Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
obwohl Anfänge dazu allenthalben vorhanden sind. Erst wenn diese gelungen sein wird, und erst wenn auch die Dynastien die mittelalterlichen Vorurtheile abgestreift und den modernen Statsgeist völlig aufgenommen haben werden, ist der viel- jährige Widerstreit zur Versöhnung und die organisch be- schränkte moderne Monarchie, welche die Einheit des Ganzen mit der Freiheit aller Theile verbinden und den romanischen Statsgeist mit dem germanischen Freiheitsgefühl zur Harmo- nie zusammenstimmen will, zu sicherem Dasein gelangt.
Anmerkung. In einer Schrift, welche in den höchsten Kreisen der Gesellschaft vielfältig mit Beifall aufgenommen worden ist, unter den gebildeten Mittelklassen aber allgemeine Miszbilligung erfahren hat: "Die Vortrefflichkeit der constitutionellen Monarchie für England und die Unbrauchbarkeit der constitutionellen Monarchie für die Länder des eu- ropäischen Continentes; Hannover 1852" -- hat sich Gustav Zimmer- mann, der seither in Hannover zu einer für den Fürsten und das Volk beklagenswerthen Wirksamkeit gelangt ist, über das auf dem Titel aus- gesprochene Thema näher erklärt. Ich betrachte diese Schrift als ein absolutistisches Gegenstück einer fruchtbareren radicalen Litteratur über die constitutionelle Monarchie. Wie diese sehr häufig, so hat auch Gust. Zimmermann seinen Begriff der constitutionellen Monarchie lediglich von den äuszern Formen und Maximen der englischen Verfassung abgezogen. Wenn er dann behauptet, dasz dieser abgezogene Begriff auf dem Con- tinent nicht anwendbar sei, weil in England seine innern Widersprüche und Mängel durch den historischen Zusammenhalt und die Interessen der herrschenden Aristokratie vermittelt und verbessert, hier aber durch die demokratische Erfüllung gesteigert werden, so hat er darin nicht Un- recht. Aber der parlamentarische Constitutionalismus in England darf nicht mit der Idee der constitutionellen Monarchie verwechselt werden. Jener ist der erste groszartige und trotz der logischen Fehler glückliche Versuch ihrer Verwirklichung, nicht ihre Vollendung. Man kann die Unanwendbarkeit des englischen Parlamentarismus auf den Continent zugeben und doch für diesen die Brauchbarkeit der constitutionellen Monarchie, d. h. der Monarchie fordern, welche anerkennt, dasz ihre politischen Rechte, wie die der regierten Volksclassen verfassungsmäszig bestimmt und beschränkt seien, und dasz insbesondere für die Gesetz- gebung alle Theile des Volkskörpers zusammen wirken müssen. Die or- ganische Monarchie ist nothwendig zugleich eine constitutionelle, denn der Organismus ist selbst die Constitution. Dasz trotz allem Scharfblick im Einzelnen Gustav Zimmermann im Ganzen kein Verständnisz hat für
Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
obwohl Anfänge dazu allenthalben vorhanden sind. Erst wenn diese gelungen sein wird, und erst wenn auch die Dynastien die mittelalterlichen Vorurtheile abgestreift und den modernen Statsgeist völlig aufgenommen haben werden, ist der viel- jährige Widerstreit zur Versöhnung und die organisch be- schränkte moderne Monarchie, welche die Einheit des Ganzen mit der Freiheit aller Theile verbinden und den romanischen Statsgeist mit dem germanischen Freiheitsgefühl zur Harmo- nie zusammenstimmen will, zu sicherem Dasein gelangt.
