in Schweden das Zweikammersystem im Gegensatz zu dem Vierständesystem zur Geltung, nach Analogie der andern con- stitutionellen Staten.
2. Weit demokratischer ist die Verfassung Norwegens vom 4. November 1814. Der König von Schweden, welcher durch die Friedensschlüsse auch zum Könige von Norwegen bezeichnet worden, war durch die Verhältnisse genöthigt, die Verfassung im wesentlichen so anzuerkennen, wie dieselbe im Frühjahr des nämlichen Jahres von dem norwegischen Reichstag zur Sicherung der Selbständigkeit des Landes und der Freiheit seiner Bürger festgesetzt worden war. Die Ge- setzgebung wird hier "dem Volke" zugeschrieben und durch das "Storthing" ausgeübt (Art. 49). Dem Könige steht zwar das Recht der Sanction zu, aber wenn ein nicht geneh- migtes Gesetz zum drittenmale von dem Storthing gutgeheiszen wird, darf er die Sanction nicht mehr verweigern. Das ganze Storthing wird durch Wahl der norwegischen Bürger (mei- stens Grundbesitzer) gebildet, theilt sich dann aber in zwei Kammern das sogenannte "Lagthing" und das "Odels- thing." Die ausübende Gewalt gehört dem Könige, unter der Verantwortlichkeit seines Rathes. Vergeblich waren die seitherigen Versuche, die königliche Macht zu erweitern, und eine politische Aristokratie einzuführen. Die Demokratie der freien Bauern und der Bürger widersetzte sich beiden Ten- denzen beharrlich, und die Eifersucht der Norweger auf ihre Unabhängigkeit von Schweden stärkte diesen Widerstand. 24
3. Die dänische Revolution von 1660 war gegen den Adel gerichtet und hatte mit Hülfe des Bürgerthums die ab- solute Monarchie eingeführt. In unserm Jahrhundert wurde auch in Dänemark die Wandlung in die constitutionelle Mon- archie vollzogen, zuerst in der noch unzureichenden Form von Provinzialständen (Gesetz vom 28. Mai 1831), dann in
24Schubert, Verf. II, S. 404 ff. Vgl. den Art. Norwegen im deutschen Statswörterbuch.
Sechstes Buch. Die Statsformen.
in Schweden das Zweikammersystem im Gegensatz zu dem Vierständesystem zur Geltung, nach Analogie der andern con- stitutionellen Staten.
2. Weit demokratischer ist die Verfassung Norwegens vom 4. November 1814. Der König von Schweden, welcher durch die Friedensschlüsse auch zum Könige von Norwegen bezeichnet worden, war durch die Verhältnisse genöthigt, die Verfassung im wesentlichen so anzuerkennen, wie dieselbe im Frühjahr des nämlichen Jahres von dem norwegischen Reichstag zur Sicherung der Selbständigkeit des Landes und der Freiheit seiner Bürger festgesetzt worden war. Die Ge- setzgebung wird hier „dem Volke“ zugeschrieben und durch das „Storthing“ ausgeübt (Art. 49). Dem Könige steht zwar das Recht der Sanction zu, aber wenn ein nicht geneh- migtes Gesetz zum drittenmale von dem Storthing gutgeheiszen wird, darf er die Sanction nicht mehr verweigern. Das ganze Storthing wird durch Wahl der norwegischen Bürger (mei- stens Grundbesitzer) gebildet, theilt sich dann aber in zwei Kammern das sogenannte „Lagthing“ und das „Odels- thing.“ Die ausübende Gewalt gehört dem Könige, unter der Verantwortlichkeit seines Rathes. Vergeblich waren die seitherigen Versuche, die königliche Macht zu erweitern, und eine politische Aristokratie einzuführen. Die Demokratie der freien Bauern und der Bürger widersetzte sich beiden Ten- denzen beharrlich, und die Eifersucht der Norweger auf ihre Unabhängigkeit von Schweden stärkte diesen Widerstand. 24
3. Die dänische Revolution von 1660 war gegen den Adel gerichtet und hatte mit Hülfe des Bürgerthums die ab- solute Monarchie eingeführt. In unserm Jahrhundert wurde auch in Dänemark die Wandlung in die constitutionelle Mon- archie vollzogen, zuerst in der noch unzureichenden Form von Provinzialständen (Gesetz vom 28. Mai 1831), dann in
24Schubert, Verf. II, S. 404 ff. Vgl. den Art. Norwegen im deutschen Statswörterbuch.
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Sechstes Buch. Die Statsformen.
in Schweden das Zweikammersystem im Gegensatz zu dem
Vierständesystem zur Geltung, nach Analogie der andern con-
stitutionellen Staten.
2. Weit demokratischer ist die Verfassung Norwegens
vom 4. November 1814. Der König von Schweden, welcher
durch die Friedensschlüsse auch zum Könige von Norwegen
bezeichnet worden, war durch die Verhältnisse genöthigt, die
Verfassung im wesentlichen so anzuerkennen, wie dieselbe
im Frühjahr des nämlichen Jahres von dem norwegischen
Reichstag zur Sicherung der Selbständigkeit des Landes und
der Freiheit seiner Bürger festgesetzt worden war. Die Ge-
setzgebung wird hier „dem Volke“ zugeschrieben und durch
das „Storthing“ ausgeübt (Art. 49). Dem Könige steht
zwar das Recht der Sanction zu, aber wenn ein nicht geneh-
migtes Gesetz zum drittenmale von dem Storthing gutgeheiszen
wird, darf er die Sanction nicht mehr verweigern. Das ganze
Storthing wird durch Wahl der norwegischen Bürger (mei-
stens Grundbesitzer) gebildet, theilt sich dann aber in zwei
Kammern das sogenannte „Lagthing“ und das
„Odels-
thing.“ Die ausübende Gewalt gehört dem Könige, unter
der Verantwortlichkeit seines Rathes. Vergeblich waren die
seitherigen Versuche, die königliche Macht zu erweitern, und
eine politische Aristokratie einzuführen. Die Demokratie der
freien Bauern und der Bürger widersetzte sich beiden Ten-
denzen beharrlich, und die Eifersucht der Norweger auf ihre
Unabhängigkeit von Schweden stärkte diesen Widerstand. 24
3. Die dänische Revolution von 1660 war gegen den
Adel gerichtet und hatte mit Hülfe des Bürgerthums die ab-
solute Monarchie eingeführt. In unserm Jahrhundert wurde
auch in Dänemark die Wandlung in die constitutionelle Mon-
archie vollzogen, zuerst in der noch unzureichenden Form
von Provinzialständen (Gesetz vom 28. Mai 1831), dann in
24 Schubert, Verf. II, S. 404 ff. Vgl. den Art. Norwegen im
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/488>, abgerufen am 24.11.2024.
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