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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Vorstellung, die Bewohner lediglich mathematisch nach dem
Vermögen in Besitzende und Nichtbesitzende zu trennen
und die letzteren gar als Proletariat zusammen zu fassen und
den ersteren feindlich entgegen zu stellen. Würde diese un-
organische Meinung, der viel zu viel Vorschub geleistet wor-
den ist, allgemein durchdringen und leitend werden, so müszte
unsere ganze Civilisation von einer neuen Barbarei überfluthet
und zertreten werden, denn das wäre die practische Conse-
quenz jener gedankenlosen Lehre. Die grosze Mehrzahl der
nichtbesitzenden Bevölkerung ist aber glücklicher Weise mit
den übrigen Berufssständen noch organisch verbun-
den
und wird durch diese Verbindung befriedigt. Die be-
sitzlosen Kinder
sind keine Proletarier, weil sie in der
Familie ihrer Eltern Pflege, Erziehung, Unterhalt finden. Sie
theilen den Stand der Eltern, und selbst über die armen
Waisen ergänzt und ersetzt der Organismus der Gemeinde
die Familie. Die grosze Zahl der besitzlosen Bauern-
knechte
und Mägde sind wieder keine proletarische Bevöl-
kerung, weil sie nicht vereinzelt in der Welt stehen, son-
dern auf dem Hofe und in der Familie des Bauern eine
Heimat und gesicherten Theil an dem ständischen Leben
finden. Als das Handwerk besser organisirt war, als heut zu
Tage, waren auch die Gesellen Familienglieder der Meister,
und selbst in der jetzigen Auflösung ist in ihnen noch das
Gefühl des Handwerkstandes lebendig und hebt sie hoch em-
por über das Proletariat. Auch die Dienstboten erhalten
in der Verbindung mit der Dienstherrschaft eine beruhigte
Existenz und haben Theil als Gefolge ihrer Herrn an den
Verhältnissen dieser. Den Soldaten endlich gibt die Ein-
reihung in den Körper der Armee Sold und Ehre. Der
Mangel einer Organisation der Fabrikarbeiter aber ist
eine der krankhaftesten Seiten unserer heutigen Classen und
deszhalb ist in dieser Classe die Masse des Proletariats so
unverhältniszmäszig und drohend angewachsen.


Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.
Vorstellung, die Bewohner lediglich mathematisch nach dem
Vermögen in Besitzende und Nichtbesitzende zu trennen
und die letzteren gar als Proletariat zusammen zu fassen und
den ersteren feindlich entgegen zu stellen. Würde diese un-
organische Meinung, der viel zu viel Vorschub geleistet wor-
den ist, allgemein durchdringen und leitend werden, so müszte
unsere ganze Civilisation von einer neuen Barbarei überfluthet
und zertreten werden, denn das wäre die practische Conse-
quenz jener gedankenlosen Lehre. Die grosze Mehrzahl der
nichtbesitzenden Bevölkerung ist aber glücklicher Weise mit
den übrigen Berufssständen noch organisch verbun-
den
und wird durch diese Verbindung befriedigt. Die be-
sitzlosen Kinder
sind keine Proletarier, weil sie in der
Familie ihrer Eltern Pflege, Erziehung, Unterhalt finden. Sie
theilen den Stand der Eltern, und selbst über die armen
Waisen ergänzt und ersetzt der Organismus der Gemeinde
die Familie. Die grosze Zahl der besitzlosen Bauern-
knechte
und Mägde sind wieder keine proletarische Bevöl-
kerung, weil sie nicht vereinzelt in der Welt stehen, son-
dern auf dem Hofe und in der Familie des Bauern eine
Heimat und gesicherten Theil an dem ständischen Leben
finden. Als das Handwerk besser organisirt war, als heut zu
Tage, waren auch die Gesellen Familienglieder der Meister,
und selbst in der jetzigen Auflösung ist in ihnen noch das
Gefühl des Handwerkstandes lebendig und hebt sie hoch em-
por über das Proletariat. Auch die Dienstboten erhalten
in der Verbindung mit der Dienstherrschaft eine beruhigte
Existenz und haben Theil als Gefolge ihrer Herrn an den
Verhältnissen dieser. Den Soldaten endlich gibt die Ein-
reihung in den Körper der Armee Sold und Ehre. Der
Mangel einer Organisation der Fabrikarbeiter aber ist
eine der krankhaftesten Seiten unserer heutigen Classen und
deszhalb ist in dieser Classe die Masse des Proletariats so
unverhältniszmäszig und drohend angewachsen.


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[214/0232] Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. Vorstellung, die Bewohner lediglich mathematisch nach dem Vermögen in Besitzende und Nichtbesitzende zu trennen und die letzteren gar als Proletariat zusammen zu fassen und den ersteren feindlich entgegen zu stellen. Würde diese un- organische Meinung, der viel zu viel Vorschub geleistet wor- den ist, allgemein durchdringen und leitend werden, so müszte unsere ganze Civilisation von einer neuen Barbarei überfluthet und zertreten werden, denn das wäre die practische Conse- quenz jener gedankenlosen Lehre. Die grosze Mehrzahl der nichtbesitzenden Bevölkerung ist aber glücklicher Weise mit den übrigen Berufssständen noch organisch verbun- den und wird durch diese Verbindung befriedigt. Die be- sitzlosen Kinder sind keine Proletarier, weil sie in der Familie ihrer Eltern Pflege, Erziehung, Unterhalt finden. Sie theilen den Stand der Eltern, und selbst über die armen Waisen ergänzt und ersetzt der Organismus der Gemeinde die Familie. Die grosze Zahl der besitzlosen Bauern- knechte und Mägde sind wieder keine proletarische Bevöl- kerung, weil sie nicht vereinzelt in der Welt stehen, son- dern auf dem Hofe und in der Familie des Bauern eine Heimat und gesicherten Theil an dem ständischen Leben finden. Als das Handwerk besser organisirt war, als heut zu Tage, waren auch die Gesellen Familienglieder der Meister, und selbst in der jetzigen Auflösung ist in ihnen noch das Gefühl des Handwerkstandes lebendig und hebt sie hoch em- por über das Proletariat. Auch die Dienstboten erhalten in der Verbindung mit der Dienstherrschaft eine beruhigte Existenz und haben Theil als Gefolge ihrer Herrn an den Verhältnissen dieser. Den Soldaten endlich gibt die Ein- reihung in den Körper der Armee Sold und Ehre. Der Mangel einer Organisation der Fabrikarbeiter aber ist eine der krankhaftesten Seiten unserer heutigen Classen und deszhalb ist in dieser Classe die Masse des Proletariats so unverhältniszmäszig und drohend angewachsen.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/232>, abgerufen am 24.11.2024.