Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. centralen Gebirgsstocke zwischen Deutschland, Frankreich undItalien haben sich so Bruchstücke der drei groszen Nationen zu kleinen republikanischen Gemeinwesen gestaltet und zu einem friedlichen und neutralen Gesammtkörper geeinigt. Die einzelnen Cantone freilich sind durchweg nationale Staten, sei es weil ihre ganze Bevölkerung nur Einer Nation angehört, wie in den deutschen Cantonen der nördlichen und östlichen Schweiz oder in den französischen Cantonen der westlichen Schweiz, oder in dem italienischen Tessin, sei es weil eine Nationalität entschieden über die andern Elemente überwiegt, wie in Bern und Graubündten die deutsche über die wälsche, in Freiburg und in Wallis die französische über die deutsche. Eine völlig andere Methode, die verschiedenen Nationen B) Die verschiedenen Nationalitäten sind nicht massen- 1 De Parieu Polit. S. 304 theilt eine Aeuszerung des Kaisers Franz II.
an den französischen Botschafter in Wien mit: "Mes peuples sont etrangers les uns aux autres et c'est tant mieux. Ils ne prennent pas les memes maladies en meme temps. En France, quand la fievre vient, elle vous prend tous le meme jour. Je mets des Hongrois en Italie et des Italiens en Hongrie. Chacun garde son voisin; ils ne se comprennent pas et se detestent. De leurs antipathies nait l'ordre et de leur haine reciproque la paix generale." Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. centralen Gebirgsstocke zwischen Deutschland, Frankreich undItalien haben sich so Bruchstücke der drei groszen Nationen zu kleinen republikanischen Gemeinwesen gestaltet und zu einem friedlichen und neutralen Gesammtkörper geeinigt. Die einzelnen Cantone freilich sind durchweg nationale Staten, sei es weil ihre ganze Bevölkerung nur Einer Nation angehört, wie in den deutschen Cantonen der nördlichen und östlichen Schweiz oder in den französischen Cantonen der westlichen Schweiz, oder in dem italienischen Tessin, sei es weil eine Nationalität entschieden über die andern Elemente überwiegt, wie in Bern und Graubündten die deutsche über die wälsche, in Freiburg und in Wallis die französische über die deutsche. Eine völlig andere Methode, die verschiedenen Nationen B) Die verschiedenen Nationalitäten sind nicht massen- 1 De Parieu Polit. S. 304 theilt eine Aeuszerung des Kaisers Franz II.
an den französischen Botschafter in Wien mit: „Mes peuples sont étrangers les uns aux autres et c'est tant mieux. Ils ne prennent pas les mêmes maladies en même temps. En France, quand la fièvre vient, elle vous prend tous le même jour. Je mets des Hongrois en Italie et des Italiens en Hongrie. Chacun garde son voisin; ils ne se comprennent pas et se détestent. De leurs antipathies nait l'ordre et de leur haine réciproque la paix générale.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0128" n="110"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.</fw><lb/> centralen Gebirgsstocke zwischen Deutschland, Frankreich und<lb/> Italien haben sich so Bruchstücke der drei groszen Nationen<lb/> zu kleinen republikanischen Gemeinwesen gestaltet und zu<lb/> einem friedlichen und neutralen Gesammtkörper geeinigt. Die<lb/> einzelnen Cantone freilich sind durchweg nationale Staten, sei<lb/> es weil ihre ganze Bevölkerung nur Einer Nation angehört,<lb/> wie in den deutschen Cantonen der nördlichen und östlichen<lb/> Schweiz oder in den französischen Cantonen der westlichen<lb/> Schweiz, oder in dem italienischen Tessin, sei es weil eine<lb/> Nationalität entschieden über die andern Elemente überwiegt,<lb/> wie in Bern und Graubündten die deutsche über die wälsche,<lb/> in Freiburg und in Wallis die französische über die deutsche.