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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
werden auch die Arbeiter werth gehalten. Wo die Arbeit
nichts gilt, da gilt auch das Menschenleben in den groszen
Massen nur wenig. Nirgends wird mit mehr Grausamkeit
und Leichtsinn das Menschenleben hingeopfert, als in den
afrikanischen Negerdespotien, wo keine Industrie die Arbeit
schätzen lehrt und der Boden, ohne geackert zu werden,
reiche Früchte spendet.

3) Die höchste Fruchtbarkeit des Bodens veranlaszt und
befördert überdem eine ungünstige Vertheilung des
Vermögens
, bei der es wenige Reiche gibt, die im Ueber-
flusz leben, fast keine Mittelclassen und eine sehr zahlreiche
arme und in Knechtschaft versunkene Menge.

Da die Fruchtbarkeit des Bodens auch die Fruchtbarkeit
der Menschen befördert, indem sich leicht neue Familien
bilden, und keine Nahrungssorge die Kindererzeugung und
die Erziehung schmälert, so vermehrt sich in solchen Län-
dern die Bevölkerung rasch. Aber zuweilen kommt doch ein
Miszjahr oder ein Kriegszug über die sorglos dahin lebende
Menge und bringt dieselbe in Noth. Dann werden die we-
nigen Sparer, welche die Früchte angesammelt haben und
nun ihre Vorräthe benutzen können, übermächtig und nöthi-
gen, indem sie Nahrung gewähren, die hülfsbedürftige Menge
ihre Fruchtbäume und ihren Boden abzutreten. Kriegerische
Führer, welche den Bewohnern Schutz gewähren, machen
dieselben steuerpflichtig und dienstbar; Priester, welche die
Götter versöhnen und ihren Segen herbei rufen, erhalten von
den Gläubigen weite Güter. Allmählich entsteht so eine
Classe von reichen Grundherren und Fürsten, von Adel und
Priesterschaft, denen zuletzt das ganze Land zu eigen gehört.
In diesen aristokratischen Classen entfaltet sich dann eine
grosze, zum Theil sogar eine hohe Bildung und ihr kommen
reichliche Lebensgenüsse zu. Sie fordern dann auch Arbeit
von den unterthänigen Leuten, ohne dieselbe hoch zu schätzen,
weil an Arbeitern Ueberflusz ist und die Menschen als solche

Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
werden auch die Arbeiter werth gehalten. Wo die Arbeit
nichts gilt, da gilt auch das Menschenleben in den groszen
Massen nur wenig. Nirgends wird mit mehr Grausamkeit
und Leichtsinn das Menschenleben hingeopfert, als in den
afrikanischen Negerdespotien, wo keine Industrie die Arbeit
schätzen lehrt und der Boden, ohne geackert zu werden,
reiche Früchte spendet.

3) Die höchste Fruchtbarkeit des Bodens veranlaszt und
befördert überdem eine ungünstige Vertheilung des
Vermögens
, bei der es wenige Reiche gibt, die im Ueber-
flusz leben, fast keine Mittelclassen und eine sehr zahlreiche
arme und in Knechtschaft versunkene Menge.

Da die Fruchtbarkeit des Bodens auch die Fruchtbarkeit
der Menschen befördert, indem sich leicht neue Familien
bilden, und keine Nahrungssorge die Kindererzeugung und
die Erziehung schmälert, so vermehrt sich in solchen Län-
dern die Bevölkerung rasch. Aber zuweilen kommt doch ein
Miszjahr oder ein Kriegszug über die sorglos dahin lebende
Menge und bringt dieselbe in Noth. Dann werden die we-
nigen Sparer, welche die Früchte angesammelt haben und
nun ihre Vorräthe benutzen können, übermächtig und nöthi-
gen, indem sie Nahrung gewähren, die hülfsbedürftige Menge
ihre Fruchtbäume und ihren Boden abzutreten. Kriegerische
Führer, welche den Bewohnern Schutz gewähren, machen
dieselben steuerpflichtig und dienstbar; Priester, welche die
Götter versöhnen und ihren Segen herbei rufen, erhalten von
den Gläubigen weite Güter. Allmählich entsteht so eine
Classe von reichen Grundherren und Fürsten, von Adel und
Priesterschaft, denen zuletzt das ganze Land zu eigen gehört.
In diesen aristokratischen Classen entfaltet sich dann eine
grosze, zum Theil sogar eine hohe Bildung und ihr kommen
reichliche Lebensgenüsse zu. Sie fordern dann auch Arbeit
von den unterthänigen Leuten, ohne dieselbe hoch zu schätzen,
weil an Arbeitern Ueberflusz ist und die Menschen als solche

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[266/0284] Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land. werden auch die Arbeiter werth gehalten. Wo die Arbeit nichts gilt, da gilt auch das Menschenleben in den groszen Massen nur wenig. Nirgends wird mit mehr Grausamkeit und Leichtsinn das Menschenleben hingeopfert, als in den afrikanischen Negerdespotien, wo keine Industrie die Arbeit schätzen lehrt und der Boden, ohne geackert zu werden, reiche Früchte spendet. 3) Die höchste Fruchtbarkeit des Bodens veranlaszt und befördert überdem eine ungünstige Vertheilung des Vermögens, bei der es wenige Reiche gibt, die im Ueber- flusz leben, fast keine Mittelclassen und eine sehr zahlreiche arme und in Knechtschaft versunkene Menge. Da die Fruchtbarkeit des Bodens auch die Fruchtbarkeit der Menschen befördert, indem sich leicht neue Familien bilden, und keine Nahrungssorge die Kindererzeugung und die Erziehung schmälert, so vermehrt sich in solchen Län- dern die Bevölkerung rasch. Aber zuweilen kommt doch ein Miszjahr oder ein Kriegszug über die sorglos dahin lebende Menge und bringt dieselbe in Noth. Dann werden die we- nigen Sparer, welche die Früchte angesammelt haben und nun ihre Vorräthe benutzen können, übermächtig und nöthi- gen, indem sie Nahrung gewähren, die hülfsbedürftige Menge ihre Fruchtbäume und ihren Boden abzutreten. Kriegerische Führer, welche den Bewohnern Schutz gewähren, machen dieselben steuerpflichtig und dienstbar; Priester, welche die Götter versöhnen und ihren Segen herbei rufen, erhalten von den Gläubigen weite Güter. Allmählich entsteht so eine Classe von reichen Grundherren und Fürsten, von Adel und Priesterschaft, denen zuletzt das ganze Land zu eigen gehört. In diesen aristokratischen Classen entfaltet sich dann eine grosze, zum Theil sogar eine hohe Bildung und ihr kommen reichliche Lebensgenüsse zu. Sie fordern dann auch Arbeit von den unterthänigen Leuten, ohne dieselbe hoch zu schätzen, weil an Arbeitern Ueberflusz ist und die Menschen als solche

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/284>, abgerufen am 22.11.2024.