Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
wider den gottlosen Westen ins Feld und in den Tod. An ihre nationale Berechtigung dachten sie nicht.
Selbst der unklare Ansatz der französischen Revolution, den Nationen das Recht der Selbstbestimmung zu gewähren, wurde in der Restaurationsperiode wieder gewaltsam zertreten. Der Wiener Congresz kümmerte sich nichts um die Nationen. Er vertheilte ohne Scheu und ohne Scham die Stücke groszer Nationen unter die restaurirten Dynastien. Wie früher Polen zerrissen und zwischen Russland, Oesterreich und Preuszen ge- theilt worden war, so wurden nun Italien und Deutsch- land in eine Anzahl souveräner Staten zertheilt, Belgien und Holland aber, trotz des nationalen Gegensatzes, zu Einem Königreich zusammen geschmiedet.
Weder das Revolutions- noch das Restaurationszeitalter hat das Princip der Nationalität als Statsprincip anerkannt. Um so entschiedener dagegen wird die Statengeschichte der Gegenwart von dem Nationalbewusztsein aus bedingt und be- stimmt. Die Wissenschaft und ganz vorzüglich die deutsche und die italienische Wissenschaft hatte vorher schon auf die nationale Idee hingewiesen und ihre politischen Aussprüche beleuchtet. Die Statspraxis aber hat erst seit den Vierziger- jahren sich auf das natürliche Recht der Nationen berufen, sich statlich zu gestalten. Stärker als je zuvor regten sich die nationalen Triebe auch in den Massen und verlangten nicht blosz litterarische, sondern überdem politische Befrie- digung. Die Nationen wollten ihre Gemeinschaft zu statlicher Macht steigern und Völker werden. Das ganze aus dem Mittelalter überlieferte dynastische Statensystem Europas wurde nun von den nationalen Verlangen und Leidenschaften be- droht. Alle Reiche, wie insbesondere Oesterreich, wurden durch dieselben in ihrem Bestande erschüttert, weil die ver- schiedenen in denselben politisch geeinigten Nationalitäten nach Selbständigkeit strebten. Neue Reiche, wie voraus Ita- lien und das deutsche Reich, wurden gebildet, kraft des
Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
wider den gottlosen Westen ins Feld und in den Tod. An ihre nationale Berechtigung dachten sie nicht.
Selbst der unklare Ansatz der französischen Revolution, den Nationen das Recht der Selbstbestimmung zu gewähren, wurde in der Restaurationsperiode wieder gewaltsam zertreten. Der Wiener Congresz kümmerte sich nichts um die Nationen. Er vertheilte ohne Scheu und ohne Scham die Stücke groszer Nationen unter die restaurirten Dynastien. Wie früher Polen zerrissen und zwischen Russland, Oesterreich und Preuszen ge- theilt worden war, so wurden nun Italien und Deutsch- land in eine Anzahl souveräner Staten zertheilt, Belgien und Holland aber, trotz des nationalen Gegensatzes, zu Einem Königreich zusammen geschmiedet.
Weder das Revolutions- noch das Restaurationszeitalter hat das Princip der Nationalität als Statsprincip anerkannt. Um so entschiedener dagegen wird die Statengeschichte der Gegenwart von dem Nationalbewusztsein aus bedingt und be- stimmt. Die Wissenschaft und ganz vorzüglich die deutsche und die italienische Wissenschaft hatte vorher schon auf die nationale Idee hingewiesen und ihre politischen Aussprüche beleuchtet. Die Statspraxis aber hat erst seit den Vierziger- jahren sich auf das natürliche Recht der Nationen berufen, sich statlich zu gestalten. Stärker als je zuvor regten sich die nationalen Triebe auch in den Massen und verlangten nicht blosz litterarische, sondern überdem politische Befrie- digung. Die Nationen wollten ihre Gemeinschaft zu statlicher Macht steigern und Völker werden. Das ganze aus dem Mittelalter überlieferte dynastische Statensystem Europas wurde nun von den nationalen Verlangen und Leidenschaften be- droht. Alle Reiche, wie insbesondere Oesterreich, wurden durch dieselben in ihrem Bestande erschüttert, weil die ver- schiedenen in denselben politisch geeinigten Nationalitäten nach Selbständigkeit strebten. Neue Reiche, wie voraus Ita- lien und das deutsche Reich, wurden gebildet, kraft des
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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
wider den gottlosen Westen ins Feld und in den Tod. An
ihre nationale Berechtigung dachten sie nicht.
Selbst der unklare Ansatz der französischen Revolution,
den Nationen das Recht der Selbstbestimmung zu gewähren,
wurde in der Restaurationsperiode wieder gewaltsam zertreten.
Der Wiener Congresz kümmerte sich nichts um die Nationen.
Er vertheilte ohne Scheu und ohne Scham die Stücke groszer
Nationen unter die restaurirten Dynastien. Wie früher Polen
zerrissen und zwischen Russland, Oesterreich und Preuszen ge-
theilt worden war, so wurden nun Italien und Deutsch-
land in eine Anzahl souveräner Staten zertheilt, Belgien
und Holland aber, trotz des nationalen Gegensatzes, zu
Einem Königreich zusammen geschmiedet.
Weder das Revolutions- noch das Restaurationszeitalter
hat das Princip der Nationalität als Statsprincip anerkannt.
Um so entschiedener dagegen wird die Statengeschichte der
Gegenwart von dem Nationalbewusztsein aus bedingt und be-
stimmt. Die Wissenschaft und ganz vorzüglich die deutsche
und die italienische Wissenschaft hatte vorher schon auf die
nationale Idee hingewiesen und ihre politischen Aussprüche
beleuchtet. Die Statspraxis aber hat erst seit den Vierziger-
jahren sich auf das natürliche Recht der Nationen berufen,
sich statlich zu gestalten. Stärker als je zuvor regten sich
die nationalen Triebe auch in den Massen und verlangten
nicht blosz litterarische, sondern überdem politische Befrie-
digung. Die Nationen wollten ihre Gemeinschaft zu statlicher
Macht steigern und Völker werden. Das ganze aus dem
Mittelalter überlieferte dynastische Statensystem Europas wurde
nun von den nationalen Verlangen und Leidenschaften be-
droht. Alle Reiche, wie insbesondere Oesterreich, wurden
durch dieselben in ihrem Bestande erschüttert, weil die ver-
schiedenen in denselben politisch geeinigten Nationalitäten
nach Selbständigkeit strebten. Neue Reiche, wie voraus Ita-
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/124>, abgerufen am 25.11.2024.
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