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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
Monarchie einzuführen, Niemand mehr seinem Gelöbnisz
glaubte und die Dynastie vertrieben ward.

Eine andere Wendung nahmen die Dinge in Piemont.
Nachdem einmal der König am 6. Febr. 1848 sich für die
Einführung des repräsentativen Systems nach dem Vorbilde
der französischen Charte von 1830 erklärt hatte, 20 blieb das
savoyische Königshaus dieser Verfassung vom 4. März 1848
mit einer seltenen Entschiedenheit treu. Zwar glückte es
Karl Albert noch nicht, ein erweitertes italienisches Reich
unter seinem Scepter zu einigen. Die Siege Radetzky's war-
fen seinen nationalen Ehrgeiz zurück und bewahrten vielleicht
Italien vor dem Ueberfluten einer unreifen Demokratie. Aber
auch in jener Zeit, wo die Reaction in Italien ihre Triumphe
feierte, blieb der neue König Victor Emmanuel doch der
Verfassung treu. -- Die wunderbaren Erfolge, welche er in
den Jahren 1859 und 1860 errang, verdankte er zu gutem
Theile dem Glauben der italienischen Völker an seine ehr-
liche constitutionelle und nationale Gesinnung, welche ihn
bestimmte, die Leitung einem groszen Statsmanne als Mi-
nister, dem edlen Cavour zu übertragen. Mit Hülfe Frank-
reichs wurde Oesterreich aus der Lombardei verdrängt und
der neue nationale Stat breitete sich über alle Fürstenthümer
von Mittelitalien, durch den kühnen Feldzug Garibaldis auch
über Neapel und Sicilien aus. Die Hülfe Preuszens verschaffte
dem Reiche auch das Königreich Venedig 1866. Zuletzt wurde
auch Rom im Jahr 1870 dem nationalen Königreiche einver-
leibt, nachdem die Franzosen während des französisch-deut-
schen Krieges genöthigt waren, die Stadt zu verlassen. Die
deutschen Siege ermöglichten den Untergang des letzten Prie-
sterstats in Europa. Das neue Königreich Italien hält an der
constitutionellen Monarchie fest, und sogar die republikanisch
gesinnten Parteien bequemen sich nach dem Beispiel Gari-

20 Worte der Verfassungsurkunde, abgedruckt Portfolio I, S. 53 ff.

Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
Monarchie einzuführen, Niemand mehr seinem Gelöbnisz
glaubte und die Dynastie vertrieben ward.

Eine andere Wendung nahmen die Dinge in Piemont.
Nachdem einmal der König am 6. Febr. 1848 sich für die
Einführung des repräsentativen Systems nach dem Vorbilde
der französischen Charte von 1830 erklärt hatte, 20 blieb das
savoyische Königshaus dieser Verfassung vom 4. März 1848
mit einer seltenen Entschiedenheit treu. Zwar glückte es
Karl Albert noch nicht, ein erweitertes italienisches Reich
unter seinem Scepter zu einigen. Die Siege Radetzky's war-
fen seinen nationalen Ehrgeiz zurück und bewahrten vielleicht
Italien vor dem Ueberfluten einer unreifen Demokratie. Aber
auch in jener Zeit, wo die Reaction in Italien ihre Triumphe
feierte, blieb der neue König Victor Emmanuel doch der
Verfassung treu. — Die wunderbaren Erfolge, welche er in
den Jahren 1859 und 1860 errang, verdankte er zu gutem
Theile dem Glauben der italienischen Völker an seine ehr-
liche constitutionelle und nationale Gesinnung, welche ihn
bestimmte, die Leitung einem groszen Statsmanne als Mi-
nister, dem edlen Cavour zu übertragen. Mit Hülfe Frank-
reichs wurde Oesterreich aus der Lombardei verdrängt und
der neue nationale Stat breitete sich über alle Fürstenthümer
von Mittelitalien, durch den kühnen Feldzug Garibaldis auch
über Neapel und Sicilien aus. Die Hülfe Preuszens verschaffte
dem Reiche auch das Königreich Venedig 1866. Zuletzt wurde
auch Rom im Jahr 1870 dem nationalen Königreiche einver-
leibt, nachdem die Franzosen während des französisch-deut-
schen Krieges genöthigt waren, die Stadt zu verlassen. Die
deutschen Siege ermöglichten den Untergang des letzten Prie-
sterstats in Europa. Das neue Königreich Italien hält an der
constitutionellen Monarchie fest, und sogar die republikanisch
gesinnten Parteien bequemen sich nach dem Beispiel Gari-

20 Worte der Verfassungsurkunde, abgedruckt Portfolio I, S. 53 ff.
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[467/0485] Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc. Monarchie einzuführen, Niemand mehr seinem Gelöbnisz glaubte und die Dynastie vertrieben ward. Eine andere Wendung nahmen die Dinge in Piemont. Nachdem einmal der König am 6. Febr. 1848 sich für die Einführung des repräsentativen Systems nach dem Vorbilde der französischen Charte von 1830 erklärt hatte, 20 blieb das savoyische Königshaus dieser Verfassung vom 4. März 1848 mit einer seltenen Entschiedenheit treu. Zwar glückte es Karl Albert noch nicht, ein erweitertes italienisches Reich unter seinem Scepter zu einigen. Die Siege Radetzky's war- fen seinen nationalen Ehrgeiz zurück und bewahrten vielleicht Italien vor dem Ueberfluten einer unreifen Demokratie. Aber auch in jener Zeit, wo die Reaction in Italien ihre Triumphe feierte, blieb der neue König Victor Emmanuel doch der Verfassung treu. — Die wunderbaren Erfolge, welche er in den Jahren 1859 und 1860 errang, verdankte er zu gutem Theile dem Glauben der italienischen Völker an seine ehr- liche constitutionelle und nationale Gesinnung, welche ihn bestimmte, die Leitung einem groszen Statsmanne als Mi- nister, dem edlen Cavour zu übertragen. Mit Hülfe Frank- reichs wurde Oesterreich aus der Lombardei verdrängt und der neue nationale Stat breitete sich über alle Fürstenthümer von Mittelitalien, durch den kühnen Feldzug Garibaldis auch über Neapel und Sicilien aus. Die Hülfe Preuszens verschaffte dem Reiche auch das Königreich Venedig 1866. Zuletzt wurde auch Rom im Jahr 1870 dem nationalen Königreiche einver- leibt, nachdem die Franzosen während des französisch-deut- schen Krieges genöthigt waren, die Stadt zu verlassen. Die deutschen Siege ermöglichten den Untergang des letzten Prie- sterstats in Europa. Das neue Königreich Italien hält an der constitutionellen Monarchie fest, und sogar die republikanisch gesinnten Parteien bequemen sich nach dem Beispiel Gari- 20 Worte der Verfassungsurkunde, abgedruckt Portfolio I, S. 53 ff.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/485>, abgerufen am 24.11.2024.