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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Erstes Buch. Der Statsbegriff.
Form der Statsindividuen sind verschieden, ähnlich wie die
einzelnen Menschen von einander verschieden sind. Der Fort-
schritt der Menschheit beruht wesentlich auf dem Wettstreit
der Völker und Staten, aus denen sie besteht.

b) In der Statsverfassung offenbart sich auch die Glie-
derung
des Statskörpers. Jedes Amt und jede statliche Ver-
sammlung ist ein besonderes Glied desselben, welchem eigen-
thümliche Functionen zukommen. Das Amt ist nicht wie ein
Theil einer Maschine, es hat nicht blosze mechanische Thä-
tigkeiten auszuüben, die sich immer gleich bleiben, wie die
Räder und die Spindeln einer Fabrik, welche immer dasselbe
in gleicher Weise thun. Seine Functionen haben einen
geistigen Charakter und ändern sich im Einzelnen je
nach den Bedürfnissen des öffentlichen Lebens, zu
deren Befriedigung sie bestimmt sind. Dem Leben dienend
sind sie in sich selber lebendig. Wo daher das Leben in
dem Amte erstirbt, wo dieses in einen gedankenlosen Forma-
lismus versinkt und sich der Natur einer Maschine annähert,
welche ohne Unterscheidung, ohne Berücksichtigung der eigen-
thümlichen und wandelbaren Verhältnisse, die vorliegen, nach
festen äuszern Gesetzen in regelmäsziger mechanischer Be-
wegung fortarbeitet, da ist das Amt selbst dem Verderben
verfallen, und der in eine Maschine verkommene Stat geht
sicher eben deszhalb zu Grunde.

Nicht allein der Mensch, welcher in dem Amte wirkt,
das Amt selbst hat in sich eine psychische Bedeutung, es
lebt in ihm ein seelisches Princip. Es gibt einen Cha-
rakter
, einen Geist des Amtes, der hinwieder auf die
Person, welche, wie in dem Körper das Individuum, in dem
Amte waltet, einen Einfluss übt. In dem römischen Consu-
late lag eine würdevolle Hoheit und Machtfülle, welche auch
einen nicht bedeutenden Mann, der zum Consul erwählt wor-
den war, emporhob, und seine natürlichen Kräfte steigerte.
Das Richteramt ist ein so heiliges, der Gerechtigkeit ge-

Erstes Buch. Der Statsbegriff.
Form der Statsindividuen sind verschieden, ähnlich wie die
einzelnen Menschen von einander verschieden sind. Der Fort-
schritt der Menschheit beruht wesentlich auf dem Wettstreit
der Völker und Staten, aus denen sie besteht.

b) In der Statsverfassung offenbart sich auch die Glie-
derung
des Statskörpers. Jedes Amt und jede statliche Ver-
sammlung ist ein besonderes Glied desselben, welchem eigen-
thümliche Functionen zukommen. Das Amt ist nicht wie ein
Theil einer Maschine, es hat nicht blosze mechanische Thä-
tigkeiten auszuüben, die sich immer gleich bleiben, wie die
Räder und die Spindeln einer Fabrik, welche immer dasselbe
in gleicher Weise thun. Seine Functionen haben einen
geistigen Charakter und ändern sich im Einzelnen je
nach den Bedürfnissen des öffentlichen Lebens, zu
deren Befriedigung sie bestimmt sind. Dem Leben dienend
sind sie in sich selber lebendig. Wo daher das Leben in
dem Amte erstirbt, wo dieses in einen gedankenlosen Forma-
lismus versinkt und sich der Natur einer Maschine annähert,
welche ohne Unterscheidung, ohne Berücksichtigung der eigen-
thümlichen und wandelbaren Verhältnisse, die vorliegen, nach
festen äuszern Gesetzen in regelmäsziger mechanischer Be-
wegung fortarbeitet, da ist das Amt selbst dem Verderben
verfallen, und der in eine Maschine verkommene Stat geht
sicher eben deszhalb zu Grunde.

Nicht allein der Mensch, welcher in dem Amte wirkt,
das Amt selbst hat in sich eine psychische Bedeutung, es
lebt in ihm ein seelisches Princip. Es gibt einen Cha-
rakter
, einen Geist des Amtes, der hinwieder auf die
Person, welche, wie in dem Körper das Individuum, in dem
Amte waltet, einen Einfluss übt. In dem römischen Consu-
late lag eine würdevolle Hoheit und Machtfülle, welche auch
einen nicht bedeutenden Mann, der zum Consul erwählt wor-
den war, emporhob, und seine natürlichen Kräfte steigerte.
Das Richteramt ist ein so heiliges, der Gerechtigkeit ge-

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[20/0038] Erstes Buch. Der Statsbegriff. Form der Statsindividuen sind verschieden, ähnlich wie die einzelnen Menschen von einander verschieden sind. Der Fort- schritt der Menschheit beruht wesentlich auf dem Wettstreit der Völker und Staten, aus denen sie besteht. b) In der Statsverfassung offenbart sich auch die Glie- derung des Statskörpers. Jedes Amt und jede statliche Ver- sammlung ist ein besonderes Glied desselben, welchem eigen- thümliche Functionen zukommen. Das Amt ist nicht wie ein Theil einer Maschine, es hat nicht blosze mechanische Thä- tigkeiten auszuüben, die sich immer gleich bleiben, wie die Räder und die Spindeln einer Fabrik, welche immer dasselbe in gleicher Weise thun. Seine Functionen haben einen geistigen Charakter und ändern sich im Einzelnen je nach den Bedürfnissen des öffentlichen Lebens, zu deren Befriedigung sie bestimmt sind. Dem Leben dienend sind sie in sich selber lebendig. Wo daher das Leben in dem Amte erstirbt, wo dieses in einen gedankenlosen Forma- lismus versinkt und sich der Natur einer Maschine annähert, welche ohne Unterscheidung, ohne Berücksichtigung der eigen- thümlichen und wandelbaren Verhältnisse, die vorliegen, nach festen äuszern Gesetzen in regelmäsziger mechanischer Be- wegung fortarbeitet, da ist das Amt selbst dem Verderben verfallen, und der in eine Maschine verkommene Stat geht sicher eben deszhalb zu Grunde. Nicht allein der Mensch, welcher in dem Amte wirkt, das Amt selbst hat in sich eine psychische Bedeutung, es lebt in ihm ein seelisches Princip. Es gibt einen Cha- rakter, einen Geist des Amtes, der hinwieder auf die Person, welche, wie in dem Körper das Individuum, in dem Amte waltet, einen Einfluss übt. In dem römischen Consu- late lag eine würdevolle Hoheit und Machtfülle, welche auch einen nicht bedeutenden Mann, der zum Consul erwählt wor- den war, emporhob, und seine natürlichen Kräfte steigerte. Das Richteramt ist ein so heiliges, der Gerechtigkeit ge-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/38>, abgerufen am 21.11.2024.