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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Völkerrechtliche Organe.
sich nicht behaupten oder in Bälde seine einstweilen erschütterte Herrschaft wieder
herstellen könne und ob der neue Träger der Statsgewalt sich in der neu eingenom-
menen Stellung befestigen werde. In dieser Zwischenzeit kann es einer außerhalb
dieser Parteikämpfe stehenden Regierung nicht verargt werden, wenn sie auch im
Zweifel ist, wen sie als wahren Repräsentanten des betreffenden Stats zu betrachten
habe. Im Zweifel hat sie sich aber einer verbindlichen Verhandlung mit dem einen
und dem andern zu enthalten, denn es können nicht zugleich zwei verschiedene Re-
gierungen
und daher zwei Vertreter Eines States bestehn.

122.

Die Frage der Anerkennung einer auswärtigen Regierung wird in
den modernen Staten durchweg von den inländischen Regierungen ent-
schieden; und es haben sich dann die Landesgerichte auch in internationalen
Processen nach diesem Entscheide zu richten.

Es ist das eine Folge der Repräsentativgewalt, welche in den modernen Sta-
ten von Europa und Amerika fast überall ganz den Regierungen anvertraut ist. Wo
aber eine Verfassung, wie die schweizerische Bundesverfassung (Art. 74. 4) diese
Anerkennung fremder Staten und Regierungen dem Gesetzgebenden Körper vorbehält,
da ist natürlich nur dieser und nicht die Regierung competent. Die Competenz der
statlichen Organe wird durch das Statsrecht, nicht durch das Völkerrecht geregelt.

Die völkerrechtlichen Beziehungen der verschiedenen Staten zu einander wür-
den übrigens verwirrt, wenn es den einzelnen Gerichten zustände, im Gegensatze zu
dem Entscheide der Statsregierung eine fremde Regierung sei es nicht als zu Recht
bestehend sei es als berechtigt zu erklären. Phillimore (II. 23) führt manche
Urtheile der Englischen und Nordamerikanischen Gerichte an, welche diese Regel
bestätigen.

123.

Die völkerrechtliche Persönlichkeit eines States erleidet keine Aende-
rung, wenn gleich die Regierung desselben einen Wechsel -- und auch
dann nicht, wenn sie einen gewaltsamen Wechsel -- erfährt, vorausgesetzt
nur, daß Volk und Land in ihrer Individualität fortbestehen.

Da nicht einmal die vollständige Wandlung der Statsverfassung die Fort-
dauer der Statsperson verhindert (vgl. oben § 41. 42), so kann der Wechsel in der
Person und dem System der Regierung noch weniger eine so erschütternde Wirkung
haben.

124.

Das wirkliche Statshaupt ist berechtigt, auch die völkerrechtlich dem

Völkerrechtliche Organe.
ſich nicht behaupten oder in Bälde ſeine einſtweilen erſchütterte Herrſchaft wieder
herſtellen könne und ob der neue Träger der Statsgewalt ſich in der neu eingenom-
menen Stellung befeſtigen werde. In dieſer Zwiſchenzeit kann es einer außerhalb
dieſer Parteikämpfe ſtehenden Regierung nicht verargt werden, wenn ſie auch im
Zweifel iſt, wen ſie als wahren Repräſentanten des betreffenden Stats zu betrachten
habe. Im Zweifel hat ſie ſich aber einer verbindlichen Verhandlung mit dem einen
und dem andern zu enthalten, denn es können nicht zugleich zwei verſchiedene Re-
gierungen
und daher zwei Vertreter Eines States beſtehn.

122.

Die Frage der Anerkennung einer auswärtigen Regierung wird in
den modernen Staten durchweg von den inländiſchen Regierungen ent-
ſchieden; und es haben ſich dann die Landesgerichte auch in internationalen
Proceſſen nach dieſem Entſcheide zu richten.

Es iſt das eine Folge der Repräſentativgewalt, welche in den modernen Sta-
ten von Europa und Amerika faſt überall ganz den Regierungen anvertraut iſt. Wo
aber eine Verfaſſung, wie die ſchweizeriſche Bundesverfaſſung (Art. 74. 4) dieſe
Anerkennung fremder Staten und Regierungen dem Geſetzgebenden Körper vorbehält,
da iſt natürlich nur dieſer und nicht die Regierung competent. Die Competenz der
ſtatlichen Organe wird durch das Statsrecht, nicht durch das Völkerrecht geregelt.

