Achtzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. II. Die einzelnen Classen.
Achtzehntes Capitel. II. Die einzelnen Classen.
1. Die heutige regierende Classe steht in ihren Häup- tern, den Fürsten, noch in geschichtlichem Zusammenhange mit der früheren Institution des hohen Adels, über den sie sich zu einer statsrechtlich souveränen Stellung erhoben hat. Ihre untergeordneten Glieder, die Beamten und Offi- ciere, in der Republik auch die obersten Beamten, stammen grösztentheils aus den beiden Mittelclassen ab, und bleiben gesellschaftlich mit denselben verbunden; oder wenn ihre Eltern den groszen, unteren Volksclassen angehören, so sind sie doch durch ihre höhere Bildung und ihr Berufsleben auf die gesellschaftliche Höhe jener mittleren Classen der Aristo- kratie oder des höheren Bürgerthums aufgestiegen und blei- ben mit denselben verbunden, wenn sie ihr Amt aufgeben oder verlieren. Durch ihre Autorität und ihre Amtsgewalt überragen sie dieselben noch. Die untersten Stufen der nie- deren Aemter und Stellen verzweigen sich auch in die wei- tere vierte Classe hinein, der weniger gebildeten Massen.
2. Die heutige Aristokratie ist nicht mehr wie die mittelalterliche ein fester, abgeschlossener Stand, mit beson- deren Rechten. Sie wird mit den übrigen Classen durch das gemeinsame Statsbürgerrecht und durch die wesentliche Rechtsgleichheit sowohl des öffentlichen als des Privat- rechts in eine rechtliche Gemeinschaft und Genossenschaft verbunden. Von Zeit zu Zeit steigen aus den übrigen Classen einzelne ausgezeichnete Männer mit ihren Familien auf ihre gesellschaftliche Höhe empor und werden nach und nach als neue Glieder der bestehenden Aristokratie anerkannt. Oefter noch verlieren andere bisherige Mitglieder derselben oder deren Abkömmlinge die Bedingungen einer aristokratischen Auszeichnung und werden genöthigt, von der sonnigen Höhe
Achtzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. II. Die einzelnen Classen.
Achtzehntes Capitel. II. Die einzelnen Classen.
1. Die heutige regierende Classe steht in ihren Häup- tern, den Fürsten, noch in geschichtlichem Zusammenhange mit der früheren Institution des hohen Adels, über den sie sich zu einer statsrechtlich souveränen Stellung erhoben hat. Ihre untergeordneten Glieder, die Beamten und Offi- ciere, in der Republik auch die obersten Beamten, stammen grösztentheils aus den beiden Mittelclassen ab, und bleiben gesellschaftlich mit denselben verbunden; oder wenn ihre Eltern den groszen, unteren Volksclassen angehören, so sind sie doch durch ihre höhere Bildung und ihr Berufsleben auf die gesellschaftliche Höhe jener mittleren Classen der Aristo- kratie oder des höheren Bürgerthums aufgestiegen und blei- ben mit denselben verbunden, wenn sie ihr Amt aufgeben oder verlieren. Durch ihre Autorität und ihre Amtsgewalt überragen sie dieselben noch. Die untersten Stufen der nie- deren Aemter und Stellen verzweigen sich auch in die wei- tere vierte Classe hinein, der weniger gebildeten Massen.
