Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.Zehntes Capitel. II. Monarch. Statsformen. C. Das römische Kaiserthum. friedigt. 7 Eine Folge dieser auszerordentlichen Vollmachtist es, dasz die kaiserlichen Edicte allein nicht blosz, sondern sogar die Decrete und Rescripte die volle Autorität von Gesetzen haben, dasz somit auch die gesammte Gesetz- gebungsgewalt von dem Kaiser allein in weitestem Umfange ausgeübt werden kann. 8 Damit aber jedes Bedenken über die Anwendung dieser In der That war diese Kaisermacht auf dem Gebiete des 7 Ebenda: "utique quaccumque ex usu reipublicae majestate divinarum huma'rum publicarum privatarumque rerum esse censebit ei agere facere jus potestasque sit." 8 Savigny, System des röm. Rechts. I. S. 121 ff. 9 Lex de Imp. Vesp.: "Si quis hujusce legis ergo adversus leges ro- gationes plebisve scita senatusve consulta fecit fecerit sive quod eum ex lege etc. facere oportebit non fecerit hujusve legis ergo id ei ne fraudi esto neve quit ob eam rem populo dare debeto neve cui de ca re actio neve judicatio esto neve quis de ca re apud . . agi sinito." 10 Den Namen dominus freilich, der im Gegensatze an die servi erin-
nerte, verbaten sich die ersten Kaiser noch als unwürdig (Sucton. Octav. 53: "domini appellationem ut maledictum et opprobrium semper exhor- ruit" Tiber. 27. Tac. Ann. IV. 37. 38.). Spätere Kriecherei aber führte den Titel dennoch ein. Zehntes Capitel. II. Monarch. Statsformen. C. Das römische Kaiserthum. friedigt. 7 Eine Folge dieser auszerordentlichen Vollmachtist es, dasz die kaiserlichen Edicte allein nicht blosz, sondern sogar die Decrete und Rescripte die volle Autorität von Gesetzen haben, dasz somit auch die gesammte Gesetz- gebungsgewalt von dem Kaiser allein in weitestem Umfange ausgeübt werden kann. 8 Damit aber jedes Bedenken über die Anwendung dieser In der That war diese Kaisermacht auf dem Gebiete des 7 Ebenda: „utique quaccumque ex usu reipublicae majestate divinarum huma'rum publicarum privatarumque rerum esse censebit ei agere facere jus potestasque sit.“ 8 Savigny, System des röm. Rechts. I. S. 121 ff. 9 Lex de Imp. Vesp.: „Si quis hujusce legis ergo adversus leges ro- gationes plebisve scita senatusve consulta fecit fecerit sive quod eum ex lege etc. facere oportebit non fecerit hujusve legis ergo id ei ne fraudi esto neve quit ob eam rem populo dare debeto neve cui de ca re actio neve judicatio esto neve quis de ca re apud . . agi sinito.“ 10 Den Namen dominus freilich, der im Gegensatze an die servi erin-
nerte, verbaten sich die ersten Kaiser noch als unwürdig (Sucton. Octav. 53: „domini appellationem ut maledictum et opprobrium semper exhor- ruit“ Tiber. 27. Tac. Ann. IV. 37. 38.). Spätere Kriecherei aber führte den Titel dennoch ein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0437" n="419"/><fw place="top" type="header">Zehntes Capitel. II. Monarch. Statsformen. C. Das römische Kaiserthum.</fw><lb/> friedigt. <note place="foot" n="7">Ebenda: „utique <hi rendition="#i">quaccumque ex usu</hi> reipublicae <hi rendition="#i">majestate</hi> divinarum<lb/> huma'rum publicarum privatarumque rerum esse censebit <hi rendition="#i">ei agere facere<lb/> jus potestasque sit</hi>.“</note> Eine Folge dieser auszerordentlichen Vollmacht<lb/> ist es, dasz die kaiserlichen Edicte allein nicht blosz, sondern<lb/> sogar die Decrete und Rescripte die volle Autorität von<lb/><hi rendition="#g">Gesetzen</hi> haben, dasz somit auch die gesammte Gesetz-<lb/> gebungsgewalt von dem Kaiser allein in weitestem Umfange<lb/> ausgeübt werden kann. <note place="foot" n="8"><hi rendition="#g">Savigny</hi>, System des röm. Rechts. I. S. 121 ff.