mächtiger Feind mancherlei äuszere Vortheile anbietet, eine geringere Steuerlast, einen gesicherten Frieden, eine bessere Verwaltung. Von dem bloszen Gedanken der öffentlichen Wohlfahrt aus wäre vielleicht das Anerbieten annehmbar, seine Ablehnung bedeutet eher Leiden, wahrscheinlich Unter- gang des Stats. Dennoch kann es eine schicksalsmäszige, verhängniszvolle Pflicht sein, lieber mit Ehren zu fallen, als sich freiwillig dem fremden Machtgebot zu unterwerfen. Viel- leicht ist der heldenmäszige Todeskampf eine Bürgschaft für ein späteres Wiederauferstehen des Stats. Die Athener zur Zeit von Themistokles haben der Welt ein herrliches Bei- spiel der Art hinterlassen.
Zuweilen bildet der Untergang den nothwendigen und würdigen Abschlusz eines Lebens, das nicht länger noch be- stehen kann. Man mag den tragischen Fall von Karthago oder Jerusalem beklagen. Zu vermeiden war er nicht.
Oder es musz ein Stat untergehen, weil seine Völker- schaft unfähig geworden ist, sich selbständig zu behaupten, weil sie in ein höheres, nationales Gesammtleben überzugehen berufen ist. Welcher vorurtheilsfreie echte Deutsche oder Italiener wird den Untergang der unhaltbar gewordenen, unfähigen Kleinstaten bedauern und sich nicht der Wandlung freuen in das gröszere Statsganze? Auch in solchen Fällen reicht die Hinweisung auf die öffentliche Wohlfahrt nur aus, wenn man sie nicht auf das bisherige Gemeinwesen bezieht.
Allen diesen Bedenken entgehen wir, wenn wir den eigentlichen, unmittelbaren Statszweck so formuliren: Ent- wicklung der Volksanlage, Vervollkommnung des Volkslebens, zuletzt Vollendung, wobei freilich die zugleich sittliche und politische Forderung als selbstverständ- lich gedacht wird, dasz diese Entwicklung des Volks nicht im Widerspruch sein dürfe mit der Bestimmung der Menschheit.
Darin ist Alles enthalten, was man als eigentliche Stats-
Viertes Capitel. Der wahre Statszweck.
mächtiger Feind mancherlei äuszere Vortheile anbietet, eine geringere Steuerlast, einen gesicherten Frieden, eine bessere Verwaltung. Von dem bloszen Gedanken der öffentlichen Wohlfahrt aus wäre vielleicht das Anerbieten annehmbar, seine Ablehnung bedeutet eher Leiden, wahrscheinlich Unter- gang des Stats. Dennoch kann es eine schicksalsmäszige, verhängniszvolle Pflicht sein, lieber mit Ehren zu fallen, als sich freiwillig dem fremden Machtgebot zu unterwerfen. Viel- leicht ist der heldenmäszige Todeskampf eine Bürgschaft für ein späteres Wiederauferstehen des Stats. Die Athener zur Zeit von Themistokles haben der Welt ein herrliches Bei- spiel der Art hinterlassen.
Zuweilen bildet der Untergang den nothwendigen und würdigen Abschlusz eines Lebens, das nicht länger noch be- stehen kann. Man mag den tragischen Fall von Karthago oder Jerusalem beklagen. Zu vermeiden war er nicht.
Oder es musz ein Stat untergehen, weil seine Völker- schaft unfähig geworden ist, sich selbständig zu behaupten, weil sie in ein höheres, nationales Gesammtleben überzugehen berufen ist. Welcher vorurtheilsfreie echte Deutsche oder Italiener wird den Untergang der unhaltbar gewordenen, unfähigen Kleinstaten bedauern und sich nicht der Wandlung freuen in das gröszere Statsganze? Auch in solchen Fällen reicht die Hinweisung auf die öffentliche Wohlfahrt nur aus, wenn man sie nicht auf das bisherige Gemeinwesen bezieht.
Allen diesen Bedenken entgehen wir, wenn wir den eigentlichen, unmittelbaren Statszweck so formuliren: Ent- wicklung der Volksanlage, Vervollkommnung des Volkslebens, zuletzt Vollendung, wobei freilich die zugleich sittliche und politische Forderung als selbstverständ- lich gedacht wird, dasz diese Entwicklung des Volks nicht im Widerspruch sein dürfe mit der Bestimmung der Menschheit.
Darin ist Alles enthalten, was man als eigentliche Stats-
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Viertes Capitel. Der wahre Statszweck.
mächtiger Feind mancherlei äuszere Vortheile anbietet, eine
geringere Steuerlast, einen gesicherten Frieden, eine bessere
Verwaltung. Von dem bloszen Gedanken der öffentlichen
Wohlfahrt aus wäre vielleicht das Anerbieten annehmbar,
seine Ablehnung bedeutet eher Leiden, wahrscheinlich Unter-
gang des Stats. Dennoch kann es eine schicksalsmäszige,
verhängniszvolle Pflicht sein, lieber mit Ehren zu fallen, als
sich freiwillig dem fremden Machtgebot zu unterwerfen. Viel-
leicht ist der heldenmäszige Todeskampf eine Bürgschaft für
ein späteres Wiederauferstehen des Stats. Die Athener zur
Zeit von Themistokles haben der Welt ein herrliches Bei-
spiel der Art hinterlassen.
Zuweilen bildet der Untergang den nothwendigen und
würdigen Abschlusz eines Lebens, das nicht länger noch be-
stehen kann. Man mag den tragischen Fall von Karthago
oder Jerusalem beklagen. Zu vermeiden war er nicht.
Oder es musz ein Stat untergehen, weil seine Völker-
schaft unfähig geworden ist, sich selbständig zu behaupten,
weil sie in ein höheres, nationales Gesammtleben überzugehen
berufen ist. Welcher vorurtheilsfreie echte Deutsche oder
Italiener wird den Untergang der unhaltbar gewordenen,
unfähigen Kleinstaten bedauern und sich nicht der Wandlung
freuen in das gröszere Statsganze? Auch in solchen Fällen
reicht die Hinweisung auf die öffentliche Wohlfahrt nur aus,
wenn man sie nicht auf das bisherige Gemeinwesen bezieht.
Allen diesen Bedenken entgehen wir, wenn wir den
eigentlichen, unmittelbaren Statszweck so formuliren: Ent-
wicklung der Volksanlage, Vervollkommnung des
Volkslebens, zuletzt Vollendung, wobei freilich die
zugleich sittliche und politische Forderung als selbstverständ-
lich gedacht wird, dasz diese Entwicklung des Volks nicht
im Widerspruch sein dürfe mit der Bestimmung der
Menschheit.
Darin ist Alles enthalten, was man als eigentliche Stats-
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/379>, abgerufen am 22.11.2024.
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