Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Wahrheit auch einen Individualadel, der Anerkennung verlangt, neben dem (erblichen) Rasseadel, und auch eine edle Rasse kann in folgenden Generationen und getrennt von ihren socialen Grundlagen ihren Adel verlieren.
Anmerkungen. 1. Riehl hat in seinem Buch "die bürgerliche Gesellschaft" (1854) die sociale Bedeutung "der deutschen Aristokratie" in lebhaften Bildern gezeichnet. Der Adel hat gegenwärtig nur noch eine sociale Geltung, die auch für sich einen Werth hat, aber ohne politische Organisation weder auf die Dauer zu erhalten ist, noch zur rechten Wirksamkeit gelangen kann. Die Stände sind als sociale Ge- meinschaften nur eine Unterlage der organischen und dann erst wirklichen politischen Classen.
2. Die Ansichten, welche ich im Deutschen Statswörterbuch I. S. 30 ff. und S. 58 ff. ausgesprochen habe, heben vornehmlich den Unterschied hervor zwischen ruhendem (passivem) und wirklichem (activem) Adel und gründen darauf Vorschläge der Reform. Jener schon durch die Geburt verliehen, hat nur die Möglichkeit in sich, wirklich zu wer- den, aber gibt keinerlei Vorzüge; dieser setzt auch die persönliche Aus- zeichnung voraus, durch die jene Möglichkeit erfüllt wird. Ich habe seitdem die wenig tröstliche Entdeckung gemacht, dasz schon Justus Möser auf denselben Gedanken vor zwei Menschenaltern gekommen (Patriot. Phantasien, IV. 248) und dasz derselbe in der ganzen langen Zwischenzeit gänzlich miszachtet geblieben war. Bluntschli Geschichte der Statswissenschaft S. 423.
Vierzehntes Capitel. 3. Der Bürgerstand.
Der Bürgerstand ist in Europa später als der ritterschaft- liche Stand des niedern Adels, aber noch im Mittelalter zu einem mit politischen Rechten ausgestatteten Volksstande ge- worden. Die Wurzeln der Institution sind in dem alten Erb- stande der Gemeinfreien zu finden, welche ursprünglich den eigentlichen Stamm der verschiedenen deutschen Stämme und Völker gebildet hatten. Aber sie konnte nur in dem
Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Wahrheit auch einen Individualadel, der Anerkennung verlangt, neben dem (erblichen) Rasseadel, und auch eine edle Rasse kann in folgenden Generationen und getrennt von ihren socialen Grundlagen ihren Adel verlieren.
Anmerkungen. 1. Riehl hat in seinem Buch „die bürgerliche Gesellschaft“ (1854) die sociale Bedeutung „der deutschen Aristokratie“ in lebhaften Bildern gezeichnet. Der Adel hat gegenwärtig nur noch eine sociale Geltung, die auch für sich einen Werth hat, aber ohne politische Organisation weder auf die Dauer zu erhalten ist, noch zur rechten Wirksamkeit gelangen kann. Die Stände sind als sociale Ge- meinschaften nur eine Unterlage der organischen und dann erst wirklichen politischen Classen.
2. Die Ansichten, welche ich im Deutschen Statswörterbuch I. S. 30 ff. und S. 58 ff. ausgesprochen habe, heben vornehmlich den Unterschied hervor zwischen ruhendem (passivem) und wirklichem (activem) Adel und gründen darauf Vorschläge der Reform. Jener schon durch die Geburt verliehen, hat nur die Möglichkeit in sich, wirklich zu wer- den, aber gibt keinerlei Vorzüge; dieser setzt auch die persönliche Aus- zeichnung voraus, durch die jene Möglichkeit erfüllt wird. Ich habe seitdem die wenig tröstliche Entdeckung gemacht, dasz schon Justus Möser auf denselben Gedanken vor zwei Menschenaltern gekommen (Patriot. Phantasien, IV. 248) und dasz derselbe in der ganzen langen Zwischenzeit gänzlich miszachtet geblieben war. Bluntschli Geschichte der Statswissenschaft S. 423.
Vierzehntes Capitel. 3. Der Bürgerstand.
