Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel.
von dem Lehensverband, wurde nach und nach eingeführt. Be-
soldete königliche Truppen
dienten ohne Beschränkung
und Vorbehalt der königlichen Macht. Die groszen Herzog-
thümer und Grafschaften wurden eine nach der andern, bald
durch die Erbfolge, bald durch Vertrag, oft durch kriegerische
Gewalt mit der Krone vereinigt, und so die entäuszerten
Hoheitsrechte wieder concentrirt. So wurde die selbstän-
dige Herrschaft des Adels gebrochen
. Durch Lud-
wig
XI. (1461-1493) wurde dieser Sieg der königlichen
Souveränetät über die Seigneurs vollendet.

Der Adel hatte nur Bruchstücke seiner früheren Landes-
hoheit in die folgenden Jahrhunderte hinüber gerettet. Nur
als Gouverneure in einzelnen Provinzen, nicht mehr als
Landesherren vermochten sich die Groszen zu halten. Der
Adel war nun zu einem bevorzugten Stande von Unterthanen
geworden. Die Auszeichnungen, deren er theilhaft war, nahmen
mehr und mehr den Charakter von Privilegien an, die viel-
fältig mit den neuen Begriffen und Meinungen in Conflict ge-
riethen und gehässig wurden. 10 Wohl gab es auch später noch
Kämpfe zwischen dem Könige und dem Adel, aber sie waren
von ganz anderer Art als vordem. Es waren das nun Kämpfe
der politischen und religiösen, häufig auch bloszer Hof-
parteien
, an deren Spitze gewöhnlich Adelige standen. Woll-
ten Adelige zu Einfluss und Macht gelangen, so war das da-
mals nur im Dienste des Königs möglich. Die Theil-

10 Tocqueville (l'ancien regime) hat ausgeführt, wie sehr die Auf-
hebung der politischen Rechte des Adels und daneben die Fortdauer der
ökonomischen Vorrechte desselben zusammenwirkten, um den allgemeinen
Volkshasz gegen den Adel zu reizen. So lange die Herren und Ritter
noch die Gerichtsbarkeit zu besorgen hatten und für die öffentlichen
Bedürfnisse besonders thätig waren, begriff man ihre Befreiung von den
Statssteuern und ihre Bezüge von Grund- und Personalgefällen. Aber
seitdem die königliche Beamtung die ganze öffentliche Verwaltung und
die Rechtspflege übernommen hatte, und der Adel ebenso gehorchen
muszte, wie die Bürger und die Bauern, erschienen den Leuten jene
ökonomischen Rechte desselben als ungerechte Privilegien.

Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel.
von dem Lehensverband, wurde nach und nach eingeführt. Be-
soldete königliche Truppen
dienten ohne Beschränkung
und Vorbehalt der königlichen Macht. Die groszen Herzog-
thümer und Grafschaften wurden eine nach der andern, bald
durch die Erbfolge, bald durch Vertrag, oft durch kriegerische
Gewalt mit der Krone vereinigt, und so die entäuszerten
Hoheitsrechte wieder concentrirt. So wurde die selbstän-
dige Herrschaft des Adels gebrochen
. Durch Lud-
wig
XI. (1461-1493) wurde dieser Sieg der königlichen
Souveränetät über die Seigneurs vollendet.

Der Adel hatte nur Bruchstücke seiner früheren Landes-
hoheit in die folgenden Jahrhunderte hinüber gerettet. Nur
als Gouverneure in einzelnen Provinzen, nicht mehr als
Landesherren vermochten sich die Groszen zu halten. Der
Adel war nun zu einem bevorzugten Stande von Unterthanen
geworden. Die Auszeichnungen, deren er theilhaft war, nahmen
mehr und mehr den Charakter von Privilegien an, die viel-
fältig mit den neuen Begriffen und Meinungen in Conflict ge-
riethen und gehässig wurden. 10 Wohl gab es auch später noch
Kämpfe zwischen dem Könige und dem Adel, aber sie waren
von ganz anderer Art als vordem. Es waren das nun Kämpfe
der politischen und religiösen, häufig auch bloszer Hof-
parteien
, an deren Spitze gewöhnlich Adelige standen. Woll-
ten Adelige zu Einfluss und Macht gelangen, so war das da-
mals nur im Dienste des Königs möglich. Die Theil-

