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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Buch. Die Statsformen.
Sechstes Capitel.
I. Die (Ideokratie) Theokratie.

Die Form der Theokratie gehört vorzugsweise der Kind-
heit des Menschengeschlechtes zu. In Asien und Nordafrika
ist der Sitz der ersten statlichen Entwicklung, und zuerst
zeigen sich da theokratische Staten.

In den ersten Zeiten, als die noch junge Menschheit sich
auf der Erde zurechtzufinden suchte, war offenbar das Gefühl
der Abhängigkeit von göttlichen Wesen und unverstandenen
Naturkräften noch äuszerst lebhaft, und die Einwirkung Gottes
oder der Natur auf das Leben, gewissermaszen auf die Er-
ziehung der Menschen unmittelbarer und mächtiger als später.
Gott und die Götter verkehrten nach allen alten Sagen und
Mythen persönlich mit den Menschen, und was Platon uns
von den Urzuständen selbst der hellenischen Völker erzählt,
dasz Kronos, die Schwäche und Unfähigkeit der Menschen in
jener Zeit bedenkend, ihnen "zu Königen und Fürsten über
die Staten, nicht Menschen, sondern Dämonen, Wesen von
göttlicherem und höherem Geschlechte gesetzt" habe, stimmt
mit dem Glauben aller alten Völker zusammen. Platon selbst
war dieser theokratischen Auffassung persönlich zugethan, und
schlug in seiner Lehre vom Stat künstliche Täuschungsmittel
vor, um den damals entwickelteren Menschen von neuem den
Glauben beizubringen, dasz nicht Menschen sondern Gott selber
die Herrschaft im State führe.

Wurde so Gott oder wurden Götter und Dämonen 1 als

1 Von einem
merkwürdigen dämonokratischen State unserer
Zeit berichtet der berühmte Entdecker der Alterthümer von Niniveh,
A. H. Layard (Niniveh und seine Ueberreste S. 144 ff.) In den Ge-
birgen Mesopotamiens wohnen die Jezidi, welche unter einem geist-
lichen Oberhaupte stehen, dem groszen Scheikh, und dem Satan
eine
besondere Verehrung widmen, von dem sie glauben, er werde später
wieder zu einem hohen Range in der himmlischen Hierarchie gelangen
Sechstes Buch. Die Statsformen.
Sechstes Capitel.
I. Die (Ideokratie) Theokratie.

Die Form der Theokratie gehört vorzugsweise der Kind-
heit des Menschengeschlechtes zu. In Asien und Nordafrika
ist der Sitz der ersten statlichen Entwicklung, und zuerst
zeigen sich da theokratische Staten.

In den ersten Zeiten, als die noch junge Menschheit sich
auf der Erde zurechtzufinden suchte, war offenbar das Gefühl
der Abhängigkeit von göttlichen Wesen und unverstandenen
Naturkräften noch äuszerst lebhaft, und die Einwirkung Gottes
oder der Natur auf das Leben, gewissermaszen auf die Er-
ziehung der Menschen unmittelbarer und mächtiger als später.
Gott und die Götter verkehrten nach allen alten Sagen und
Mythen persönlich mit den Menschen, und was Platon uns
von den Urzuständen selbst der hellenischen Völker erzählt,
dasz Kronos, die Schwäche und Unfähigkeit der Menschen in
jener Zeit bedenkend, ihnen „zu Königen und Fürsten über
die Staten, nicht Menschen, sondern Dämonen, Wesen von
göttlicherem und höherem Geschlechte gesetzt“ habe, stimmt
mit dem Glauben aller alten Völker zusammen. Platon selbst
war dieser theokratischen Auffassung persönlich zugethan, und
schlug in seiner Lehre vom Stat künstliche Täuschungsmittel
vor, um den damals entwickelteren Menschen von neuem den
Glauben beizubringen, dasz nicht Menschen sondern Gott selber
die Herrschaft im State führe.

Wurde so Gott oder wurden Götter und Dämonen 1 als

1 Von einem
merkwürdigen dämonokratischen State unserer
Zeit berichtet der berühmte Entdecker der Alterthümer von Niniveh,
A. H. Layard (Niniveh und seine Ueberreste S. 144 ff.) In den Ge-
birgen Mesopotamiens wohnen die Jezidi, welche unter einem geist-
lichen Oberhaupte stehen, dem groszen Scheikh, und dem Satan
eine
besondere Verehrung widmen, von dem sie glauben, er werde später
wieder zu einem hohen Range in der himmlischen Hierarchie gelangen
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[386/0404] Sechstes Buch. Die Statsformen. Sechstes Capitel. I. Die (Ideokratie) Theokratie. Die Form der Theokratie gehört vorzugsweise der Kind- heit des Menschengeschlechtes zu. In Asien und Nordafrika ist der Sitz der ersten statlichen Entwicklung, und zuerst zeigen sich da theokratische Staten. In den ersten Zeiten, als die noch junge Menschheit sich auf der Erde zurechtzufinden suchte, war offenbar das Gefühl der Abhängigkeit von göttlichen Wesen und unverstandenen Naturkräften noch äuszerst lebhaft, und die Einwirkung Gottes oder der Natur auf das Leben, gewissermaszen auf die Er- ziehung der Menschen unmittelbarer und mächtiger als später. Gott und die Götter verkehrten nach allen alten Sagen und Mythen persönlich mit den Menschen, und was Platon uns von den Urzuständen selbst der hellenischen Völker erzählt, dasz Kronos, die Schwäche und Unfähigkeit der Menschen in jener Zeit bedenkend, ihnen „zu Königen und Fürsten über die Staten, nicht Menschen, sondern Dämonen, Wesen von göttlicherem und höherem Geschlechte gesetzt“ habe, stimmt mit dem Glauben aller alten Völker zusammen. Platon selbst war dieser theokratischen Auffassung persönlich zugethan, und schlug in seiner Lehre vom Stat künstliche Täuschungsmittel vor, um den damals entwickelteren Menschen von neuem den Glauben beizubringen, dasz nicht Menschen sondern Gott selber die Herrschaft im State führe. Wurde so Gott oder wurden Götter und Dämonen 1 als 1 Von einem merkwürdigen dämonokratischen State unserer Zeit berichtet der berühmte Entdecker der Alterthümer von Niniveh, A. H. Layard (Niniveh und seine Ueberreste S. 144 ff.) In den Ge- birgen Mesopotamiens wohnen die Jezidi, welche unter einem geist- lichen Oberhaupte stehen, dem groszen Scheikh, und dem Satan eine besondere Verehrung widmen, von dem sie glauben, er werde später wieder zu einem hohen Range in der himmlischen Hierarchie gelangen

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/404>, abgerufen am 22.11.2024.