wird, sondern als dieser gleichgestellt, so ist die noth- wendige Einheit im Statsorganismus aufgegeben, und wir haben ein Monstrum mit zwei Köpfen, eine unhaltbare Dyarchie, 2 welche entweder den Stat zerreiszt, oder, sei es dem mon- archischen, sei es dem republikanischen Princip, wieder weichen musz.
2. Im Gegensatze zu dieser Verkehrtheit hat Sieyes in seiner Verfassung dem Statsoberhaupt umgekehrt eine ruhende Stellung zuweisen wollen, und darin die moderne Entwicklung des constitutionellen Systems gesehen. Dieser Doctrin aber hat Napoleon, der, wenn je einer ein geborner Monarch war, durch sein berühmtes Wort: "Wie haben Sie sich ein- bilden können, dasz ein Mann von einigem Talent und einigem Ehrgefühl sich zur Rolle eines Mastschweins hergebe, das mit ein paar Millionen gefüttert wird?" -- ein unauslöschliches Brandmal aufgedrückt. 3
3. Häufiger noch wird als das Wesen dieser Statsform der Satz behauptet: "Der König hat zwar das Recht der Herrschaft und der Regierung, aber die Ausübung dieses Rechts steht nicht ihm, sondern den Ministern zu." Factisch mag diesz Verhältnisz in manchen Ländern zu gewissen Zeiten so bestanden haben und noch bestehen. Als Statsprincip und als Statsform anerkannt aber würde es Verzichtleistung auf die Monarchie und Einführung der Republik sein. Denn wenn die Ausübung eines Rechtes dem auf die Dauer entzogen wird, dem man das Recht zuschreibt, so hat dieser den realen Inhalt des Rechtes verloren, und es kann nicht fehlen, dasz dem, welcher das Recht der Ausübung erworben hat, auch die bei jenem zurückgebliebene leere Schale und
2 Die Spaltung, welche in dieser Dyarchie unvermittelt vorliegt, ist denn auch in Frankreich von der demokratisch-republikanischen Partei wohl begriffen worden, und sie hat dieselbe benutzt, um das Königthum gänzlich zu beseitigen.
3Las Cases Mem. IV.
Sechstes Buch. Die Statsformen.
wird, sondern als dieser gleichgestellt, so ist die noth- wendige Einheit im Statsorganismus aufgegeben, und wir haben ein Monstrum mit zwei Köpfen, eine unhaltbare Dyarchie, 2 welche entweder den Stat zerreiszt, oder, sei es dem mon- archischen, sei es dem republikanischen Princip, wieder weichen musz.
2. Im Gegensatze zu dieser Verkehrtheit hat Sieyes in seiner Verfassung dem Statsoberhaupt umgekehrt eine ruhende Stellung zuweisen wollen, und darin die moderne Entwicklung des constitutionellen Systems gesehen. Dieser Doctrin aber hat Napoleon, der, wenn je einer ein geborner Monarch war, durch sein berühmtes Wort: „Wie haben Sie sich ein- bilden können, dasz ein Mann von einigem Talent und einigem Ehrgefühl sich zur Rolle eines Mastschweins hergebe, das mit ein paar Millionen gefüttert wird?“ — ein unauslöschliches Brandmal aufgedrückt. 3
3. Häufiger noch wird als das Wesen dieser Statsform der Satz behauptet: „Der König hat zwar das Recht der Herrschaft und der Regierung, aber die Ausübung dieses Rechts steht nicht ihm, sondern den Ministern zu.“ Factisch mag diesz Verhältnisz in manchen Ländern zu gewissen Zeiten so bestanden haben und noch bestehen. Als Statsprincip und als Statsform anerkannt aber würde es Verzichtleistung auf die Monarchie und Einführung der Republik sein. Denn wenn die Ausübung eines Rechtes dem auf die Dauer entzogen wird, dem man das Recht zuschreibt, so hat dieser den realen Inhalt des Rechtes verloren, und es kann nicht fehlen, dasz dem, welcher das Recht der Ausübung erworben hat, auch die bei jenem zurückgebliebene leere Schale und
2 Die Spaltung, welche in dieser Dyarchie unvermittelt vorliegt, ist denn auch in Frankreich von der demokratisch-republikanischen Partei wohl begriffen worden, und sie hat dieselbe benutzt, um das Königthum gänzlich zu beseitigen.