2. Die heutige Aristokratie ist nicht mehr wie die mittelalterliche ein fester, abgeschlossener Stand, mit beson- deren Rechten. Sie wird mit den übrigen Classen durch das gemeinsame Statsbürgerrecht und durch die wesentliche Rechtsgleichheit sowohl des öffentlichen als des Privat- rechts in eine rechtliche Gemeinschaft und Genossenschaft verbunden. Von Zeit zu Zeit steigen aus den übrigen Classen einzelne ausgezeichnete Männer mit ihren Familien auf ihre gesellschaftliche Höhe empor und werden nach und nach als neue Glieder der bestehenden Aristokratie anerkannt. Oefter noch verlieren andere bisherige Mitglieder derselben oder deren Abkömmlinge die Bedingungen einer aristokratischen Auszeichnung und werden genöthigt, von der sonnigen Höhe
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0221"n="203"/><fwplace="top"type="header">Achtzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. II. Die einzelnen Classen.</fw><lb/><divn="2"><head>Achtzehntes Capitel.<lb/><hirendition="#b">II. <hirendition="#g">Die einzelnen Classen</hi>.</hi></head><lb/><p>1. Die heutige <hirendition="#g">regierende</hi> Classe steht in ihren Häup-<lb/>
tern, den <hirendition="#g">Fürsten</hi>, noch in geschichtlichem Zusammenhange<lb/>
mit der früheren Institution des hohen Adels, über den<lb/>
sie sich zu einer statsrechtlich souveränen Stellung erhoben<lb/>
hat. Ihre untergeordneten Glieder, die <hirendition="#g">Beamten</hi> und <hirendition="#g">Offi-<lb/>
ciere</hi>, in der Republik auch die obersten Beamten, stammen<lb/>
grösztentheils aus den beiden Mittelclassen ab, und bleiben<lb/>
gesellschaftlich mit denselben verbunden; oder wenn ihre<lb/>
Eltern den groszen, unteren Volksclassen angehören, so sind<lb/>
sie doch durch ihre höhere Bildung und ihr Berufsleben auf<lb/>
die gesellschaftliche Höhe jener mittleren Classen der Aristo-<lb/>
kratie oder des höheren Bürgerthums aufgestiegen und blei-<lb/>
ben mit denselben verbunden, wenn sie ihr Amt aufgeben<lb/>
oder verlieren. Durch ihre Autorität und ihre Amtsgewalt<lb/>
überragen sie dieselben noch. Die untersten Stufen der nie-<lb/>
deren Aemter und Stellen verzweigen sich auch in die wei-<lb/>
tere vierte Classe hinein, der weniger gebildeten Massen.</p><lb/><p>2. Die heutige <hirendition="#g">Aristokratie</hi> ist nicht mehr wie die<lb/>
mittelalterliche ein fester, abgeschlossener Stand, mit beson-<lb/>
deren Rechten. Sie wird mit den übrigen Classen durch das<lb/>
gemeinsame <hirendition="#g">Statsbürgerrecht</hi> und durch die wesentliche<lb/><hirendition="#g">Rechtsgleichheit</hi> sowohl des öffentlichen als des Privat-<lb/>
rechts in eine rechtliche Gemeinschaft und Genossenschaft<lb/>
verbunden. Von Zeit zu Zeit steigen aus den übrigen Classen<lb/>
einzelne ausgezeichnete Männer mit ihren Familien auf ihre<lb/>
gesellschaftliche Höhe empor und werden nach und nach als<lb/>
neue Glieder der bestehenden Aristokratie anerkannt. Oefter<lb/>
noch verlieren andere bisherige Mitglieder derselben oder<lb/>
deren Abkömmlinge die Bedingungen einer aristokratischen<lb/>
Auszeichnung und werden genöthigt, von der sonnigen Höhe<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[203/0221]
Achtzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. II. Die einzelnen Classen.
Achtzehntes Capitel.
II. Die einzelnen Classen.
1. Die heutige regierende Classe steht in ihren Häup-
tern, den Fürsten, noch in geschichtlichem Zusammenhange
mit der früheren Institution des hohen Adels, über den
sie sich zu einer statsrechtlich souveränen Stellung erhoben
hat. Ihre untergeordneten Glieder, die Beamten und Offi-
ciere, in der Republik auch die obersten Beamten, stammen
grösztentheils aus den beiden Mittelclassen ab, und bleiben
gesellschaftlich mit denselben verbunden; oder wenn ihre
Eltern den groszen, unteren Volksclassen angehören, so sind
sie doch durch ihre höhere Bildung und ihr Berufsleben auf
die gesellschaftliche Höhe jener mittleren Classen der Aristo-
kratie oder des höheren Bürgerthums aufgestiegen und blei-
ben mit denselben verbunden, wenn sie ihr Amt aufgeben
oder verlieren. Durch ihre Autorität und ihre Amtsgewalt
überragen sie dieselben noch. Die untersten Stufen der nie-
deren Aemter und Stellen verzweigen sich auch in die wei-
tere vierte Classe hinein, der weniger gebildeten Massen.
2. Die heutige Aristokratie ist nicht mehr wie die
mittelalterliche ein fester, abgeschlossener Stand, mit beson-
deren Rechten. Sie wird mit den übrigen Classen durch das
gemeinsame Statsbürgerrecht und durch die wesentliche
Rechtsgleichheit sowohl des öffentlichen als des Privat-
rechts in eine rechtliche Gemeinschaft und Genossenschaft
verbunden. Von Zeit zu Zeit steigen aus den übrigen Classen
einzelne ausgezeichnete Männer mit ihren Familien auf ihre
gesellschaftliche Höhe empor und werden nach und nach als
neue Glieder der bestehenden Aristokratie anerkannt. Oefter
noch verlieren andere bisherige Mitglieder derselben oder
deren Abkömmlinge die Bedingungen einer aristokratischen
Auszeichnung und werden genöthigt, von der sonnigen Höhe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/221>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.