Die völkerrechtlichen Beziehungen der verſchiedenen Staten zu einander wür-
den übrigens verwirrt, wenn es den einzelnen Gerichten zuſtände, im Gegenſatze zu
dem Entſcheide der Statsregierung eine fremde Regierung ſei es nicht als zu Recht
beſtehend ſei es als berechtigt zu erklären. Phillimore (II. 23) führt manche
Urtheile der Engliſchen und Nordamerikaniſchen Gerichte an, welche dieſe Regel
beſtätigen.

123.

Die völkerrechtliche Perſönlichkeit eines States erleidet keine Aende-
rung, wenn gleich die Regierung desſelben einen Wechſel — und auch
dann nicht, wenn ſie einen gewaltſamen Wechſel — erfährt, vorausgeſetzt
nur, daß Volk und Land in ihrer Individualität fortbeſtehen.

Da nicht einmal die vollſtändige Wandlung der Statsverfaſſung die Fort-
dauer der Statsperſon verhindert (vgl. oben § 41. 42), ſo kann der Wechſel in der
Perſon und dem Syſtem der Regierung noch weniger eine ſo erſchütternde Wirkung
haben.

124.

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[111/0133] Völkerrechtliche Organe. ſich nicht behaupten oder in Bälde ſeine einſtweilen erſchütterte Herrſchaft wieder herſtellen könne und ob der neue Träger der Statsgewalt ſich in der neu eingenom- menen Stellung befeſtigen werde. In dieſer Zwiſchenzeit kann es einer außerhalb dieſer Parteikämpfe ſtehenden Regierung nicht verargt werden, wenn ſie auch im Zweifel iſt, wen ſie als wahren Repräſentanten des betreffenden Stats zu betrachten habe. Im Zweifel hat ſie ſich aber einer verbindlichen Verhandlung mit dem einen und dem andern zu enthalten, denn es können nicht zugleich zwei verſchiedene Re- gierungen und daher zwei Vertreter Eines States beſtehn. 122. Die Frage der Anerkennung einer auswärtigen Regierung wird in den modernen Staten durchweg von den inländiſchen Regierungen ent- ſchieden; und es haben ſich dann die Landesgerichte auch in internationalen Proceſſen nach dieſem Entſcheide zu richten. Es iſt das eine Folge der Repräſentativgewalt, welche in den modernen Sta- ten von Europa und Amerika faſt überall ganz den Regierungen anvertraut iſt. Wo aber eine Verfaſſung, wie die ſchweizeriſche Bundesverfaſſung (Art. 74. 4) dieſe Anerkennung fremder Staten und Regierungen dem Geſetzgebenden Körper vorbehält, da iſt natürlich nur dieſer und nicht die Regierung competent. Die Competenz der ſtatlichen Organe wird durch das Statsrecht, nicht durch das Völkerrecht geregelt. Die völkerrechtlichen Beziehungen der verſchiedenen Staten zu einander wür- den übrigens verwirrt, wenn es den einzelnen Gerichten zuſtände, im Gegenſatze zu dem Entſcheide der Statsregierung eine fremde Regierung ſei es nicht als zu Recht beſtehend ſei es als berechtigt zu erklären. Phillimore (II. 23) führt manche Urtheile der Engliſchen und Nordamerikaniſchen Gerichte an, welche dieſe Regel beſtätigen. 123. Die völkerrechtliche Perſönlichkeit eines States erleidet keine Aende- rung, wenn gleich die Regierung desſelben einen Wechſel — und auch dann nicht, wenn ſie einen gewaltſamen Wechſel — erfährt, vorausgeſetzt nur, daß Volk und Land in ihrer Individualität fortbeſtehen. Da nicht einmal die vollſtändige Wandlung der Statsverfaſſung die Fort- dauer der Statsperſon verhindert (vgl. oben § 41. 42), ſo kann der Wechſel in der Perſon und dem Syſtem der Regierung noch weniger eine ſo erſchütternde Wirkung haben. 124. Das wirkliche Statshaupt iſt berechtigt, auch die völkerrechtlich dem

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/133>, abgerufen am 26.11.2024.