Der Bürgerstand ist in Europa später als der ritterschaft- liche Stand des niedern Adels, aber noch im Mittelalter zu einem mit politischen Rechten ausgestatteten Volksstande ge- worden. Die Wurzeln der Institution sind in dem alten Erb- stande der Gemeinfreien zu finden, welche ursprünglich den eigentlichen Stamm der verschiedenen deutschen Stämme und Völker gebildet hatten. Aber sie konnte nur in dem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0194"n="176"/><fwplace="top"type="header">Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.</fw><lb/>
Wahrheit auch einen <hirendition="#g">Individualadel</hi>, der Anerkennung<lb/>
verlangt, neben dem (erblichen) <hirendition="#g">Rasseadel</hi>, und auch eine<lb/>
edle Rasse kann in folgenden Generationen und getrennt von<lb/>
ihren socialen Grundlagen ihren Adel verlieren.</p><lb/><p><hirendition="#g">Anmerkungen</hi>. 1. <hirendition="#g">Riehl</hi> hat in seinem Buch „die bürgerliche<lb/>
Gesellschaft“ (1854) die <hirendition="#g">sociale</hi> Bedeutung „der deutschen<lb/>
Aristokratie“<lb/>
in lebhaften Bildern gezeichnet. Der Adel hat gegenwärtig nur noch<lb/>
eine sociale Geltung, die auch für sich einen Werth hat, aber ohne<lb/>
politische Organisation weder auf die Dauer zu erhalten ist, noch zur<lb/>
rechten Wirksamkeit gelangen kann. Die Stände sind als sociale Ge-<lb/>
meinschaften nur eine Unterlage der <hirendition="#g">organischen</hi> und dann erst<lb/><hirendition="#g">wirklichen politischen</hi> Classen.</p><lb/><p>2. Die Ansichten, welche ich im Deutschen Statswörterbuch I. S. 30 ff.<lb/>
und S. 58 ff. ausgesprochen habe, heben vornehmlich den Unterschied<lb/>
hervor zwischen <hirendition="#g">ruhendem</hi> (passivem) und <hirendition="#g">wirklichem</hi> (activem)<lb/>
Adel und gründen darauf Vorschläge der Reform. Jener schon durch<lb/>
die Geburt verliehen, hat nur die Möglichkeit in sich, wirklich zu wer-<lb/>
den, aber gibt keinerlei Vorzüge; dieser setzt auch die persönliche Aus-<lb/>
zeichnung voraus, durch die jene Möglichkeit erfüllt wird. Ich habe<lb/>
seitdem die wenig tröstliche Entdeckung gemacht, dasz schon <hirendition="#i">Justus<lb/>
Möser</hi> auf denselben Gedanken vor zwei Menschenaltern gekommen<lb/>
(Patriot. Phantasien, IV. 248) und dasz derselbe in der ganzen langen<lb/>
Zwischenzeit gänzlich miszachtet geblieben war. <hirendition="#g">Bluntschli</hi> Geschichte<lb/>
der Statswissenschaft S. 423.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>Vierzehntes Capitel.<lb/><hirendition="#b">3. <hirendition="#g">Der Bürgerstand</hi>.</hi></head><lb/><p>Der Bürgerstand ist in Europa später als der ritterschaft-<lb/>
liche Stand des niedern Adels, aber noch im Mittelalter zu<lb/>
einem mit politischen Rechten ausgestatteten Volksstande ge-<lb/>
worden. Die Wurzeln der Institution sind in dem alten Erb-<lb/>
stande der <hirendition="#g">Gemeinfreien</hi> zu finden, welche ursprünglich<lb/>
den eigentlichen Stamm der verschiedenen deutschen Stämme<lb/>
und Völker gebildet hatten. Aber sie konnte nur in dem<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[176/0194]
Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Wahrheit auch einen Individualadel, der Anerkennung
verlangt, neben dem (erblichen) Rasseadel, und auch eine
edle Rasse kann in folgenden Generationen und getrennt von
ihren socialen Grundlagen ihren Adel verlieren.
Anmerkungen. 1. Riehl hat in seinem Buch „die bürgerliche
Gesellschaft“ (1854) die sociale Bedeutung „der deutschen
Aristokratie“
in lebhaften Bildern gezeichnet. Der Adel hat gegenwärtig nur noch
eine sociale Geltung, die auch für sich einen Werth hat, aber ohne
politische Organisation weder auf die Dauer zu erhalten ist, noch zur
rechten Wirksamkeit gelangen kann. Die Stände sind als sociale Ge-
meinschaften nur eine Unterlage der organischen und dann erst
wirklichen politischen Classen.
2. Die Ansichten, welche ich im Deutschen Statswörterbuch I. S. 30 ff.
und S. 58 ff. ausgesprochen habe, heben vornehmlich den Unterschied
hervor zwischen ruhendem (passivem) und wirklichem (activem)
Adel und gründen darauf Vorschläge der Reform. Jener schon durch
die Geburt verliehen, hat nur die Möglichkeit in sich, wirklich zu wer-
den, aber gibt keinerlei Vorzüge; dieser setzt auch die persönliche Aus-
zeichnung voraus, durch die jene Möglichkeit erfüllt wird. Ich habe
seitdem die wenig tröstliche Entdeckung gemacht, dasz schon Justus
Möser auf denselben Gedanken vor zwei Menschenaltern gekommen
(Patriot. Phantasien, IV. 248) und dasz derselbe in der ganzen langen
Zwischenzeit gänzlich miszachtet geblieben war. Bluntschli Geschichte
der Statswissenschaft S. 423.
Vierzehntes Capitel.
3. Der Bürgerstand.
Der Bürgerstand ist in Europa später als der ritterschaft-
liche Stand des niedern Adels, aber noch im Mittelalter zu
einem mit politischen Rechten ausgestatteten Volksstande ge-
worden. Die Wurzeln der Institution sind in dem alten Erb-
stande der Gemeinfreien zu finden, welche ursprünglich
den eigentlichen Stamm der verschiedenen deutschen Stämme
und Völker gebildet hatten. Aber sie konnte nur in dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/194>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.