3Las Cases Mém. IV.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0506"n="488"/><fwplace="top"type="header">Sechstes Buch. Die Statsformen.</fw><lb/>
wird, sondern als dieser <hirendition="#g">gleichgestellt</hi>, so ist die noth-<lb/>
wendige Einheit im Statsorganismus aufgegeben, und wir haben<lb/>
ein Monstrum mit zwei Köpfen, eine unhaltbare <hirendition="#g">Dyarchie</hi>, <noteplace="foot"n="2">Die<lb/>
Spaltung, welche in dieser Dyarchie unvermittelt vorliegt, ist<lb/>
denn auch in Frankreich von der demokratisch-republikanischen Partei<lb/>
wohl begriffen worden, und sie hat dieselbe benutzt, um das Königthum<lb/>
gänzlich zu beseitigen.</note><lb/>
welche entweder den Stat zerreiszt, oder, sei es dem mon-<lb/>
archischen, sei es dem republikanischen Princip, wieder<lb/>
weichen musz.</p><lb/><p>2. Im Gegensatze zu dieser Verkehrtheit hat <hirendition="#g">Sieyes</hi> in<lb/>
seiner Verfassung dem Statsoberhaupt umgekehrt eine <hirendition="#g">ruhende</hi><lb/>
Stellung zuweisen wollen, und darin die moderne Entwicklung<lb/>
des constitutionellen Systems gesehen. Dieser Doctrin aber<lb/>
hat <hirendition="#g">Napoleon</hi>, der, wenn je einer ein geborner Monarch<lb/>
war, durch sein berühmtes Wort: „Wie haben Sie sich ein-<lb/>
bilden können, dasz ein Mann von einigem Talent und einigem<lb/>
Ehrgefühl sich zur Rolle eines Mastschweins hergebe, das mit<lb/>
ein paar Millionen gefüttert wird?“— ein unauslöschliches<lb/>
Brandmal aufgedrückt. <noteplace="foot"n="3"><hirendition="#i">Las Cases Mém</hi>. IV.</note></p><lb/><p>3. Häufiger noch wird als das Wesen dieser Statsform<lb/>
der Satz behauptet: „Der König hat zwar das <hirendition="#g">Recht</hi> der<lb/>
Herrschaft und der Regierung, aber die <hirendition="#g">Ausübung</hi> dieses<lb/>
Rechts steht nicht ihm, sondern den <hirendition="#g">Ministern</hi> zu.“ Factisch<lb/>
mag diesz Verhältnisz in manchen Ländern zu gewissen Zeiten<lb/>
so bestanden haben und noch bestehen. Als Statsprincip und<lb/>
als Statsform anerkannt aber würde es Verzichtleistung auf<lb/>
die Monarchie und Einführung der Republik sein. Denn wenn<lb/>
die <hirendition="#g">Ausübung</hi> eines Rechtes dem auf die Dauer entzogen<lb/>
wird, dem man das <hirendition="#g">Recht</hi> zuschreibt, so hat dieser den<lb/><hirendition="#g">realen Inhalt des Rechtes</hi> verloren, und es kann nicht<lb/>
fehlen, dasz dem, welcher das Recht der Ausübung erworben<lb/>
hat, auch die bei jenem zurückgebliebene leere Schale und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[488/0506]
Sechstes Buch. Die Statsformen.
wird, sondern als dieser gleichgestellt, so ist die noth-
wendige Einheit im Statsorganismus aufgegeben, und wir haben
ein Monstrum mit zwei Köpfen, eine unhaltbare Dyarchie, 2
welche entweder den Stat zerreiszt, oder, sei es dem mon-
archischen, sei es dem republikanischen Princip, wieder
weichen musz.
2. Im Gegensatze zu dieser Verkehrtheit hat Sieyes in
seiner Verfassung dem Statsoberhaupt umgekehrt eine ruhende
Stellung zuweisen wollen, und darin die moderne Entwicklung
des constitutionellen Systems gesehen. Dieser Doctrin aber
hat Napoleon, der, wenn je einer ein geborner Monarch
war, durch sein berühmtes Wort: „Wie haben Sie sich ein-
bilden können, dasz ein Mann von einigem Talent und einigem
Ehrgefühl sich zur Rolle eines Mastschweins hergebe, das mit
ein paar Millionen gefüttert wird?“ — ein unauslöschliches
Brandmal aufgedrückt. 3
3. Häufiger noch wird als das Wesen dieser Statsform
der Satz behauptet: „Der König hat zwar das Recht der
Herrschaft und der Regierung, aber die Ausübung dieses
Rechts steht nicht ihm, sondern den Ministern zu.“ Factisch
mag diesz Verhältnisz in manchen Ländern zu gewissen Zeiten
so bestanden haben und noch bestehen. Als Statsprincip und
als Statsform anerkannt aber würde es Verzichtleistung auf
die Monarchie und Einführung der Republik sein. Denn wenn
die Ausübung eines Rechtes dem auf die Dauer entzogen
wird, dem man das Recht zuschreibt, so hat dieser den
realen Inhalt des Rechtes verloren, und es kann nicht
fehlen, dasz dem, welcher das Recht der Ausübung erworben
hat, auch die bei jenem zurückgebliebene leere Schale und
2 Die
Spaltung, welche in dieser Dyarchie unvermittelt vorliegt, ist
denn auch in Frankreich von der demokratisch-republikanischen Partei
wohl begriffen worden, und sie hat dieselbe benutzt, um das Königthum
gänzlich zu beseitigen.
3 Las Cases Mém. IV.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/506>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.