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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel.
daher dieser Adel fortwährend neue individuelle Zuflüsse. Ihm
verwandt war der Adel der Doctoren der Rechte (milites
litterati, legales), der einzige, der nicht von der königlichen
Gunst ertheilt wurde, sondern auf wissenschaftlicher Auszeich-
nung beruhte.

Einen schlimmeren Bestandtheil erhielt der Adel in der
groszen Zahl derer, welche durch Adelsbriefe, häufig blosz
um der Taxe willen, welche dafür bezahlt werden muszte,
nicht selten auch zur Belohnung für Dienste, die nicht immer
ehrenvoll waren, in den erblichen Adelsstand erhoben wurden 12
(noblesse par lettres).

5. Die kurze aber gewaltig eingreifende Zeit der fran-
zösischen Revolution (1789 bis 1799) zerstörte das ganze In-
stitut des Adels. Sie begann mit der Fusion der früher
getrennten Stände in einer allgemeinen Nationalversammlung.
Dann hob sie den Adel auf als eine dem demokratischen
Princip der Gleichheit (Egalite) widersprechende Auszeichnung.13
Endlich suchte sie die Adeligen mit Hülfe der gleichmachen-
den Guillotine auszurotten.

6. Als die Leidenschaften der Revolution sich in dem
Blute der hervorragenden Männer gesättigt und ihre Gleich-
heitstheorie die scharfe Schneide an dem Widerstande der
realen Verhältnisse abgestumpft hatte, wurden auch in Frank-
reich verschiedene Versuche gemacht, den Adel in neuer

12 Vgl. über diesen Abschnitt Schäffner a. a. O. Bd. II.
13 Gesetz v. 25. Juni 1790. Art. 1. "La noblesse hereditaire est pour
toujours abolie; en consequence les titres de prince, de duc, de comte
etc. -- ne seront pris par qui que ce soit, ni donnes a personne." Ver-
fassung v. Sept. 1791. "La Constitution garantit comme droits naturels
et civils 1) que tous les citoyens sont admissibles aux places et emplois,
sans autre distinction que celle des vertus et des talens; 2) que toutes
les contributions seront reparties entre tous les citoyens egalement, en
proportion de leurs facultes."
V. 1795. Art. 3. "L'egalite n'admet aucune distinction de naissance,
aucune heredite de pouvoirs."

Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel.
daher dieser Adel fortwährend neue individuelle Zuflüsse. Ihm
verwandt war der Adel der Doctoren der Rechte (milites
litterati, legales), der einzige, der nicht von der königlichen
Gunst ertheilt wurde, sondern auf wissenschaftlicher Auszeich-
nung beruhte.

Einen schlimmeren Bestandtheil erhielt der Adel in der
groszen Zahl derer, welche durch Adelsbriefe, häufig blosz
um der Taxe willen, welche dafür bezahlt werden muszte,
nicht selten auch zur Belohnung für Dienste, die nicht immer
ehrenvoll waren, in den erblichen Adelsstand erhoben wurden 12
(noblesse par lettres).

5. Die kurze aber gewaltig eingreifende Zeit der fran-
zösischen Revolution (1789 bis 1799) zerstörte das ganze In-
stitut des Adels. Sie begann mit der Fusion der früher
getrennten Stände in einer allgemeinen Nationalversammlung.
Dann hob sie den Adel auf als eine dem demokratischen
Princip der Gleichheit (Égalité) widersprechende Auszeichnung.13
Endlich suchte sie die Adeligen mit Hülfe der gleichmachen-
den Guillotine auszurotten.

6. Als die Leidenschaften der Revolution sich in dem
Blute der hervorragenden Männer gesättigt und ihre Gleich-
heitstheorie die scharfe Schneide an dem Widerstande der
realen Verhältnisse abgestumpft hatte, wurden auch in Frank-
reich verschiedene Versuche gemacht, den Adel in neuer

12 Vgl. über diesen Abschnitt Schäffner a. a. O. Bd. II.
13 Gesetz v. 25. Juni 1790. Art. 1. „La noblesse héréditaire est pour
toujours abolie; en conséquence les titres de prince, de duc, de comte
etc. — ne seront pris par qui que ce soit, ni donnés à personne.“ Ver-
fassung v. Sept. 1791. „La Constitution garantit comme droits naturels
et civils 1) que tous les citoyens sont admissibles aux places et emplois,
sans autre distinction que celle des vertus et des talens; 2) que toutes
les contributions seront réparties entre tous les citoyens également, en
proportion de leurs facultés.“
V. 1795. Art. 3. „L'égalité n'admet aucune distinction de naissance,
aucune hérédité de pouvoirs.“
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[151/0169] Zehntes Capitel. 2. Der Adel. A. Der französische Adel. daher dieser Adel fortwährend neue individuelle Zuflüsse. Ihm verwandt war der Adel der Doctoren der Rechte (milites litterati, legales), der einzige, der nicht von der königlichen Gunst ertheilt wurde, sondern auf wissenschaftlicher Auszeich- nung beruhte. Einen schlimmeren Bestandtheil erhielt der Adel in der groszen Zahl derer, welche durch Adelsbriefe, häufig blosz um der Taxe willen, welche dafür bezahlt werden muszte, nicht selten auch zur Belohnung für Dienste, die nicht immer ehrenvoll waren, in den erblichen Adelsstand erhoben wurden 12 (noblesse par lettres). 5. Die kurze aber gewaltig eingreifende Zeit der fran- zösischen Revolution (1789 bis 1799) zerstörte das ganze In- stitut des Adels. Sie begann mit der Fusion der früher getrennten Stände in einer allgemeinen Nationalversammlung. Dann hob sie den Adel auf als eine dem demokratischen Princip der Gleichheit (Égalité) widersprechende Auszeichnung. 13 Endlich suchte sie die Adeligen mit Hülfe der gleichmachen- den Guillotine auszurotten. 6. Als die Leidenschaften der Revolution sich in dem Blute der hervorragenden Männer gesättigt und ihre Gleich- heitstheorie die scharfe Schneide an dem Widerstande der realen Verhältnisse abgestumpft hatte, wurden auch in Frank- reich verschiedene Versuche gemacht, den Adel in neuer 12 Vgl. über diesen Abschnitt Schäffner a. a. O. Bd. II. 13 Gesetz v. 25. Juni 1790. Art. 1. „La noblesse héréditaire est pour toujours abolie; en conséquence les titres de prince, de duc, de comte etc. — ne seront pris par qui que ce soit, ni donnés à personne.“ Ver- fassung v. Sept. 1791. „La Constitution garantit comme droits naturels et civils 1) que tous les citoyens sont admissibles aux places et emplois, sans autre distinction que celle des vertus et des talens; 2) que toutes les contributions seront réparties entre tous les citoyens également, en proportion de leurs facultés.“ V. 1795. Art. 3. „L'égalité n'admet aucune distinction de naissance, aucune hérédité de pouvoirs.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/169>, abgerufen am 21.11.2024.