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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
unbeschränkter Freiheit und Glückseligkeit sich des friedlichen
Daseins erfreut haben. In dieser Vorzeit gab es nach jenen
Vorstellungen noch kein Eigenthum, da der Ueberflusz der
Natur jedem in Fülle darbot, wornach sein unverkünstelter
und unverdorbener Sinn verlangen mochte; damals noch keine
Unterschiede der Stände noch selbst der Berufsarten, jeder
war dem andern gleich; damals auch weder Obrigkeit noch
Unterthanen, keine Beamte, keine Richter, keine Heere, keine
Steuern. 1

Einem solchen Ideale gegenüber muszte der spätere stat-
liche Zustand der Menschen als Entartung und Verfall erschei-
nen. Erst als vorher unbekannte Plagen die Menschen trafen,
erst als die Leidenschaften in ihrer Brust erwachten und neue
Gefahren hervorriefen, erst als die Schuld den Seelenfrieden
störte, da bedurfte es einer Macht, welche die Bösen schreckte
und strafte, und den vielfach verkümmerten Genusz Aller

1 Shakespeare schildert diesen Naturzustand mit glänzender Ironie
im Sturm:
Gonzalo: "Hätt' ich, mein Fürst, die Pflanzung dieser Insel,
Ich wirkte im gemeinen Wesen Alles
Durchs Gegentheil, denn keine Art von Handel
Erlaubt' ich, keinen Namen eines Amts:
Gelahrtheit sollte man nicht kennen; Reichthum,
Dienst, Armuth gäb's nicht; von Vertrag und Erbschaft,
Verzäunung, Landmark, Feld- und Weinbau nichts;
Auch kein Gebrauch von Korn, Wein, Oel, Metall,
Kein Handwerk, alle Männer müssig, alle;
Die Weiber auch, doch völlig rein und schuldlos,
Kein Regiment.
In der gemeinsamen Natur sollt' Alles
Frucht bringen, ohne Mühe und Schweisz; Verrath, Betrug,
Schwert, Speer, Geschütz, Nothwendigkeit der Waffen
Gäb's nicht bei mir; es schaffte die Natur
Von freien Stücken alle Hüll' und Fülle,
Mein schuldlos Volk zu nähren.
Sebastian: Keine Heirathen zwischen seinen Unterthanen?
Antonio: Nichts dergleichen, Freund, alles los und
Huren und Taugenichtse."

Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
unbeschränkter Freiheit und Glückseligkeit sich des friedlichen
Daseins erfreut haben. In dieser Vorzeit gab es nach jenen
Vorstellungen noch kein Eigenthum, da der Ueberflusz der
Natur jedem in Fülle darbot, wornach sein unverkünstelter
und unverdorbener Sinn verlangen mochte; damals noch keine
Unterschiede der Stände noch selbst der Berufsarten, jeder
war dem andern gleich; damals auch weder Obrigkeit noch
Unterthanen, keine Beamte, keine Richter, keine Heere, keine
Steuern. 1

Einem solchen Ideale gegenüber muszte der spätere stat-
liche Zustand der Menschen als Entartung und Verfall erschei-
nen. Erst als vorher unbekannte Plagen die Menschen trafen,
erst als die Leidenschaften in ihrer Brust erwachten und neue
Gefahren hervorriefen, erst als die Schuld den Seelenfrieden
störte, da bedurfte es einer Macht, welche die Bösen schreckte
und strafte, und den vielfach verkümmerten Genusz Aller

1 Shakespeare schildert diesen Naturzustand mit glänzender Ironie
im Sturm:
Gonzalo: „Hätt' ich, mein Fürst, die Pflanzung dieser Insel,
Ich wirkte im gemeinen Wesen Alles
Durchs Gegentheil, denn keine Art von Handel
Erlaubt' ich, keinen Namen eines Amts:
Gelahrtheit sollte man nicht kennen; Reichthum,
Dienst, Armuth gäb's nicht; von Vertrag und Erbschaft,
Verzäunung, Landmark, Feld- und Weinbau nichts;
Auch kein Gebrauch von Korn, Wein, Oel, Metall,
Kein Handwerk, alle Männer müssig, alle;
Die Weiber auch, doch völlig rein und schuldlos,
Kein Regiment.
In der gemeinsamen Natur sollt' Alles
Frucht bringen, ohne Mühe und Schweisz; Verrath, Betrug,
Schwert, Speer, Geschütz, Nothwendigkeit der Waffen
Gäb's nicht bei mir; es schaffte die Natur
Von freien Stücken alle Hüll' und Fülle,
Mein schuldlos Volk zu nähren.
Sebastian: Keine Heirathen zwischen seinen Unterthanen?
Antonio: Nichts dergleichen, Freund, alles los und
Huren und Taugenichtse.“
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[324/0342] Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States. unbeschränkter Freiheit und Glückseligkeit sich des friedlichen Daseins erfreut haben. In dieser Vorzeit gab es nach jenen Vorstellungen noch kein Eigenthum, da der Ueberflusz der Natur jedem in Fülle darbot, wornach sein unverkünstelter und unverdorbener Sinn verlangen mochte; damals noch keine Unterschiede der Stände noch selbst der Berufsarten, jeder war dem andern gleich; damals auch weder Obrigkeit noch Unterthanen, keine Beamte, keine Richter, keine Heere, keine Steuern. 1 Einem solchen Ideale gegenüber muszte der spätere stat- liche Zustand der Menschen als Entartung und Verfall erschei- nen. Erst als vorher unbekannte Plagen die Menschen trafen, erst als die Leidenschaften in ihrer Brust erwachten und neue Gefahren hervorriefen, erst als die Schuld den Seelenfrieden störte, da bedurfte es einer Macht, welche die Bösen schreckte und strafte, und den vielfach verkümmerten Genusz Aller 1 Shakespeare schildert diesen Naturzustand mit glänzender Ironie im Sturm: Gonzalo: „Hätt' ich, mein Fürst, die Pflanzung dieser Insel, Ich wirkte im gemeinen Wesen Alles Durchs Gegentheil, denn keine Art von Handel Erlaubt' ich, keinen Namen eines Amts: Gelahrtheit sollte man nicht kennen; Reichthum, Dienst, Armuth gäb's nicht; von Vertrag und Erbschaft, Verzäunung, Landmark, Feld- und Weinbau nichts; Auch kein Gebrauch von Korn, Wein, Oel, Metall, Kein Handwerk, alle Männer müssig, alle; Die Weiber auch, doch völlig rein und schuldlos, Kein Regiment. In der gemeinsamen Natur sollt' Alles Frucht bringen, ohne Mühe und Schweisz; Verrath, Betrug, Schwert, Speer, Geschütz, Nothwendigkeit der Waffen Gäb's nicht bei mir; es schaffte die Natur Von freien Stücken alle Hüll' und Fülle, Mein schuldlos Volk zu nähren. Sebastian: Keine Heirathen zwischen seinen Unterthanen? Antonio: Nichts dergleichen, Freund, alles los und Huren und Taugenichtse.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/342>, abgerufen am 22.11.2024.