historische Glieder der Menschheit und ihrer Rassen.
Zwar kennen wir auch Urvölker, d. h. die uns schon in den
ersten Zeiten begegnen, aus welchen uns eine dürftige Kunde
zugekommen ist, oder deren Ursprung sich in ein dunkles
Alterthum verliert. Aber wir kennen eine sehr grosze Zahl
Völker, deren Entstehung in den Bereich unserer historischen
Kenntnisz fällt und haben Gründe genug für die Annahme,
dasz auch jene Urvölker in ähnlicher Weise entstanden seien.
Die Geschichte durch ihre Trennungen und Vermischungen,
wie durch ihre Wandlungen und Entwicklungen hat im Laufe
der Zeit die Völker gesondert und neue Völker hervorgebracht.
Die Eigenthümlichkeit der Völker zeigt sich daher weniger
noch in ihrer physischen Erscheinung als in ihrem Geist und
in ihrem Charakter, d. h. in der Sprache und im Recht.
Anmerkungen. 1. Prichard hat in seinem Werke: Natur-
geschichte des Menschengeschlechtes (in deutscher Uebersetzung von
R. Wagner, Leipzig 1840, 4 Thle.) vorzüglich die physiologischen und
sprachlichen Unterschiede und Verwandtschaften der wesentlichen Rassen
behandelt; A. de Gobineau dagegen in seinem Essai sur
l'inégalité
des races humaines, Paris 1652-55, mehr die politischen Gegensätze
darzustellen gesucht. So anregend und interessant diese Untersuchungen
sind, so ist in beiderlei Hinsicht noch sehr viel zu thun, um sichere
wissenschaftliche Resultate zu erreichen. Das neueste und vielseitige
Werk ist von Th. Waitz, Anthropologie der Naturvölker.
2. Man hat die Bedeutung der Rasse für Recht und Stat lange in
der Wissenschaft übersehen und miszachtet. Das Werk von Gobineau
sucht diesem Mangel abzuhelfen, verirrt sich aber nicht selten in den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/108>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.