Zwölftes Capitel. II. Monarch. Statsformen. E. Die Lehensmonarchie etc.
schen Könige waren im Innern des deutschen Reiches vielfach gelähmt durch die Macht der Fürsten. Nur ausnahmsweise, wo besonders günstige oder drängende Verhältnisse eine Ab- weichung veranlaszten, konnte sich eine stärkere Central- macht der Könige erhalten; wie in England nach dem Siege der Normannen, wo das Interesse der Sicherheit den norman- nischen Adel nöthigte, sich enger an den König anzuschlieszen, und das Bedürfnisz der neu begründeten Dynastie, sich zu erhalten, eine energischere Entfaltung der königlichen Macht erforderte.
5. Guizot hat die Frage aufgeworfen, 12 woher es komme, dasz die feudale Statsordnung nicht erst in den Zeiten ihres Verfalls, sondern selbst in der Periode ihrer höchsten Blüthe fortwährend von der Abneigung des Volkes begleitet worden sei. Den Hauptgrund für diese Erscheinung stellt er so dar: "Der Feudalismus war eine Verbündung kleiner Herren, kleiner Despoten, die unter sich ungleich und durch mancherlei Rechte und Pflichten verknüpft, jeder auf seinen eigenen Gütern über ihre persönlichen und unmittelbaren Unterthanen eine willkürliche und absolute Gewalt besaszen. -- Von allen Ty- ranneien aber ist die die schlimmste, welche ihre Unterthanen bequem überzählt und von ihrem Wohnsitz aus die Grenzen ihres Gebiets überblickt. Die Launen menschlicher Willkür entfalten sich dann in unerträglicher Sonderbarkeit und mit unwiderstehlichem Nachdruck. Die Ungleichheit des Standes macht sich dann auch in schroffster Weise fühlbar. Reich- thum, Macht, Unabhängigkeit, alle Vorzüge und Rechte werden jeden Augenblick dem Elend, der Schwäche, der Knechtschaft gegenüber gestellt. -- In diesem System war der Despotismus so grosz als in der reinen Monarchie, waren die Privilegien nicht geringer als in der engsten Aristokratie, und beide stellten sich in der beleidigendsten und rohesten Form dar.
12Guizot: "Du caractere politique du regime feodal" in den Essais sur l'hist. de France. V.
Zwölftes Capitel. II. Monarch. Statsformen. E. Die Lehensmonarchie etc.
schen Könige waren im Innern des deutschen Reiches vielfach gelähmt durch die Macht der Fürsten. Nur ausnahmsweise, wo besonders günstige oder drängende Verhältnisse eine Ab- weichung veranlaszten, konnte sich eine stärkere Central- macht der Könige erhalten; wie in England nach dem Siege der Normannen, wo das Interesse der Sicherheit den norman- nischen Adel nöthigte, sich enger an den König anzuschlieszen, und das Bedürfnisz der neu begründeten Dynastie, sich zu erhalten, eine energischere Entfaltung der königlichen Macht erforderte.
5. Guizot hat die Frage aufgeworfen, 12 woher es komme, dasz die feudale Statsordnung nicht erst in den Zeiten ihres Verfalls, sondern selbst in der Periode ihrer höchsten Blüthe fortwährend von der Abneigung des Volkes begleitet worden sei. Den Hauptgrund für diese Erscheinung stellt er so dar: „Der Feudalismus war eine Verbündung kleiner Herren, kleiner Despoten, die unter sich ungleich und durch mancherlei Rechte und Pflichten verknüpft, jeder auf seinen eigenen Gütern über ihre persönlichen und unmittelbaren Unterthanen eine willkürliche und absolute Gewalt besaszen. — Von allen Ty- ranneien aber ist die die schlimmste, welche ihre Unterthanen bequem überzählt und von ihrem Wohnsitz aus die Grenzen ihres Gebiets überblickt. Die Launen menschlicher Willkür entfalten sich dann in unerträglicher Sonderbarkeit und mit unwiderstehlichem Nachdruck. Die Ungleichheit des Standes macht sich dann auch in schroffster Weise fühlbar. Reich- thum, Macht, Unabhängigkeit, alle Vorzüge und Rechte werden jeden Augenblick dem Elend, der Schwäche, der Knechtschaft gegenüber gestellt. — In diesem System war der Despotismus so grosz als in der reinen Monarchie, waren die Privilegien nicht geringer als in der engsten Aristokratie, und beide stellten sich in der beleidigendsten und rohesten Form dar.
12Guizot: „Du caractère politique du régime féodal“ in den Essais sur l'hist. de France. V.
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Zwölftes Capitel. II. Monarch. Statsformen. E. Die Lehensmonarchie etc.
schen Könige waren im Innern des deutschen Reiches vielfach
gelähmt durch die Macht der Fürsten. Nur ausnahmsweise,
wo besonders günstige oder drängende Verhältnisse eine Ab-
weichung veranlaszten, konnte sich eine stärkere Central-
macht der Könige erhalten; wie in England nach dem Siege
der Normannen, wo das Interesse der Sicherheit den norman-
nischen Adel nöthigte, sich enger an den König anzuschlieszen,
und das Bedürfnisz der neu begründeten Dynastie, sich zu
erhalten, eine energischere Entfaltung der königlichen Macht
erforderte.
5. Guizot hat die Frage aufgeworfen, 12 woher es komme,
dasz die feudale Statsordnung nicht erst in den Zeiten ihres
Verfalls, sondern selbst in der Periode ihrer höchsten Blüthe
fortwährend von der Abneigung des Volkes begleitet worden
sei. Den Hauptgrund für diese Erscheinung stellt er so dar:
„Der Feudalismus war eine Verbündung kleiner Herren, kleiner
Despoten, die unter sich ungleich und durch mancherlei Rechte
und Pflichten verknüpft, jeder auf seinen eigenen Gütern
über ihre persönlichen und unmittelbaren Unterthanen eine
willkürliche und absolute Gewalt besaszen. — Von allen Ty-
ranneien aber ist die die schlimmste, welche ihre Unterthanen
bequem überzählt und von ihrem Wohnsitz aus die Grenzen
ihres Gebiets überblickt. Die Launen menschlicher Willkür
entfalten sich dann in unerträglicher Sonderbarkeit und mit
unwiderstehlichem Nachdruck. Die Ungleichheit des Standes
macht sich dann auch in schroffster Weise fühlbar. Reich-
thum, Macht, Unabhängigkeit, alle Vorzüge und Rechte werden
jeden Augenblick dem Elend, der Schwäche, der Knechtschaft
gegenüber gestellt. — In diesem System war der Despotismus
so grosz als in der reinen Monarchie, waren die Privilegien
nicht geringer als in der engsten Aristokratie, und beide
stellten sich in der beleidigendsten und rohesten Form dar.
12 Guizot: „Du caractère politique du régime féodal“ in den Essais
sur l'hist. de France. V.
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/453>, abgerufen am 23.11.2024.
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