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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Achtzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. II. Die einzelnen Classen.

3. Gebildetes Bürgerthum. (Sogenannter dritter
Stand
.)

Die Geschichte der französischen Revolution wirft auf
die Natur dieser Classe ein helles Licht. In Frankreich war
der Ausdruck dritter Stand der ständischen Verfassung des
Mittelalters entlehnt, und bezeichnete den in die General-
stände berufenen Bürgerstand, welcher hinter den aristokra-
tischen Ständen des Klerus und Adels eine bescheidene, fast
demüthige Stellung bekommen hatte.

Der Abt Sieyes, dessen berühmte Schrift über den
dritten Stand zu einer Leuchte und zu einer Brandfackel für
die erste französische Revolution geworden ist, hat bekanntlich
die beiden Fragen aufgeworfen: Was ist der dritte Stand?
und: Was ist der dritte Stand bisher in dem politischen
Organismus gewesen? und die erste mit: Alles, die letzte
mit: Nichts beantwortet. Die Antwort auf die erste Frage
-- so outrirt als die auf die zweite -- hebt, indem sie die
Ansprüche des dritten Standes steigert, den Begriff des drit-
ten Standes auf. Wenn der dritte Stand wirklich im State
Alles ist, so kann es auszer ihm weder einen ersten und
zweiten, noch einen vierten Stand geben. Er ist dann sel-
ber kein Stand und keine besondere Classe mehr, er ist das
gesammte Volk.

In der ersten französischen Revolution verlangte denn
auch der dritte Stand wirklich, dasz die beiden ersten Stände
Frankreichs, Geistlichkeit und Adel, sich mit ihm in Einer
Nationalversammlung vereinigen. 1 Als das
durchgesetzt war,
löste er jene Stände in sich auf, und schlug als das Eine und
gleiche ständelose Volk die ganze bisherige Statsordnung
in Stücke. Aber damals schon reagirten trotz der gleich-

1 Schon durch die Wahl zu den
Etats generaux von 1789 war eine
Ausdehnung des Begriffs practisch geworden. Im Mittelalter war der
tiers etat auf die Stadtbürgerschaften beschränkt, 1789 aber wählten die
Bauern mit den Städtern. Tocqueville Oeuvres VIII. S. 139.
Achtzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. II. Die einzelnen Classen.

3. Gebildetes Bürgerthum. (Sogenannter dritter
Stand
.)

Die Geschichte der französischen Revolution wirft auf
die Natur dieser Classe ein helles Licht. In Frankreich war
der Ausdruck dritter Stand der ständischen Verfassung des
Mittelalters entlehnt, und bezeichnete den in die General-
stände berufenen Bürgerstand, welcher hinter den aristokra-
tischen Ständen des Klerus und Adels eine bescheidene, fast
demüthige Stellung bekommen hatte.

Der Abt Sieyes, dessen berühmte Schrift über den
dritten Stand zu einer Leuchte und zu einer Brandfackel für
die erste französische Revolution geworden ist, hat bekanntlich
die beiden Fragen aufgeworfen: Was ist der dritte Stand?
und: Was ist der dritte Stand bisher in dem politischen
Organismus gewesen? und die erste mit: Alles, die letzte
mit: Nichts beantwortet. Die Antwort auf die erste Frage
— so outrirt als die auf die zweite — hebt, indem sie die
Ansprüche des dritten Standes steigert, den Begriff des drit-
ten Standes auf. Wenn der dritte Stand wirklich im State
Alles ist, so kann es auszer ihm weder einen ersten und
zweiten, noch einen vierten Stand geben. Er ist dann sel-
ber kein Stand und keine besondere Classe mehr, er ist das
gesammte Volk.

In der ersten französischen Revolution verlangte denn
auch der dritte Stand wirklich, dasz die beiden ersten Stände
Frankreichs, Geistlichkeit und Adel, sich mit ihm in Einer
Nationalversammlung vereinigen. 1 Als das
durchgesetzt war,
löste er jene Stände in sich auf, und schlug als das Eine und
gleiche ständelose Volk die ganze bisherige Statsordnung
in Stücke. Aber damals schon reagirten trotz der gleich-

1 Schon durch die Wahl zu den
États généraux von 1789 war eine
Ausdehnung des Begriffs practisch geworden. Im Mittelalter war der
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Bauern mit den Städtern. Tocqueville Oeuvres VIII. S. 139.
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[205/0223] Achtzehntes Capitel. 5. Die modernen Classen. II. Die einzelnen Classen. 3. Gebildetes Bürgerthum. (Sogenannter dritter Stand.) Die Geschichte der französischen Revolution wirft auf die Natur dieser Classe ein helles Licht. In Frankreich war der Ausdruck dritter Stand der ständischen Verfassung des Mittelalters entlehnt, und bezeichnete den in die General- stände berufenen Bürgerstand, welcher hinter den aristokra- tischen Ständen des Klerus und Adels eine bescheidene, fast demüthige Stellung bekommen hatte. Der Abt Sieyes, dessen berühmte Schrift über den dritten Stand zu einer Leuchte und zu einer Brandfackel für die erste französische Revolution geworden ist, hat bekanntlich die beiden Fragen aufgeworfen: Was ist der dritte Stand? und: Was ist der dritte Stand bisher in dem politischen Organismus gewesen? und die erste mit: Alles, die letzte mit: Nichts beantwortet. Die Antwort auf die erste Frage — so outrirt als die auf die zweite — hebt, indem sie die Ansprüche des dritten Standes steigert, den Begriff des drit- ten Standes auf. Wenn der dritte Stand wirklich im State Alles ist, so kann es auszer ihm weder einen ersten und zweiten, noch einen vierten Stand geben. Er ist dann sel- ber kein Stand und keine besondere Classe mehr, er ist das gesammte Volk. In der ersten französischen Revolution verlangte denn auch der dritte Stand wirklich, dasz die beiden ersten Stände Frankreichs, Geistlichkeit und Adel, sich mit ihm in Einer Nationalversammlung vereinigen. 1 Als das durchgesetzt war, löste er jene Stände in sich auf, und schlug als das Eine und gleiche ständelose Volk die ganze bisherige Statsordnung in Stücke. Aber damals schon reagirten trotz der gleich- 1 Schon durch die Wahl zu den États généraux von 1789 war eine Ausdehnung des Begriffs practisch geworden. Im Mittelalter war der tiers état auf die Stadtbürgerschaften beschränkt, 1789 aber wählten die Bauern mit den Städtern. Tocqueville Oeuvres VIII. S. 139.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/223>, abgerufen am 24.11.2024.