seine Willkür. Aber dieser vorbehaltene Bereich seiner Willkürmacht war eng begrenzt. Ueberall stiesz er auf stän- dische, körperschaftliche und Privatrechte, welche er ebenso zu achten genöthigt war, wie er Achtung seiner fürstlichen Rechte forderte. Jeder Berechtigte vertheidigte im Nothfall sein Recht, sei es mit gewaffneter Hand wider die Gewalt, sei es vor den Gerichten im Procesz.
Ein Gesetzgebungsrecht hatte der König für sich allein nicht. Nur mit Beirath und Zustimmung der Reichs- stände konnte der König, nur mit Einwilligung der Land- stände konnte der Landesherr neue gesetzliche Ordnungen erlassen und einführen.
Die Regierungsgewalt war noch wenig entwickelt und sehr beschränkt. Einen Beamtenkörper, der vom Haupt aus beherrscht und bewegt wird, gab es nicht. Die Kronvasallen, denen die königlichen Rechte verliehen waren, übten die- selben innerhalb ihrer Herrschaften zu eigenem Rechte selb- ständig aus. Die Hofämter waren an Vasallen und Ministe- rialen meistens zu erblichem Rechte vergeben und dienten dem Herren nur nach den herkömmlichen Formen, eher dem Scheine nach als in Wahrheit. Die Hofsitte, die ständische Ueber- lieferung, der Familiengeist wirkten stärker als das Gefühl der gesetzlichen Pflicht und der Statsgeist. Die Landstände, in denen die aristokratischen Classen das Uebergewicht hatten, übten durch ihre Beschwerden und Erinnerungen eine oft lästige Controle aus über die fürstliche Regierung. Nicht selten verfolgten sie die fürstlichen Räthe und verlangten deren Entlassung oder Bestrafung. Zuweilen forderten sie die Bevormundung des Fürsten und eine Mitregierung durch ihre Vertrauensmänner.
Der Fürst war zwar noch der oberste Richter und sasz noch zuweilen selber auf dem Stuhle des Richters. Aber das Urtheil fanden die Schöffen und er durfte nur den Spruch vollziehen, den die Schöffen gefunden hatten. Er selber war
Sechstes Buch. Die Statsformen.
seine Willkür. Aber dieser vorbehaltene Bereich seiner Willkürmacht war eng begrenzt. Ueberall stiesz er auf stän- dische, körperschaftliche und Privatrechte, welche er ebenso zu achten genöthigt war, wie er Achtung seiner fürstlichen Rechte forderte. Jeder Berechtigte vertheidigte im Nothfall sein Recht, sei es mit gewaffneter Hand wider die Gewalt, sei es vor den Gerichten im Procesz.
Ein Gesetzgebungsrecht hatte der König für sich allein nicht. Nur mit Beirath und Zustimmung der Reichs- stände konnte der König, nur mit Einwilligung der Land- stände konnte der Landesherr neue gesetzliche Ordnungen erlassen und einführen.
Die Regierungsgewalt war noch wenig entwickelt und sehr beschränkt. Einen Beamtenkörper, der vom Haupt aus beherrscht und bewegt wird, gab es nicht. Die Kronvasallen, denen die königlichen Rechte verliehen waren, übten die- selben innerhalb ihrer Herrschaften zu eigenem Rechte selb- ständig aus. Die Hofämter waren an Vasallen und Ministe- rialen meistens zu erblichem Rechte vergeben und dienten dem Herren nur nach den herkömmlichen Formen, eher dem Scheine nach als in Wahrheit. Die Hofsitte, die ständische Ueber- lieferung, der Familiengeist wirkten stärker als das Gefühl der gesetzlichen Pflicht und der Statsgeist. Die Landstände, in denen die aristokratischen Classen das Uebergewicht hatten, übten durch ihre Beschwerden und Erinnerungen eine oft lästige Controle aus über die fürstliche Regierung. Nicht selten verfolgten sie die fürstlichen Räthe und verlangten deren Entlassung oder Bestrafung. Zuweilen forderten sie die Bevormundung des Fürsten und eine Mitregierung durch ihre Vertrauensmänner.
Der Fürst war zwar noch der oberste Richter und sasz noch zuweilen selber auf dem Stuhle des Richters. Aber das Urtheil fanden die Schöffen und er durfte nur den Spruch vollziehen, den die Schöffen gefunden hatten. Er selber war
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Sechstes Buch. Die Statsformen.
seine Willkür. Aber dieser vorbehaltene Bereich seiner
Willkürmacht war eng begrenzt. Ueberall stiesz er auf stän-
dische, körperschaftliche und Privatrechte, welche er ebenso
zu achten genöthigt war, wie er Achtung seiner fürstlichen
Rechte forderte. Jeder Berechtigte vertheidigte im Nothfall
sein Recht, sei es mit gewaffneter Hand wider die Gewalt,
sei es vor den Gerichten im Procesz.
Ein Gesetzgebungsrecht hatte der König für sich
allein nicht. Nur mit Beirath und Zustimmung der Reichs-
stände konnte der König, nur mit Einwilligung der Land-
stände konnte der Landesherr neue gesetzliche Ordnungen
erlassen und einführen.
Die Regierungsgewalt war noch wenig entwickelt und
sehr beschränkt. Einen Beamtenkörper, der vom Haupt aus
beherrscht und bewegt wird, gab es nicht. Die Kronvasallen,
denen die königlichen Rechte verliehen waren, übten die-
selben innerhalb ihrer Herrschaften zu eigenem Rechte selb-
ständig aus. Die Hofämter waren an Vasallen und Ministe-
rialen meistens zu erblichem Rechte vergeben und dienten dem
Herren nur nach den herkömmlichen Formen, eher dem Scheine
nach als in Wahrheit. Die Hofsitte, die ständische Ueber-
lieferung, der Familiengeist wirkten stärker als das Gefühl
der gesetzlichen Pflicht und der Statsgeist. Die Landstände,
in denen die aristokratischen Classen das Uebergewicht hatten,
übten durch ihre Beschwerden und Erinnerungen eine oft
lästige Controle aus über die fürstliche Regierung. Nicht
selten verfolgten sie die fürstlichen Räthe und verlangten
deren Entlassung oder Bestrafung. Zuweilen forderten sie
die Bevormundung des Fürsten und eine Mitregierung durch
ihre Vertrauensmänner.
Der Fürst war zwar noch der oberste Richter und
sasz noch zuweilen selber auf dem Stuhle des Richters. Aber
das Urtheil fanden die Schöffen und er durfte nur den Spruch
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/456>, abgerufen am 23.11.2024.
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