dessen Willen er mit Furcht und Zittern vernommen, und getreu dem Befehle des Herrn dem Volke verkündet hat. Blitz und Donner haben die Gegenwart Gottes auf dem Berge Sinai allem Volke bezeugt.
Das ganze Volk aber wurde durch diese göttliche Herr- schaft gehoben. In Aegypten noch war es verachtet, und jeder Aegyptier aus einer der höhern Kasten betrachtete die Juden als Verworfene, deren Umgang verunreinige. Nun erhielten sie das erhabene Gefühl, das bevorzugte Volk des höchsten Gottes zu sein. Obwohl auch sie in erbliche Stämme einge- theilt wurden, und auch unter ihnen ein gesonderter Priester- stamm (der Stamm Levi) geordnet ward, so waren doch alle Stämme Nachkommen der Erzväter Abraham, Isak und Jakob, und galt hinwieder das ganze Volk als ein "Priestervolk". Die schroffe Ueberordnung der Kasten ist somit hier von Grund aus aufgegeben, und die Brüderlichkeit der Stämme zum Princip erhoben.
Das göttliche Gesetz wird in einer mit Gold überzogenen Lade verwahrt, über welcher der goldene Thron der Gnade sich erhebt, von zwei Cherubim bewacht, und als Sitz der göttlichen Offenbarung verehrt. In der Stiftshütte, gewisser- maszen der göttlichen Residenz, die von den Priestern bewahrt wird, ist die Lade und der Thron in dem Allerheiligsten hinter einem Vorhang verborgen. Dort empfängt der Hohepriester die Gebote Jehovas und verkündet sie. Der Hohepriester, aus dem Geschlechte Aarons, des Bruders von Moses, stammend, ist das regelmäszige Organ des göttlichen Willens, und der Vertreter des Volkes vor dem Herrn. Ausnahmsweise, in kritischen Zeiten, erweckt Jehova einzelne erleuchtete Indivi- duen, die als Propheten die miszkannte göttliche Autorität herstellen, das Gewissen der Könige und des Volkes wach- rufen, den Abfall von Gott züchtigen, zur Bekehrung mahnen und das künftige Schicksal des Volkes enthüllen. Auch die Richter, welche an der Spitze der verschiedenen Stämme das
Sechstes Capitel. I. Die (Ideokratie) Theokratie.
dessen Willen er mit Furcht und Zittern vernommen, und getreu dem Befehle des Herrn dem Volke verkündet hat. Blitz und Donner haben die Gegenwart Gottes auf dem Berge Sinai allem Volke bezeugt.
Das ganze Volk aber wurde durch diese göttliche Herr- schaft gehoben. In Aegypten noch war es verachtet, und jeder Aegyptier aus einer der höhern Kasten betrachtete die Juden als Verworfene, deren Umgang verunreinige. Nun erhielten sie das erhabene Gefühl, das bevorzugte Volk des höchsten Gottes zu sein. Obwohl auch sie in erbliche Stämme einge- theilt wurden, und auch unter ihnen ein gesonderter Priester- stamm (der Stamm Levi) geordnet ward, so waren doch alle Stämme Nachkommen der Erzväter Abraham, Isak und Jakob, und galt hinwieder das ganze Volk als ein „Priestervolk“. Die schroffe Ueberordnung der Kasten ist somit hier von Grund aus aufgegeben, und die Brüderlichkeit der Stämme zum Princip erhoben.
Das göttliche Gesetz wird in einer mit Gold überzogenen Lade verwahrt, über welcher der goldene Thron der Gnade sich erhebt, von zwei Cherubim bewacht, und als Sitz der göttlichen Offenbarung verehrt. In der Stiftshütte, gewisser- maszen der göttlichen Residenz, die von den Priestern bewahrt wird, ist die Lade und der Thron in dem Allerheiligsten hinter einem Vorhang verborgen. Dort empfängt der Hohepriester die Gebote Jehovas und verkündet sie. Der Hohepriester, aus dem Geschlechte Aarons, des Bruders von Moses, stammend, ist das regelmäszige Organ des göttlichen Willens, und der Vertreter des Volkes vor dem Herrn. Ausnahmsweise, in kritischen Zeiten, erweckt Jehova einzelne erleuchtete Indivi- duen, die als Propheten die miszkannte göttliche Autorität herstellen, das Gewissen der Könige und des Volkes wach- rufen, den Abfall von Gott züchtigen, zur Bekehrung mahnen und das künftige Schicksal des Volkes enthüllen. Auch die Richter, welche an der Spitze der verschiedenen Stämme das
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Sechstes Capitel. I. Die (Ideokratie) Theokratie.
dessen Willen er mit Furcht und Zittern vernommen, und
getreu dem Befehle des Herrn dem Volke verkündet hat.
Blitz und Donner haben die Gegenwart Gottes auf dem Berge
Sinai allem Volke bezeugt.
Das ganze Volk aber wurde durch diese göttliche Herr-
schaft gehoben. In Aegypten noch war es verachtet, und jeder
Aegyptier aus einer der höhern Kasten betrachtete die Juden
als Verworfene, deren Umgang verunreinige. Nun erhielten
sie das erhabene Gefühl, das bevorzugte Volk des höchsten
Gottes zu sein. Obwohl auch sie in erbliche Stämme einge-
theilt wurden, und auch unter ihnen ein gesonderter Priester-
stamm (der Stamm Levi) geordnet ward, so waren doch alle
Stämme Nachkommen der Erzväter Abraham, Isak und Jakob,
und galt hinwieder das ganze Volk als ein „Priestervolk“.
Die schroffe Ueberordnung der Kasten ist somit hier von
Grund aus aufgegeben, und die Brüderlichkeit der Stämme
zum Princip erhoben.
Das göttliche Gesetz wird in einer mit Gold überzogenen
Lade verwahrt, über welcher der goldene Thron der Gnade
sich erhebt, von zwei Cherubim bewacht, und als Sitz der
göttlichen Offenbarung verehrt. In der Stiftshütte, gewisser-
maszen der göttlichen Residenz, die von den Priestern bewahrt
wird, ist die Lade und der Thron in dem Allerheiligsten hinter
einem Vorhang verborgen. Dort empfängt der Hohepriester
die Gebote Jehovas und verkündet sie. Der Hohepriester,
aus dem Geschlechte Aarons, des Bruders von Moses, stammend,
ist das regelmäszige Organ des göttlichen Willens, und der
Vertreter des Volkes vor dem Herrn. Ausnahmsweise, in
kritischen Zeiten, erweckt Jehova einzelne erleuchtete Indivi-
duen, die als Propheten die miszkannte göttliche Autorität
herstellen, das Gewissen der Könige und des Volkes wach-
rufen, den Abfall von Gott züchtigen, zur Bekehrung mahnen
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/411>, abgerufen am 22.11.2024.
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