Das Disciplinarverfahren ist ausgedehnter und hält auch in den Fällen die Ordnung des Amtes aufrecht, wo der Straf- richter keinen hinreichenden Grund finden kann, in dem Beamten den Verbrecher zu erkennen. Ein freisprechendes Urtheil desselben befreit somit den Beamten keineswegs von der Gefahr einer disciplinarischen Ahndung seines den öffent- lichen Bedürfnissen und Pflichten des Amtes widersprechen- den Benehmens. Das Disciplinarverfahren erstreckt sich auf alle, auch auf die geringsten Dienstvergehen, und jede Ver- nachlässigung der Amtspflicht. Ja sogar das Privatbenehmen des Beamten auszerhalb des Amtes ist demselben insofern unterworfen, als dasselbe auf die Ehre und das Vertrauen, deren der Beamte um des Amtes willen bedarf, einen nach- theiligen Einflusz äuszert. 6
Die Strafmittel des Disciplinarwegs sind entweder blosze einfache Ordnungsstrafen, wie die Warnung, der Ver- weis, eine beschränkte Geldbusze oder Strafen, welche die Einstellung (Suspension) im Amte, die Versetzung des Beamten auf eine andere Stelle, unfreiwillige Ver- setzung in den Ruhestand oder die Entlassung zur Folge haben. Zu den ersteren sind schon die vorgesetzten Behörden gewöhnlich ermächtigt, ohne ein eigentliches pro- cessualisches Verfahren, die letztern dagegen treffen auch die Rechte des Beamten so schwer, dasz zum Schutze desselben vor willkürlicher und ungerechter Verfolgung processualische Rechtsmittel unerläszlich sind. In manchen Staten kann die Strafe der Entlassung sogar nur von den gewöhnlichen Ge- richten und nur die der Suspension oder Versetzung und Pen- sionirung auch von höhern Aufsichtsbehörden verhängt werden. Allein die ausschlieszliche Competenz der Gerichte, welche
6Preuszische Verordnung von 1849 §. 1: "Zu diesen Pflichten (des Beamten) gehört, dasz der Beamte sich durch sein Verhalten in und auszer dem Amte der Achtung, des Ansehens und des Vertrauens würdig beweise, die sein Beruf erfordert."
Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
Das Disciplinarverfahren ist ausgedehnter und hält auch in den Fällen die Ordnung des Amtes aufrecht, wo der Straf- richter keinen hinreichenden Grund finden kann, in dem Beamten den Verbrecher zu erkennen. Ein freisprechendes Urtheil desselben befreit somit den Beamten keineswegs von der Gefahr einer disciplinarischen Ahndung seines den öffent- lichen Bedürfnissen und Pflichten des Amtes widersprechen- den Benehmens. Das Disciplinarverfahren erstreckt sich auf alle, auch auf die geringsten Dienstvergehen, und jede Ver- nachlässigung der Amtspflicht. Ja sogar das Privatbenehmen des Beamten auszerhalb des Amtes ist demselben insofern unterworfen, als dasselbe auf die Ehre und das Vertrauen, deren der Beamte um des Amtes willen bedarf, einen nach- theiligen Einflusz äuszert. 6
Die Strafmittel des Disciplinarwegs sind entweder blosze einfache Ordnungsstrafen, wie die Warnung, der Ver- weis, eine beschränkte Geldbusze oder Strafen, welche die Einstellung (Suspension) im Amte, die Versetzung des Beamten auf eine andere Stelle, unfreiwillige Ver- setzung in den Ruhestand oder die Entlassung zur Folge haben. Zu den ersteren sind schon die vorgesetzten Behörden gewöhnlich ermächtigt, ohne ein eigentliches pro- cessualisches Verfahren, die letztern dagegen treffen auch die Rechte des Beamten so schwer, dasz zum Schutze desselben vor willkürlicher und ungerechter Verfolgung processualische Rechtsmittel unerläszlich sind. In manchen Staten kann die Strafe der Entlassung sogar nur von den gewöhnlichen Ge- richten und nur die der Suspension oder Versetzung und Pen- sionirung auch von höhern Aufsichtsbehörden verhängt werden. Allein die ausschlieszliche Competenz der Gerichte, welche
6Preuszische Verordnung von 1849 §. 1: „Zu diesen Pflichten (des Beamten) gehört, dasz der Beamte sich durch sein Verhalten in und auszer dem Amte der Achtung, des Ansehens und des Vertrauens würdig beweise, die sein Beruf erfordert.“
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Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
Das Disciplinarverfahren ist ausgedehnter und hält auch
in den Fällen die Ordnung des Amtes aufrecht, wo der Straf-
richter keinen hinreichenden Grund finden kann, in dem
Beamten den Verbrecher zu erkennen. Ein freisprechendes
Urtheil desselben befreit somit den Beamten keineswegs von
der Gefahr einer disciplinarischen Ahndung seines den öffent-
lichen Bedürfnissen und Pflichten des Amtes widersprechen-
den Benehmens. Das Disciplinarverfahren erstreckt sich auf
alle, auch auf die geringsten Dienstvergehen, und jede Ver-
nachlässigung der Amtspflicht. Ja sogar das Privatbenehmen
des Beamten auszerhalb des Amtes ist demselben insofern
unterworfen, als dasselbe auf die Ehre und das Vertrauen,
deren der Beamte um des Amtes willen bedarf, einen nach-
theiligen Einflusz äuszert. 6
Die Strafmittel des Disciplinarwegs sind entweder blosze
einfache Ordnungsstrafen, wie die Warnung, der Ver-
weis, eine beschränkte Geldbusze oder Strafen, welche
die Einstellung (Suspension) im Amte, die Versetzung
des Beamten auf eine andere Stelle, unfreiwillige Ver-
setzung in den Ruhestand oder die Entlassung zur
Folge haben. Zu den ersteren sind schon die vorgesetzten
Behörden gewöhnlich ermächtigt, ohne ein eigentliches pro-
cessualisches Verfahren, die letztern dagegen treffen auch die
Rechte des Beamten so schwer, dasz zum Schutze desselben
vor willkürlicher und ungerechter Verfolgung processualische
Rechtsmittel unerläszlich sind. In manchen Staten kann die
Strafe der Entlassung sogar nur von den gewöhnlichen Ge-
richten und nur die der Suspension oder Versetzung und Pen-
sionirung auch von höhern Aufsichtsbehörden verhängt werden.
Allein die ausschlieszliche Competenz der Gerichte, welche
6 Preuszische Verordnung von 1849 §. 1: „Zu diesen Pflichten (des
Beamten) gehört, dasz der Beamte sich durch sein Verhalten in und
auszer dem Amte der Achtung, des Ansehens und des Vertrauens würdig
beweise, die sein Beruf erfordert.“
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/644>, abgerufen am 22.11.2024.
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