</p><lb/> <p>Eine völlig andere Methode, die verschiedenen Nationen<lb/> statlich zusammen zu halten ohne sie umzugestalten, hatte die<lb/><hi rendition="#g">österreichische</hi> Politik eine Zeit lang mit scheinbarem<lb/> Erfolge eingeschlagen, nachdem zuvor der Versuch Kaiser<lb/> Josephs II., Oesterreich zu germanisiren, verunglückt war.<lb/> Jeder einzelne Stat sollte mit den Kräften der übrigen be-<lb/> zwungen werden. <note place="foot" n="1"><hi rendition="#i">De Parieu</hi> Polit. S. 304 theilt eine Aeuszerung des Kaisers Franz II.<lb/> an den französischen Botschafter in Wien mit: „Mes peuples sont étrangers<lb/> les uns aux autres et c'est tant mieux. Ils ne prennent pas les mêmes<lb/> maladies en même temps. En France, quand la fièvre vient, elle vous<lb/> prend tous le même jour. Je mets des Hongrois en Italie et des Italiens<lb/> en Hongrie. Chacun garde son voisin; ils ne se comprennent pas et se<lb/> détestent. De leurs antipathies nait l'ordre et de leur haine<lb/> réciproque<lb/> la paix générale.“</note> Diese mechanische Methode der gewalt-<lb/> samen Einigung kann wohl das Ganze künstlich zusammen<lb/> halten, aber nur so lange als die eiserne Gewalt gefürchtet<lb/> wird. Wenn ihr Zwang nachläszt oder unanwendbar wird,<lb/> dann treiben die gekränkten und miszhandelten Nationalitäten<lb/> nur um so leidenschaftlicher aus einander. Oesterreich hat<lb/> das seit 1848 erfahren.</p><lb/> <p>B) Die verschiedenen Nationalitäten sind nicht massen-<lb/> haft neben einander gelagert, sondern <hi rendition="#g">durch einander ge</hi>-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0128]
Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
centralen Gebirgsstocke zwischen Deutschland, Frankreich und
Italien haben sich so Bruchstücke der drei groszen Nationen
zu kleinen republikanischen Gemeinwesen gestaltet und zu
einem friedlichen und neutralen Gesammtkörper geeinigt. Die
einzelnen Cantone freilich sind durchweg nationale Staten, sei
es weil ihre ganze Bevölkerung nur Einer Nation angehört,
wie in den deutschen Cantonen der nördlichen und östlichen
Schweiz oder in den französischen Cantonen der westlichen
Schweiz, oder in dem italienischen Tessin, sei es weil eine
Nationalität entschieden über die andern Elemente überwiegt,
wie in Bern und Graubündten die deutsche über die wälsche,
in Freiburg und in Wallis die französische über die deutsche.
Eine völlig andere Methode, die verschiedenen Nationen
statlich zusammen zu halten ohne sie umzugestalten, hatte die
österreichische Politik eine Zeit lang mit scheinbarem
Erfolge eingeschlagen, nachdem zuvor der Versuch Kaiser
Josephs II., Oesterreich zu germanisiren, verunglückt war.
Jeder einzelne Stat sollte mit den Kräften der übrigen be-
zwungen werden. 1 Diese mechanische Methode der gewalt-
samen Einigung kann wohl das Ganze künstlich zusammen
halten, aber nur so lange als die eiserne Gewalt gefürchtet
wird. Wenn ihr Zwang nachläszt oder unanwendbar wird,
dann treiben die gekränkten und miszhandelten Nationalitäten
nur um so leidenschaftlicher aus einander. Oesterreich hat
das seit 1848 erfahren.
B) Die verschiedenen Nationalitäten sind nicht massen-
haft neben einander gelagert, sondern durch einander ge-
1 De Parieu Polit. S. 304 theilt eine Aeuszerung des Kaisers Franz II.
an den französischen Botschafter in Wien mit: „Mes peuples sont étrangers
les uns aux autres et c'est tant mieux. Ils ne prennent pas les mêmes
maladies en même temps. En France, quand la fièvre vient, elle vous
prend tous le même jour. Je mets des Hongrois en Italie et des Italiens
en Hongrie. Chacun garde son voisin; ils ne se comprennent pas et se
détestent. De leurs antipathies nait l'ordre et de leur haine
réciproque
la paix générale.“
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