Anmerkung. In einer Schrift, welche in den höchsten Kreisen der Gesellschaft vielfältig mit Beifall aufgenommen worden ist, unter den gebildeten Mittelklassen aber allgemeine Miszbilligung erfahren hat: „Die Vortrefflichkeit der constitutionellen Monarchie für England und die Unbrauchbarkeit der constitutionellen Monarchie für die Länder des eu- ropäischen Continentes; Hannover 1852“ — hat sich Gustav Zimmer- mann, der seither in Hannover zu einer für den Fürsten und das Volk beklagenswerthen Wirksamkeit gelangt ist, über das auf dem Titel aus- gesprochene Thema näher erklärt. Ich betrachte diese Schrift als ein absolutistisches Gegenstück einer fruchtbareren radicalen Litteratur über die constitutionelle Monarchie. Wie diese sehr häufig, so hat auch Gust. Zimmermann seinen Begriff der constitutionellen Monarchie lediglich von den äuszern Formen und Maximen der englischen Verfassung abgezogen. Wenn er dann behauptet, dasz dieser abgezogene Begriff auf dem Con- tinent nicht anwendbar sei, weil in England seine innern Widersprüche und Mängel durch den historischen Zusammenhalt und die Interessen der herrschenden Aristokratie vermittelt und verbessert, hier aber durch die demokratische Erfüllung gesteigert werden, so hat er darin nicht Un- recht. Aber der parlamentarische Constitutionalismus in England darf nicht mit der Idee der constitutionellen Monarchie verwechselt werden. Jener ist der erste groszartige und trotz der logischen Fehler glückliche Versuch ihrer Verwirklichung, nicht ihre Vollendung. Man kann die Unanwendbarkeit des englischen Parlamentarismus auf den Continent zugeben und doch für diesen die Brauchbarkeit der constitutionellen Monarchie, d. h. der Monarchie fordern, welche anerkennt, dasz ihre politischen Rechte, wie die der regierten Volksclassen verfassungsmäszig bestimmt und beschränkt seien, und dasz insbesondere für die Gesetz- gebung alle Theile des Volkskörpers zusammen wirken müssen. Die or- ganische Monarchie ist nothwendig zugleich eine constitutionelle, denn der Organismus ist selbst die Constitution. Dasz trotz allem Scharfblick im Einzelnen Gustav Zimmermann im Ganzen kein Verständnisz hat für
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Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
obwohl Anfänge dazu allenthalben vorhanden sind. Erst wenn
diese gelungen sein wird, und erst wenn auch die Dynastien
die mittelalterlichen Vorurtheile abgestreift und den modernen
Statsgeist völlig aufgenommen haben werden, ist der viel-
jährige Widerstreit zur Versöhnung und die organisch be-
schränkte moderne Monarchie, welche die Einheit des Ganzen
mit der Freiheit aller Theile verbinden und den romanischen
Statsgeist mit dem germanischen Freiheitsgefühl zur Harmo-
nie zusammenstimmen will, zu sicherem Dasein gelangt.
Anmerkung. In einer Schrift, welche in den höchsten Kreisen
der Gesellschaft vielfältig mit Beifall aufgenommen worden ist, unter
den gebildeten Mittelklassen aber allgemeine Miszbilligung erfahren hat:
„Die Vortrefflichkeit der constitutionellen Monarchie für England und die
Unbrauchbarkeit der constitutionellen Monarchie für die Länder des eu-
ropäischen Continentes; Hannover 1852“ — hat sich Gustav Zimmer-
mann, der seither in Hannover zu einer für den Fürsten und das Volk
beklagenswerthen Wirksamkeit gelangt ist, über das auf dem Titel aus-
gesprochene Thema näher erklärt. Ich betrachte diese Schrift als ein
absolutistisches Gegenstück einer fruchtbareren radicalen Litteratur über
die constitutionelle Monarchie. Wie diese sehr häufig, so hat auch Gust.
Zimmermann seinen Begriff der constitutionellen Monarchie lediglich von
den äuszern Formen und Maximen der englischen Verfassung abgezogen.
Wenn er dann behauptet, dasz dieser abgezogene Begriff auf dem Con-
tinent nicht anwendbar sei, weil in England seine innern Widersprüche
und Mängel durch den historischen Zusammenhalt und die Interessen der
herrschenden Aristokratie vermittelt und verbessert, hier aber durch die
demokratische Erfüllung gesteigert werden, so hat er darin nicht Un-
recht. Aber der parlamentarische Constitutionalismus in England darf
nicht mit der Idee der constitutionellen Monarchie verwechselt werden.
Jener ist der erste groszartige und trotz der logischen Fehler glückliche
Versuch ihrer Verwirklichung, nicht ihre Vollendung. Man kann die
Unanwendbarkeit des englischen Parlamentarismus auf den Continent
zugeben und doch für diesen die Brauchbarkeit der constitutionellen
Monarchie, d. h. der Monarchie fordern, welche anerkennt, dasz ihre
politischen Rechte, wie die der regierten Volksclassen verfassungsmäszig
bestimmt und beschränkt seien, und dasz insbesondere für die Gesetz-
gebung alle Theile des Volkskörpers zusammen wirken müssen. Die or-
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/503>, abgerufen am 24.11.2024.
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