Zweites Capitel. Falsche Bestimmung des Statszwecks.
päpstlichen Kirchenstates gewöhnlich damit zu begründen ver- sucht haben, dasz die Unabhängigkeit und die Autorität der römisch-katholischen Kirche einen Papst erfordere, der zu- gleich in Rom souveräner König sei, so haben sie durch diese Beweisführung, ohne es zu wissen, die Unzulässigkeit des römischen Kirchenstats ins Licht gestellt. Denn es wird damit die Selbständigkeit dieses States, d. h. der Begriff des States geläugnet, der nie der willenlose und rechtlose Diener einer auszer ihm vorhandenen Macht, und wäre diese die römisch-katholische Kirche, sein darf. Es wird dadurch auch dem römischen Volk, welches in diesem State lebt, die wider- sinnige Zumuthung gemacht, dasz es ein statliches Heloten- thum auf sich nehme, im Interesse einer unstatlichen Glau- bensgemeinschaft, eine Zumuthung, welche im Widerspruch ist sowohl mit der politischen Eigenart des Volks, als mit der religiösen Natur der Kirche.
Die Weltgeschichte hat über diese Ungeheuerlichkeit ge- richtet. Rom gehört politisch nicht der katholischen Christen- heit, die in viele Staten zertheilt ist, sondern den Römern oder richtiger, dem italienischen Volke, dessen Glieder die Römer sind.
Aber es gibt heute noch ähnliche Verirrungen. Die Exi- stenz des Fürstenthums Lichtenstein ist augenscheinlich nicht mit Rücksicht auf das Ländchen und die kleine Völker- schaft von Lichtenstein erhalten worden. Das Stätchen hat in sich keine Bedeutung. Es dient blosz einem fremden Zwecke, nämlich dazu, die Würde und den Rang der fürst- lichen Dynastie, die auszerhalb des Landes lebt, an dem österreichischen Kaiserhofe als Unterlage empor zu heben. Es hat also den Zweck nicht in sich.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 23
Zweites Capitel. Falsche Bestimmung des Statszwecks.
päpstlichen Kirchenstates gewöhnlich damit zu begründen ver- sucht haben, dasz die Unabhängigkeit und die Autorität der römisch-katholischen Kirche einen Papst erfordere, der zu- gleich in Rom souveräner König sei, so haben sie durch diese Beweisführung, ohne es zu wissen, die Unzulässigkeit des römischen Kirchenstats ins Licht gestellt. Denn es wird damit die Selbständigkeit dieses States, d. h. der Begriff des States geläugnet, der nie der willenlose und rechtlose Diener einer auszer ihm vorhandenen Macht, und wäre diese die römisch-katholische Kirche, sein darf. Es wird dadurch auch dem römischen Volk, welches in diesem State lebt, die wider- sinnige Zumuthung gemacht, dasz es ein statliches Heloten- thum auf sich nehme, im Interesse einer unstatlichen Glau- bensgemeinschaft, eine Zumuthung, welche im Widerspruch ist sowohl mit der politischen Eigenart des Volks, als mit der religiösen Natur der Kirche.
Die Weltgeschichte hat über diese Ungeheuerlichkeit ge- richtet. Rom gehört politisch nicht der katholischen Christen- heit, die in viele Staten zertheilt ist, sondern den Römern oder richtiger, dem italienischen Volke, dessen Glieder die Römer sind.
Aber es gibt heute noch ähnliche Verirrungen. Die Exi- stenz des Fürstenthums Lichtenstein ist augenscheinlich nicht mit Rücksicht auf das Ländchen und die kleine Völker- schaft von Lichtenstein erhalten worden. Das Stätchen hat in sich keine Bedeutung. Es dient blosz einem fremden Zwecke, nämlich dazu, die Würde und den Rang der fürst- lichen Dynastie, die auszerhalb des Landes lebt, an dem österreichischen Kaiserhofe als Unterlage empor zu heben. Es hat also den Zweck nicht in sich.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 23
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Zweites Capitel. Falsche Bestimmung des Statszwecks.
päpstlichen Kirchenstates gewöhnlich damit zu begründen ver-
sucht haben, dasz die Unabhängigkeit und die Autorität der
römisch-katholischen Kirche einen Papst erfordere, der zu-
gleich in Rom souveräner König sei, so haben sie durch
diese Beweisführung, ohne es zu wissen, die Unzulässigkeit
des römischen Kirchenstats ins Licht gestellt. Denn es wird
damit die Selbständigkeit dieses States, d. h. der Begriff des
States geläugnet, der nie der willenlose und rechtlose Diener
einer auszer ihm vorhandenen Macht, und wäre diese die
römisch-katholische Kirche, sein darf. Es wird dadurch auch
dem römischen Volk, welches in diesem State lebt, die wider-
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thum auf sich nehme, im Interesse einer unstatlichen Glau-
bensgemeinschaft, eine Zumuthung, welche im Widerspruch
ist sowohl mit der politischen Eigenart des Volks, als mit
der religiösen Natur der Kirche.
Die Weltgeschichte hat über diese Ungeheuerlichkeit ge-
richtet. Rom gehört politisch nicht der katholischen Christen-
heit, die in viele Staten zertheilt ist, sondern den Römern
oder richtiger, dem italienischen Volke, dessen Glieder die
Römer sind.
Aber es gibt heute noch ähnliche Verirrungen. Die Exi-
stenz des Fürstenthums Lichtenstein ist augenscheinlich
nicht mit Rücksicht auf das Ländchen und die kleine Völker-
schaft von Lichtenstein erhalten worden. Das Stätchen hat
in sich keine Bedeutung. Es dient blosz einem fremden
Zwecke, nämlich dazu, die Würde und den Rang der fürst-
lichen Dynastie, die auszerhalb des Landes lebt, an dem
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/371>, abgerufen am 22.11.2024.
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