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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.

2. Höchste statliche Würde, das was die antike rö-
mische Statsprache "Majestas" genannt hat.

3. Fülle der Statsmacht, im Gegensatz zu bloszen
Theilbefugnissen. Die Souveränetät ist nicht eine Summe
von einzelnen Sonderrechten, sondern statliches Gesammt-
recht, sie ist ein Centralbegriff, von ähnlicher Energie, wie
das Eigenthum im Privatrecht.

4. Ferner ist die souveräne Macht ihrer Natur nach die
oberste im State. Es kann somit keine andere statliche
Gewalt in dem Statsorganismus ihr übergeordnet sein.
Die französischen Seigneurs des Mittelalters hörten auf "Souve-
räne" zu sein, als sie in allen wesentlichen Beziehungen stat-
licher Selbständigkeit und Hoheit dem Könige, ihrem Lehens-
herrn, sich wieder unterordnen muszten. Die deutschen Kur-
fürsten konnten seit dem XIV. Jahrhundert Souveränetät in
ihren Ländern behaupten, weil sie in Wahrheit die oberste
Statsmacht in denselben zu eignem Rechte besaszen. 4

5. Da der Stat ein organischer Körper ist, so ist Ein-
heit
der Souveränetät ein Erfordernisz seiner Wohlfahrt.
5
Die Spaltung der Souveränetät führt in ihrer Consequenz zur
Lähmung oder Auflösung des States, und ist daher mit der
Gesundheit des States nicht verträglich.

Anmerkungen. 1. Rousseau, dessen Lehre von der französi-
schen Revolution in der That übersetzt worden ist, gründete die Souve-

4 Die französische Bezeichnung der Landeshoheit der deutschen
Reichsfürsten und Reichsstädte in dem Entwurfe des westphälischen
Friedens: "que tous les princes et Estats seront maintenus dans tous les
autres droits de souverainete, qui leur appartiennent" war damals für
Deutschland neu, und die Absicht weiterer Lockerung des Reichsverban-
des in dem Worte sichtlich dargelegt; aber dem Wesen nach hatten schon
lange vorher die meisten deutschen Länder in der That wenn auch nur
eine unvollkommene Souveränetät erlangt.
5 Imman. Herrm. Fichte, Beiträge zur Statslehre, 1848, geht
aber zu weit, wenn er die Souveränetät geradezu als "Einheit der
Regierung" erklärt. Die Machtfülle und Hoheit ist immerhin der we-
sentliche
Inhalt der Souveränetät.
Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.

2. Höchste statliche Würde, das was die antike rö-
mische Statsprache „Majestas“ genannt hat.

3. Fülle der Statsmacht, im Gegensatz zu bloszen
Theilbefugnissen. Die Souveränetät ist nicht eine Summe
von einzelnen Sonderrechten, sondern statliches Gesammt-
recht, sie ist ein Centralbegriff, von ähnlicher Energie, wie
das Eigenthum im Privatrecht.

4. Ferner ist die souveräne Macht ihrer Natur nach die
oberste im State. Es kann somit keine andere statliche
Gewalt in dem Statsorganismus ihr übergeordnet sein.
Die französischen Seigneurs des Mittelalters hörten auf „Souve-
räne“ zu sein, als sie in allen wesentlichen Beziehungen stat-
licher Selbständigkeit und Hoheit dem Könige, ihrem Lehens-
herrn, sich wieder unterordnen muszten. Die deutschen Kur-
fürsten konnten seit dem XIV. Jahrhundert Souveränetät in
ihren Ländern behaupten, weil sie in Wahrheit die oberste
Statsmacht in denselben zu eignem Rechte besaszen. 4

5. Da der Stat ein organischer Körper ist, so ist Ein-
heit
der Souveränetät ein Erfordernisz seiner Wohlfahrt.
5
Die Spaltung der Souveränetät führt in ihrer Consequenz zur
Lähmung oder Auflösung des States, und ist daher mit der
Gesundheit des States nicht verträglich.

Anmerkungen. 1. Rousseau, dessen Lehre von der französi-
schen Revolution in der That übersetzt worden ist, gründete die Souve-

4 Die französische Bezeichnung der Landeshoheit der deutschen
Reichsfürsten und Reichsstädte in dem Entwurfe des westphälischen
Friedens: „que tous les princes et Estats seront maintenus dans tous les
autres droits de souveraineté, qui leur appartiennent“ war damals für
Deutschland neu, und die Absicht weiterer Lockerung des Reichsverban-
des in dem Worte sichtlich dargelegt; aber dem Wesen nach hatten schon
lange vorher die meisten deutschen Länder in der That wenn auch nur
eine unvollkommene Souveränetät erlangt.
5 Imman. Herrm. Fichte, Beiträge zur Statslehre, 1848, geht
aber zu weit, wenn er die Souveränetät geradezu als „Einheit der
Regierung“ erklärt. Die Machtfülle und Hoheit ist immerhin der we-
sentliche
Inhalt der Souveränetät.
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[564/0582] Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc. 2. Höchste statliche Würde, das was die antike rö- mische Statsprache „Majestas“ genannt hat. 3. Fülle der Statsmacht, im Gegensatz zu bloszen Theilbefugnissen. Die Souveränetät ist nicht eine Summe von einzelnen Sonderrechten, sondern statliches Gesammt- recht, sie ist ein Centralbegriff, von ähnlicher Energie, wie das Eigenthum im Privatrecht. 4. Ferner ist die souveräne Macht ihrer Natur nach die oberste im State. Es kann somit keine andere statliche Gewalt in dem Statsorganismus ihr übergeordnet sein. Die französischen Seigneurs des Mittelalters hörten auf „Souve- räne“ zu sein, als sie in allen wesentlichen Beziehungen stat- licher Selbständigkeit und Hoheit dem Könige, ihrem Lehens- herrn, sich wieder unterordnen muszten. Die deutschen Kur- fürsten konnten seit dem XIV. Jahrhundert Souveränetät in ihren Ländern behaupten, weil sie in Wahrheit die oberste Statsmacht in denselben zu eignem Rechte besaszen. 4 5. Da der Stat ein organischer Körper ist, so ist Ein- heit der Souveränetät ein Erfordernisz seiner Wohlfahrt. 5 Die Spaltung der Souveränetät führt in ihrer Consequenz zur Lähmung oder Auflösung des States, und ist daher mit der Gesundheit des States nicht verträglich. Anmerkungen. 1. Rousseau, dessen Lehre von der französi- schen Revolution in der That übersetzt worden ist, gründete die Souve- 4 Die französische Bezeichnung der Landeshoheit der deutschen Reichsfürsten und Reichsstädte in dem Entwurfe des westphälischen Friedens: „que tous les princes et Estats seront maintenus dans tous les autres droits de souveraineté, qui leur appartiennent“ war damals für Deutschland neu, und die Absicht weiterer Lockerung des Reichsverban- des in dem Worte sichtlich dargelegt; aber dem Wesen nach hatten schon lange vorher die meisten deutschen Länder in der That wenn auch nur eine unvollkommene Souveränetät erlangt. 5 Imman. Herrm. Fichte, Beiträge zur Statslehre, 1848, geht aber zu weit, wenn er die Souveränetät geradezu als „Einheit der Regierung“ erklärt. Die Machtfülle und Hoheit ist immerhin der we- sentliche Inhalt der Souveränetät.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/582>, abgerufen am 22.11.2024.