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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Dreizehntes Cap. II. Monarch. Statsformen. F. Neuere absol. Monarchie.
reich, seit Philipp II. (1556-1598) in Spanien entschieden.
In Frankreich kamen freilich von Zeit zu Zeit Reactionen
dagegen vor; in Spanien blieb der Absolutismus sicherer, und
hatte einen finsterern und grausameren Charakter. Es erregt
ein Grauen, wenn man sich daran erinnert, dasz Philipp II.
das ganze Volk der Niederländer, über welches ihm nur be-
schränkte Herrschaftsrechte zustanden, als Verbrecher zu ver-
urtheilen wagte. Erst unter Ludwig XIV. hatte in Frank-
reich die absolute Gewalt des Königthums ihren Höhepunkt
erstiegen, von wo aus sie jählings dem Abgrunde der Revo-
lution entgegenstürzte. Sein Beispiel ahmten dann die deut-
schen
Dynastien nach, die groszen und die kleinen. 4 Es
wurde wieder erlebt, dasz ein christlich-europäischer Monarch
ein ganzes Volk, dessen Oberhaupt zu sein er sich überdem
nur angemaszt hatte, dasz Joseph I. von Oesterreich die
Bayern zum Tode verurtheilte, und sich dabei gar auf gött-
liches Recht berief. 5

Den politischen Grundgedanken dieses neuen Abso-
lutismus hat Ludwig XIV. mit einer staunenswerthen Nai-
vetät in dem bekannten Satze ausgesprochen: "L'etat c'est

4 Friedrich II. von Preuszen im Antimach. 10: "Il n'y a pas
jusqu'au Cadet du Cadet d'une Ligne appanagee, qui ne s'imagine d'etre
quelque chose de semblable a Louis XIV. Il batit son Versailles, il a
ses maeitresses, il entretient ses armees. Ils s'abeiment pour l'honneur
de leur Maison et il prennent par vanite le chemin de la misere et de
l'hopital."
5 Hormayr Lebensbilder I. S. 256. Patent Joseph's I. von Oester-
reich vom 20. Dec. 1705: "Alle Bayern seyen der beleidigten Majestät
Josephs I. als des ihnen von Gott dem Allmächtigen vorgesetzten allei-
nigen rechtmäszigen Landesherrn schuldig, und daher ohne weiters mit
dem Strange vom Leben zum Tode zu richten
! Nur aus aller-
höchster Clemenz (?) und landesväterlicher Mildigkeit (?) werde verordnet,
dasz allezeit 15 zu 15 um's Leben spielen und jener, auf den das
wenigste Loos fällt, im Angesicht aller aufgehenkt werden solle." Man
traut seinen Augen nicht, wenn man solchen Wahnsinn, der sich selbst
als Recht und Gnade verkündet, noch im XVIII. Jahrhundert, unmittel-
bar vor dem Zeitalter der "philosophischen Aufklärung" begegnet.

Dreizehntes Cap. II. Monarch. Statsformen. F. Neuere absol. Monarchie.
reich, seit Philipp II. (1556-1598) in Spanien entschieden.
In Frankreich kamen freilich von Zeit zu Zeit Reactionen
dagegen vor; in Spanien blieb der Absolutismus sicherer, und
hatte einen finsterern und grausameren Charakter. Es erregt
ein Grauen, wenn man sich daran erinnert, dasz Philipp II.
das ganze Volk der Niederländer, über welches ihm nur be-
schränkte Herrschaftsrechte zustanden, als Verbrecher zu ver-
urtheilen wagte. Erst unter Ludwig XIV. hatte in Frank-
reich die absolute Gewalt des Königthums ihren Höhepunkt
erstiegen, von wo aus sie jählings dem Abgrunde der Revo-
lution entgegenstürzte. Sein Beispiel ahmten dann die deut-
schen
Dynastien nach, die groszen und die kleinen. 4 Es
wurde wieder erlebt, dasz ein christlich-europäischer Monarch
ein ganzes Volk, dessen Oberhaupt zu sein er sich überdem
nur angemaszt hatte, dasz Joseph I. von Oesterreich die
Bayern zum Tode verurtheilte, und sich dabei gar auf gött-
liches Recht berief. 5

Den politischen Grundgedanken dieses neuen Abso-
lutismus hat Ludwig XIV. mit einer staunenswerthen Nai-
vetät in dem bekannten Satze ausgesprochen: „L'état c'est