</note></p><lb/> <p>Damit aber jedes Bedenken über die Anwendung dieser<lb/> absoluten Macht zum Schweigen gebracht, und jeder Wider-<lb/> stand gegen dieselbe erfolglos werde, bestimmt das Kaiser-<lb/> gesetz ausdrücklich: dasz wenn einer um dieses Gesetzes<lb/> willen gegen Volksgesetze, Plebiscite oder Senatsordnungen<lb/> handle, oder was dieselben vorschreiben, nicht befolge, ihm<lb/> das nicht zum Schaden gereichen solle, und er deszhalb nicht<lb/> zu gerichtlicher Rechenschaft gezogen werden dürfe. Die<lb/> Unverantwortlichkeit des Kaisers verstand sich von selbst; sie<lb/> wurde aber auch auf alle ausgedehnt, welche im Auftrag und<lb/> Dienst des Kaisers nach seinem Willen handelten, somit das<lb/> Gegentheil der heutigen Ministerverantwortlichkeit festgesetzt. <note place="foot" n="9"><hi rendition="#i">Lex de Imp. Vesp.</hi>: „Si quis hujusce legis ergo adversus leges ro-<lb/> gationes plebisve scita senatusve consulta fecit fecerit sive quod eum ex<lb/> lege etc. facere oportebit non fecerit hujusve legis ergo <hi rendition="#i">id ei ne fraudi<lb/> esto</hi> neve quit ob eam rem populo dare debeto <hi rendition="#i">neve cui de ca re actio<lb/> neve judicatio esto neve quis de ca re apud</hi> . . <hi rendition="#i">agi sinito</hi>.“</note></p><lb/> <p>In der That war diese Kaisermacht auf dem Gebiete des<lb/> öffentlichen Rechtes ganz ähnlich wie das Eigenthum des<lb/> römischen Sachen- und die väterliche Gewalt des Familien-<lb/> rechts. Sie war <hi rendition="#g">unbeschränkte Herrschergewalt</hi>, <note place="foot" n="10">Den Namen <hi rendition="#i">dominus</hi> freilich, der im Gegensatze an die <hi rendition="#i">servi</hi> erin-<lb/> nerte, verbaten sich die ersten Kaiser noch als unwürdig (<hi rendition="#i">Sucton</hi>. Octav.<lb/> 53: „<hi rendition="#i">domini</hi> appellationem ut maledictum et opprobrium semper exhor-<lb/> ruit“ Tiber. 27. <hi rendition="#i">Tac</hi>. Ann. IV. 37. 38.). Spätere Kriecherei aber führte<lb/> den Titel dennoch ein.</note> vor<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [419/0437]
Zehntes Capitel. II. Monarch. Statsformen. C. Das römische Kaiserthum.
friedigt. 7 Eine Folge dieser auszerordentlichen Vollmacht
ist es, dasz die kaiserlichen Edicte allein nicht blosz, sondern
sogar die Decrete und Rescripte die volle Autorität von
Gesetzen haben, dasz somit auch die gesammte Gesetz-
gebungsgewalt von dem Kaiser allein in weitestem Umfange
ausgeübt werden kann. 8
Damit aber jedes Bedenken über die Anwendung dieser
absoluten Macht zum Schweigen gebracht, und jeder Wider-
stand gegen dieselbe erfolglos werde, bestimmt das Kaiser-
gesetz ausdrücklich: dasz wenn einer um dieses Gesetzes
willen gegen Volksgesetze, Plebiscite oder Senatsordnungen
handle, oder was dieselben vorschreiben, nicht befolge, ihm
das nicht zum Schaden gereichen solle, und er deszhalb nicht
zu gerichtlicher Rechenschaft gezogen werden dürfe. Die
Unverantwortlichkeit des Kaisers verstand sich von selbst; sie
wurde aber auch auf alle ausgedehnt, welche im Auftrag und
Dienst des Kaisers nach seinem Willen handelten, somit das
Gegentheil der heutigen Ministerverantwortlichkeit festgesetzt. 9
In der That war diese Kaisermacht auf dem Gebiete des
öffentlichen Rechtes ganz ähnlich wie das Eigenthum des
römischen Sachen- und die väterliche Gewalt des Familien-
rechts. Sie war unbeschränkte Herrschergewalt, 10 vor
7 Ebenda: „utique quaccumque ex usu reipublicae majestate divinarum
huma'rum publicarum privatarumque rerum esse censebit ei agere facere
jus potestasque sit.“
8 Savigny, System des röm. Rechts. I. S. 121 ff.
9 Lex de Imp. Vesp.: „Si quis hujusce legis ergo adversus leges ro-
gationes plebisve scita senatusve consulta fecit fecerit sive quod eum ex
lege etc. facere oportebit non fecerit hujusve legis ergo id ei ne fraudi
esto neve quit ob eam rem populo dare debeto neve cui de ca re actio
neve judicatio esto neve quis de ca re apud . . agi sinito.“
10 Den Namen dominus freilich, der im Gegensatze an die servi erin-
nerte, verbaten sich die ersten Kaiser noch als unwürdig (Sucton. Octav.
53: „domini appellationem ut maledictum et opprobrium semper exhor-
ruit“ Tiber. 27. Tac. Ann. IV. 37. 38.). Spätere Kriecherei aber führte
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