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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Völkerrechtliche Personen.
61.

Die vorübergehende Schwäche oder Noth eines States führt nicht
seinen Untergang herbei; wohl aber die dauernde Ohnmacht und die offen-
bare Unfähigkeit desselben, ferner selbständig zu leben.

Es gibt kein Recht, die "kranken" Staten zu vernichten und dann zu beerben.
Es ist möglich, daß ein tief zerrütteter und geschwächter Stat sich wieder erhole.
Wenn aber diese Möglichkeit verschwunden und die Ohnmacht dauernd geworden ist,
dann geht mit der Fähigkeit zu leben auch das Recht als Stat zu leben unrettbar
unter. Das Völkerrecht schützt nur lebensfähige Staten. So gefährlich dieser Satz
ist, weil er sophistisch mißbraucht werden kann, so ist doch die Wahrheit desselben
unbestreitbar. "Nur der Lebende hat Recht".


5. Völkerrechtliche Eigenschaften der Staten.
A. Handlungsfähigkeit.
62.

Jeder Stat ist als Rechtswesen berechtigt, seinen Rechtswillen zu
äußern und Handlungen mit Rechtswirkung vorzunehmen. Aber er bedarf
dazu besonderer von Menschen erfüllter repräsentativer Organe.

Weil der Stat eine Gesammtperson ist und in seiner Verfassung nicht einen
natürlichen sondern einen nachgebildeten Culturleib hat, so bedarf er menschlicher
Organe und Vertreter seines Willens und seiner Handlungen. Das Statshaupt
repräsentirt voraus den Stat im Verkehr mit andern Staten.

63.

Im Verhältniß der Staten zu einander wird der thatsächliche In-
haber und Träger der Statsgewalt (das wirkliche Statshaupt) als das
Organ des Statswillens und als der Vertreter des States betrachtet.

Vgl. unten § 315 ff.

B. Souveränetät.
64.

Die Souveränetät eines States zeigt sich

6*
Völkerrechtliche Perſonen.
61.

Die vorübergehende Schwäche oder Noth eines States führt nicht
ſeinen Untergang herbei; wohl aber die dauernde Ohnmacht und die offen-
bare Unfähigkeit desſelben, ferner ſelbſtändig zu leben.

Es gibt kein Recht, die „kranken“ Staten zu vernichten und dann zu beerben.
Es iſt möglich, daß ein tief zerrütteter und geſchwächter Stat ſich wieder erhole.
Wenn aber dieſe Möglichkeit verſchwunden und die Ohnmacht dauernd geworden iſt,
dann geht mit der Fähigkeit zu leben auch das Recht als Stat zu leben unrettbar
unter. Das Völkerrecht ſchützt nur lebensfähige Staten. So gefährlich dieſer Satz
iſt, weil er ſophiſtiſch mißbraucht werden kann, ſo iſt doch die Wahrheit desſelben
unbeſtreitbar. „Nur der Lebende hat Recht“.


5. Völkerrechtliche Eigenſchaften der Staten.
A. Handlungsfähigkeit.
62.

Jeder Stat iſt als Rechtsweſen berechtigt, ſeinen Rechtswillen zu
äußern und Handlungen mit Rechtswirkung vorzunehmen. Aber er bedarf
dazu beſonderer von Menſchen erfüllter repräſentativer Organe.

Weil der Stat eine Geſammtperſon iſt und in ſeiner Verfaſſung nicht einen
natürlichen ſondern einen nachgebildeten Culturleib hat, ſo bedarf er menſchlicher
Organe und Vertreter ſeines Willens und ſeiner Handlungen. Das Statshaupt
repräſentirt voraus den Stat im Verkehr mit andern Staten.

63.

Im Verhältniß der Staten zu einander wird der thatſächliche In-
haber und Träger der Statsgewalt (das wirkliche Statshaupt) als das
Organ des Statswillens und als der Vertreter des States betrachtet.

Vgl. unten § 315 ff.

B. Souveränetät.
64.

Die Souveränetät eines States zeigt ſich

6*
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[83/0105] Völkerrechtliche Perſonen. 61. Die vorübergehende Schwäche oder Noth eines States führt nicht ſeinen Untergang herbei; wohl aber die dauernde Ohnmacht und die offen- bare Unfähigkeit desſelben, ferner ſelbſtändig zu leben. Es gibt kein Recht, die „kranken“ Staten zu vernichten und dann zu beerben. Es iſt möglich, daß ein tief zerrütteter und geſchwächter Stat ſich wieder erhole. Wenn aber dieſe Möglichkeit verſchwunden und die Ohnmacht dauernd geworden iſt, dann geht mit der Fähigkeit zu leben auch das Recht als Stat zu leben unrettbar unter. Das Völkerrecht ſchützt nur lebensfähige Staten. So gefährlich dieſer Satz iſt, weil er ſophiſtiſch mißbraucht werden kann, ſo iſt doch die Wahrheit desſelben unbeſtreitbar. „Nur der Lebende hat Recht“. 5. Völkerrechtliche Eigenſchaften der Staten. A. Handlungsfähigkeit. 62. Jeder Stat iſt als Rechtsweſen berechtigt, ſeinen Rechtswillen zu äußern und Handlungen mit Rechtswirkung vorzunehmen. Aber er bedarf dazu beſonderer von Menſchen erfüllter repräſentativer Organe. Weil der Stat eine Geſammtperſon iſt und in ſeiner Verfaſſung nicht einen natürlichen ſondern einen nachgebildeten Culturleib hat, ſo bedarf er menſchlicher Organe und Vertreter ſeines Willens und ſeiner Handlungen. Das Statshaupt repräſentirt voraus den Stat im Verkehr mit andern Staten. 63. Im Verhältniß der Staten zu einander wird der thatſächliche In- haber und Träger der Statsgewalt (das wirkliche Statshaupt) als das Organ des Statswillens und als der Vertreter des States betrachtet. Vgl. unten § 315 ff. B. Souveränetät. 64. Die Souveränetät eines States zeigt ſich 6*

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/105>, abgerufen am 22.11.2024.