4 Friedrich II. von Preuszen im Antimach. 10: „Il n'y a pas
jusqu'au Cadet du Cadet d'une Ligne appanagée, qui ne s'imagine d'être
quelque chose de semblable à Louis XIV. Il bâtit son Versailles, il a
ses maîtresses, il entretient ses armées. Ils s'abîment pour l'honneur
de leur Maison et il prennent par vanité le chemin de la misère et de
l'hôpital.“
5 Hormayr Lebensbilder I. S. 256. Patent Joseph's I. von Oester-
reich vom 20. Dec. 1705: „Alle Bayern seyen der beleidigten Majestät
Josephs I. als des ihnen von Gott dem Allmächtigen vorgesetzten allei-
nigen rechtmäszigen Landesherrn schuldig, und daher ohne weiters mit
dem Strange vom Leben zum Tode zu richten
! Nur aus aller-
höchster Clemenz (?) und landesväterlicher Mildigkeit (?) werde verordnet,
dasz allezeit 15 zu 15 um's Leben spielen und jener, auf den das
wenigste Loos fällt, im Angesicht aller aufgehenkt werden solle.“ Man
traut seinen Augen nicht, wenn man solchen Wahnsinn, der sich selbst
als Recht und Gnade verkündet, noch im XVIII. Jahrhundert, unmittel-
bar vor dem Zeitalter der „philosophischen Aufklärung“ begegnet.
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[443/0461] Dreizehntes Cap. II. Monarch. Statsformen. F. Neuere absol. Monarchie. reich, seit Philipp II. (1556-1598) in Spanien entschieden. In Frankreich kamen freilich von Zeit zu Zeit Reactionen dagegen vor; in Spanien blieb der Absolutismus sicherer, und hatte einen finsterern und grausameren Charakter. Es erregt ein Grauen, wenn man sich daran erinnert, dasz Philipp II. das ganze Volk der Niederländer, über welches ihm nur be- schränkte Herrschaftsrechte zustanden, als Verbrecher zu ver- urtheilen wagte. Erst unter Ludwig XIV. hatte in Frank- reich die absolute Gewalt des Königthums ihren Höhepunkt erstiegen, von wo aus sie jählings dem Abgrunde der Revo- lution entgegenstürzte. Sein Beispiel ahmten dann die deut- schen Dynastien nach, die groszen und die kleinen. 4 Es wurde wieder erlebt, dasz ein christlich-europäischer Monarch ein ganzes Volk, dessen Oberhaupt zu sein er sich überdem nur angemaszt hatte, dasz Joseph I. von Oesterreich die Bayern zum Tode verurtheilte, und sich dabei gar auf gött- liches Recht berief. 5 Den politischen Grundgedanken dieses neuen Abso- lutismus hat Ludwig XIV. mit einer staunenswerthen Nai- vetät in dem bekannten Satze ausgesprochen: „L'état c'est 4 Friedrich II. von Preuszen im Antimach. 10: „Il n'y a pas jusqu'au Cadet du Cadet d'une Ligne appanagée, qui ne s'imagine d'être quelque chose de semblable à Louis XIV. Il bâtit son Versailles, il a ses maîtresses, il entretient ses armées. Ils s'abîment pour l'honneur de leur Maison et il prennent par vanité le chemin de la misère et de l'hôpital.“ 5 Hormayr Lebensbilder I. S. 256. Patent Joseph's I. von Oester- reich vom 20. Dec. 1705: „Alle Bayern seyen der beleidigten Majestät Josephs I. als des ihnen von Gott dem Allmächtigen vorgesetzten allei- nigen rechtmäszigen Landesherrn schuldig, und daher ohne weiters mit dem Strange vom Leben zum Tode zu richten! Nur aus aller- höchster Clemenz (?) und landesväterlicher Mildigkeit (?) werde verordnet, dasz allezeit 15 zu 15 um's Leben spielen und jener, auf den das wenigste Loos fällt, im Angesicht aller aufgehenkt werden solle.“ Man traut seinen Augen nicht, wenn man solchen Wahnsinn, der sich selbst als Recht und Gnade verkündet, noch im XVIII. Jahrhundert, unmittel- bar vor dem Zeitalter der „philosophischen Aufklärung“ begegnet.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/461>, abgerufen am 23.11.2024.