gleich reichlich mit den Gütern der Erde ausgestattet war; -- in Aegypten gehörte der dritte Theil des Bodens ihnen zu; 6 das indische Gesetz sagt: "Ein König darf, selbst wenn er vor Mangel stürbe, nie von einem in den heiligen Schriften belesenen Brahmanen eine Steuer nehmen und niemals dulden, dasz in seinen Staten ein solcher Brahmane Hunger leide." 7 -- Ferner eine gedrückte Lage und verachtete Zustände der untern Volksclassen, welche auch für Einzelne nicht durch die Hoff- nung des Emporsteigens erhellt wurden. Die ägyptischen Bauern sind durchweg nur Hörige, welche die den Priestern oder dem Könige oder den Kriegern zugehörigen Güter be- bauen. Die Hirten und die Handwerker sind erblich an ihr Geschäft gebunden, willkürlicher Schatzung unterworfen, und ohne allen activen Antheil an den Statsinstitutionen. Zahl- reiche Frohnden aller Art sind in diesen Ländern verbreitet.
Noch viele Jahrhunderte hinab hat ein theokratischer Charakter des States in Asien sich erhalten, und auch später noch ist derselbe in dem orientalischen Herrscherthum forwährend sichtbar. Die Macht der Priesterschaft freilich über die immer entschiedener weltlichen Herrscher ist durch die steigende Macht dieser, wie sie in den gröszern durch Eroberung entstandenen und durch Kriegsheere zusammen- gehaltenen Reichen sich entwickelte, mehr in den Hintergrund gewiesen und verdunkelt worden. Aber die Herrscher selbst wurden wie Götter verehrt. Die Statsform blieb theokratisch, nur trat sie in eine neue Wandelung ein. Zuerst war der Gott in Person der Herrscher, seine Werkzeuge die Könige und die Priester; dann stellte sich die Herrschaft mehr und mehr äuszerlich als eine Priesterherrschaft dar, mit einem anfangs priesterlichen, dann kriegerischen Könige an der Spitze; endlich wurde der König selbst zum Gott erhoben, und es entstand der übermenschliche "Despotenstat". Es gilt das
6Diodor. Sic. I. 73.
7 Lois de Manou. VII. 133.
Sechstes Buch. Die Statsformen.
gleich reichlich mit den Gütern der Erde ausgestattet war; — in Aegypten gehörte der dritte Theil des Bodens ihnen zu; 6 das indische Gesetz sagt: „Ein König darf, selbst wenn er vor Mangel stürbe, nie von einem in den heiligen Schriften belesenen Brahmanen eine Steuer nehmen und niemals dulden, dasz in seinen Staten ein solcher Brahmane Hunger leide.“ 7 — Ferner eine gedrückte Lage und verachtete Zustände der untern Volksclassen, welche auch für Einzelne nicht durch die Hoff- nung des Emporsteigens erhellt wurden. Die ägyptischen Bauern sind durchweg nur Hörige, welche die den Priestern oder dem Könige oder den Kriegern zugehörigen Güter be- bauen. Die Hirten und die Handwerker sind erblich an ihr Geschäft gebunden, willkürlicher Schatzung unterworfen, und ohne allen activen Antheil an den Statsinstitutionen. Zahl- reiche Frohnden aller Art sind in diesen Ländern verbreitet.
Noch viele Jahrhunderte hinab hat ein theokratischer Charakter des States in Asien sich erhalten, und auch später noch ist derselbe in dem orientalischen Herrscherthum forwährend sichtbar. Die Macht der Priesterschaft freilich über die immer entschiedener weltlichen Herrscher ist durch die steigende Macht dieser, wie sie in den gröszern durch Eroberung entstandenen und durch Kriegsheere zusammen- gehaltenen Reichen sich entwickelte, mehr in den Hintergrund gewiesen und verdunkelt worden. Aber die Herrscher selbst wurden wie Götter verehrt. Die Statsform blieb theokratisch, nur trat sie in eine neue Wandelung ein. Zuerst war der Gott in Person der Herrscher, seine Werkzeuge die Könige und die Priester; dann stellte sich die Herrschaft mehr und mehr äuszerlich als eine Priesterherrschaft dar, mit einem anfangs priesterlichen, dann kriegerischen Könige an der Spitze; endlich wurde der König selbst zum Gott erhoben, und es entstand der übermenschliche „Despotenstat“. Es gilt das
6Diodor. Sic. I. 73.
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Sechstes Buch. Die Statsformen.
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in Aegypten gehörte der dritte Theil des Bodens ihnen zu; 6
das indische Gesetz sagt: „Ein König darf, selbst wenn er
vor Mangel stürbe, nie von einem in den heiligen Schriften
belesenen Brahmanen eine Steuer nehmen und niemals dulden,
dasz in seinen Staten ein solcher Brahmane Hunger leide.“ 7 —
Ferner eine gedrückte Lage und verachtete Zustände der untern
Volksclassen, welche auch für Einzelne nicht durch die Hoff-
nung des Emporsteigens erhellt wurden. Die ägyptischen
Bauern sind durchweg nur Hörige, welche die den Priestern
oder dem Könige oder den Kriegern zugehörigen Güter be-
bauen. Die Hirten und die Handwerker sind erblich an ihr
Geschäft gebunden, willkürlicher Schatzung unterworfen, und
ohne allen activen Antheil an den Statsinstitutionen. Zahl-
reiche Frohnden aller Art sind in diesen Ländern verbreitet.
Noch viele Jahrhunderte hinab hat ein theokratischer
Charakter des States in Asien sich erhalten, und auch später
noch ist derselbe in dem orientalischen Herrscherthum
forwährend sichtbar. Die Macht der Priesterschaft freilich
über die immer entschiedener weltlichen Herrscher ist durch
die steigende Macht dieser, wie sie in den gröszern durch
Eroberung entstandenen und durch Kriegsheere zusammen-
gehaltenen Reichen sich entwickelte, mehr in den Hintergrund
gewiesen und verdunkelt worden. Aber die Herrscher selbst
wurden wie Götter verehrt. Die Statsform blieb theokratisch,
nur trat sie in eine neue Wandelung ein. Zuerst war der
Gott in Person der Herrscher, seine Werkzeuge die Könige
und die Priester; dann stellte sich die Herrschaft mehr und
mehr äuszerlich als eine Priesterherrschaft dar, mit einem
anfangs priesterlichen, dann kriegerischen Könige an der Spitze;
endlich wurde der König selbst zum Gott erhoben, und es
entstand der übermenschliche „Despotenstat“. Es gilt das
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/408>, abgerufen am 22.11.2024.
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