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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Dreiundzwanzigstes Cap. IV. Demokrat. Statsformen. Betrachtungen etc.
hängig gemacht von den Regierten und dennoch sollen in-
zwischen diese jenen Gehorsam leisten. Die Autorität der
Regierung ist daher verhältniszmäszig schwach, die Freiheit
der Regierten besser bedacht. Die obersten Magistrate wer-
den weniger als Häupter der Republik geehrt, als vielmehr
als Diener der Menge betrachtet und behandelt. Obwohl
nach dem Ausdruck von Guizot, jeder Stat nur von oben
herab und nicht von unten herauf regiert werden kann, so
will doch diese Statsform möglichst den Schein wahren, als
ob in ihr von unten aufwärts regiert werde. Die Regierung
bekommt daher leicht das Gepräge einer bloszen Verwal-
tung
und der Stat das Gepräge einer ausgedehnten Wirth-
schaft
, einer groszen Gemeinde.

Am wenigsten zeigt sich übrigens diese Schwäche der
Autorität in dem gesetzgebenden Körper; vielmehr liegt da
die entgegengesetzte Versuchung nahe, dasz sich die Volks-
vertretung mit dem Volke selbst identificire und sich von
dem Wahne der Omnipotenz berauschen lasse. Aber nur sehr
schwer gelingt es der Regierung in der Repräsentativdemo-
kratie eine starke Autorität zu bethätigen. Der öftere Wechsel
der Wahlen macht ihre Stellung unsicher und von der ver-
änderlichen Volksstimmung abhängig. Sie ist nur mächtig,
wenn sie von dem Beifall der Mehrheit getragen wird und
ohnmächtig, wenn sie diese gegen ihre Neigung leiten und
bestimmen will. Weit aussehende Pläne kann sie nur dann
verfolgen, wenn dieselben den Instincten oder Gewohnheiten
des Volks entspringen und darin die Bürgschaft ihrer Dauer
liegt.

Die Regierungsorgane erscheinen durchweg in bescheide-
ner, bürgerlicher Gestalt. Der Glanz der Majestät oder der
höheren Dignität, mit dem sich die Monarchie und die Ari-
stokratie umgibt, ist der Repräsentativdemokratie fremd und
zuwider. Die höfische Diplomatie mit ihrer Kunst und Formen
gedeiht nicht auf diesem Naturboden. Auch da zieht sie die

Dreiundzwanzigstes Cap. IV. Demokrat. Statsformen. Betrachtungen etc.
hängig gemacht von den Regierten und dennoch sollen in-
zwischen diese jenen Gehorsam leisten. Die Autorität der
Regierung ist daher verhältniszmäszig schwach, die Freiheit
der Regierten besser bedacht. Die obersten Magistrate wer-
den weniger als Häupter der Republik geehrt, als vielmehr
als Diener der Menge betrachtet und behandelt. Obwohl
nach dem Ausdruck von Guizot, jeder Stat nur von oben
herab und nicht von unten herauf regiert werden kann, so
will doch diese Statsform möglichst den Schein wahren, als
ob in ihr von unten aufwärts regiert werde. Die Regierung
bekommt daher leicht das Gepräge einer bloszen Verwal-
tung
und der Stat das Gepräge einer ausgedehnten Wirth-
schaft
, einer groszen Gemeinde.

Am wenigsten zeigt sich übrigens diese Schwäche der
Autorität in dem gesetzgebenden Körper; vielmehr liegt da
die entgegengesetzte Versuchung nahe, dasz sich die Volks-
vertretung mit dem Volke selbst identificire und sich von
dem Wahne der Omnipotenz berauschen lasse. Aber nur sehr
schwer gelingt es der Regierung in der Repräsentativdemo-
kratie eine starke Autorität zu bethätigen. Der öftere Wechsel
der Wahlen macht ihre Stellung unsicher und von der ver-
änderlichen Volksstimmung abhängig. Sie ist nur mächtig,
wenn sie von dem Beifall der Mehrheit getragen wird und
ohnmächtig, wenn sie diese gegen ihre Neigung leiten und
bestimmen will. Weit aussehende Pläne kann sie nur dann
verfolgen, wenn dieselben den Instincten oder Gewohnheiten
des Volks entspringen und darin die Bürgschaft ihrer Dauer
liegt.

Die Regierungsorgane erscheinen durchweg in bescheide-
ner, bürgerlicher Gestalt. Der Glanz der Majestät oder der
höheren Dignität, mit dem sich die Monarchie und die Ari-
stokratie umgibt, ist der Repräsentativdemokratie fremd und
zuwider. Die höfische Diplomatie mit ihrer Kunst und Formen
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[553/0571] Dreiundzwanzigstes Cap. IV. Demokrat. Statsformen. Betrachtungen etc. hängig gemacht von den Regierten und dennoch sollen in- zwischen diese jenen Gehorsam leisten. Die Autorität der Regierung ist daher verhältniszmäszig schwach, die Freiheit der Regierten besser bedacht. Die obersten Magistrate wer- den weniger als Häupter der Republik geehrt, als vielmehr als Diener der Menge betrachtet und behandelt. Obwohl nach dem Ausdruck von Guizot, jeder Stat nur von oben herab und nicht von unten herauf regiert werden kann, so will doch diese Statsform möglichst den Schein wahren, als ob in ihr von unten aufwärts regiert werde. Die Regierung bekommt daher leicht das Gepräge einer bloszen Verwal- tung und der Stat das Gepräge einer ausgedehnten Wirth- schaft, einer groszen Gemeinde. Am wenigsten zeigt sich übrigens diese Schwäche der Autorität in dem gesetzgebenden Körper; vielmehr liegt da die entgegengesetzte Versuchung nahe, dasz sich die Volks- vertretung mit dem Volke selbst identificire und sich von dem Wahne der Omnipotenz berauschen lasse. Aber nur sehr schwer gelingt es der Regierung in der Repräsentativdemo- kratie eine starke Autorität zu bethätigen. Der öftere Wechsel der Wahlen macht ihre Stellung unsicher und von der ver- änderlichen Volksstimmung abhängig. Sie ist nur mächtig, wenn sie von dem Beifall der Mehrheit getragen wird und ohnmächtig, wenn sie diese gegen ihre Neigung leiten und bestimmen will. Weit aussehende Pläne kann sie nur dann verfolgen, wenn dieselben den Instincten oder Gewohnheiten des Volks entspringen und darin die Bürgschaft ihrer Dauer liegt. Die Regierungsorgane erscheinen durchweg in bescheide- ner, bürgerlicher Gestalt. Der Glanz der Majestät oder der höheren Dignität, mit dem sich die Monarchie und die Ari- stokratie umgibt, ist der Repräsentativdemokratie fremd und zuwider. Die höfische Diplomatie mit ihrer Kunst und Formen gedeiht nicht auf diesem Naturboden. Auch da zieht sie die

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/571>, abgerufen am 22.11.2024.