10 Tocqueville (l'ancien régime) hat ausgeführt, wie sehr die Auf-
hebung der politischen Rechte des Adels und daneben die Fortdauer der
ökonomischen Vorrechte desselben zusammenwirkten, um den allgemeinen
Volkshasz gegen den Adel zu reizen. So lange die Herren und Ritter
noch die Gerichtsbarkeit zu besorgen hatten und für die öffentlichen
Bedürfnisse besonders thätig waren, begriff man ihre Befreiung von den
Statssteuern und ihre Bezüge von Grund- und Personalgefällen. Aber
seitdem die königliche Beamtung die ganze öffentliche Verwaltung und
die Rechtspflege übernommen hatte, und der Adel ebenso gehorchen
muszte, wie die Bürger und die Bauern, erschienen den Leuten jene
ökonomischen Rechte desselben als ungerechte Privilegien.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0167" n="149"/><fw place="top" type="header">Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel.</fw><lb/>
von dem Lehensverband, wurde nach und nach eingeführt. <hi rendition="#g">Be-<lb/>
soldete königliche Truppen</hi> dienten ohne Beschränkung<lb/>
und Vorbehalt der königlichen Macht. Die groszen Herzog-<lb/>
thümer und Grafschaften wurden eine nach der andern, bald<lb/>
durch die Erbfolge, bald durch Vertrag, oft durch kriegerische<lb/>
Gewalt mit der Krone vereinigt, und so die entäuszerten<lb/>
Hoheitsrechte wieder concentrirt. So wurde die <hi rendition="#g">selbstän-<lb/>
dige Herrschaft des Adels gebrochen</hi>. Durch <hi rendition="#g">Lud-<lb/>
wig</hi> XI. (1461-1493) wurde dieser Sieg der königlichen<lb/>
Souveränetät über die Seigneurs vollendet.</p><lb/>
          <p>Der Adel hatte nur Bruchstücke seiner früheren Landes-<lb/>
hoheit in die folgenden Jahrhunderte hinüber gerettet. Nur<lb/>
als <hi rendition="#g">Gouverneure</hi> in einzelnen Provinzen, nicht mehr als<lb/>
Landesherren vermochten sich die Groszen zu halten. Der<lb/>
Adel war nun zu einem bevorzugten Stande von Unterthanen<lb/>
geworden. Die Auszeichnungen, deren er theilhaft war, nahmen<lb/>
mehr und mehr den Charakter von <hi rendition="#g">Privilegien</hi> an, die viel-<lb/>
fältig mit den neuen Begriffen und Meinungen in Conflict ge-<lb/>
riethen und gehässig wurden. <note place="foot" n="10"><hi rendition="#i">Tocqueville</hi> (l'ancien régime) hat ausgeführt, wie sehr die Auf-<lb/>
hebung der politischen Rechte des Adels und daneben die Fortdauer der<lb/>
ökonomischen Vorrechte desselben zusammenwirkten, um den allgemeinen<lb/>
Volkshasz gegen den Adel zu reizen. So lange die Herren und Ritter<lb/>
noch die Gerichtsbarkeit zu besorgen hatten und für die öffentlichen<lb/>
Bedürfnisse besonders thätig waren, begriff man ihre Befreiung von den<lb/>
Statssteuern und ihre Bezüge von Grund- und Personalgefällen. Aber<lb/>
seitdem die königliche Beamtung die ganze öffentliche Verwaltung und<lb/>
die Rechtspflege übernommen hatte, und der Adel ebenso gehorchen<lb/>
muszte, wie die Bürger und die Bauern, erschienen den Leuten jene<lb/>
ökonomischen Rechte desselben als ungerechte Privilegien.</note> Wohl gab es auch später noch<lb/>
Kämpfe zwischen dem Könige und dem Adel, aber sie waren<lb/>
von ganz anderer Art als vordem. Es waren das nun Kämpfe<lb/>
der <hi rendition="#g">politischen</hi> und <hi rendition="#g">religiösen</hi>, häufig auch bloszer <hi rendition="#g">Hof-<lb/>
parteien</hi>, an deren Spitze gewöhnlich Adelige standen. Woll-<lb/>
ten Adelige zu Einfluss und Macht gelangen, so war das da-<lb/>
mals nur im <hi rendition="#g">Dienste des Königs</hi> möglich. Die Theil-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0167] Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel. von dem Lehensverband, wurde nach und nach eingeführt. Be- soldete königliche Truppen dienten ohne Beschränkung und Vorbehalt der königlichen Macht. Die groszen Herzog- thümer und Grafschaften wurden eine nach der andern, bald durch die Erbfolge, bald durch Vertrag, oft durch kriegerische Gewalt mit der Krone vereinigt, und so die entäuszerten Hoheitsrechte wieder concentrirt. So wurde die selbstän- dige Herrschaft des Adels gebrochen. Durch Lud- wig XI. (1461-1493) wurde dieser Sieg der königlichen Souveränetät über die Seigneurs vollendet. Der Adel hatte nur Bruchstücke seiner früheren Landes- hoheit in die folgenden Jahrhunderte hinüber gerettet. Nur als Gouverneure in einzelnen Provinzen, nicht mehr als Landesherren vermochten sich die Groszen zu halten. Der Adel war nun zu einem bevorzugten Stande von Unterthanen geworden. Die Auszeichnungen, deren er theilhaft war, nahmen mehr und mehr den Charakter von Privilegien an, die viel- fältig mit den neuen Begriffen und Meinungen in Conflict ge- riethen und gehässig wurden. 10 Wohl gab es auch später noch Kämpfe zwischen dem Könige und dem Adel, aber sie waren von ganz anderer Art als vordem. Es waren das nun Kämpfe der politischen und religiösen, häufig auch bloszer Hof- parteien, an deren Spitze gewöhnlich Adelige standen. Woll- ten Adelige zu Einfluss und Macht gelangen, so war das da- mals nur im Dienste des Königs möglich. Die Theil- 10 Tocqueville (l'ancien régime) hat ausgeführt, wie sehr die Auf- hebung der politischen Rechte des Adels und daneben die Fortdauer der ökonomischen Vorrechte desselben zusammenwirkten, um den allgemeinen Volkshasz gegen den Adel zu reizen. So lange die Herren und Ritter noch die Gerichtsbarkeit zu besorgen hatten und für die öffentlichen Bedürfnisse besonders thätig waren, begriff man ihre Befreiung von den Statssteuern und ihre Bezüge von Grund- und Personalgefällen. Aber seitdem die königliche Beamtung die ganze öffentliche Verwaltung und die Rechtspflege übernommen hatte, und der Adel ebenso gehorchen muszte, wie die Bürger und die Bauern, erschienen den Leuten jene ökonomischen Rechte desselben als ungerechte Privilegien.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/167
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/167>, abgerufen am 21.11.2024.