Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Völkerrechtliche Organe.
Republiken ihren Regierungen diese persönliche Eigenschaft absprechen, ist der, sie
wollen dieselben fortwährend daran erinnern, daß ihre Gewalt eine abgeleitete, keine
ursprüngliche sei, während die monarchischen Völker es lieben, die Hoheit des States
in der Majestät des Monarchen persönlich darzustellen.

127.

Die Familien der Souveräne in den europäischen Staten werden
als "souveräne Familien" bezeichnet und sind unter sich ebenbürtig.

Der Ausdruck souveräne Familie ist freilich ungenau, denn der
Familie kommt keine Souveränetät zu, weder die ursprüngliche Statssouveränetät,
noch die concentrirte Fürstensouveränetät. Vielmehr sind alle ihre übrigen Glieder
Unterthanen des Stats und des Statshaupts.

128.

Wenn gleich der Präsident einer Republik nicht als Souverän gilt,
so kommen ihm dennoch, insofern er als Repräsentant seines States er-
scheint, alle diejenigen Rechte zu, welche dem souveränen Repräsentanten
eines States gebühren.

Inwiefern er den Stat repräsentirt, ist in ihm das Recht des States
zu ehren, den er darstellt. Es gilt das auch von dem Rang und den besondern
Ehren des republicanischen Stats im Verhältniß zu den monarchischen Staten.

129.

Die Unabhängigkeit eines States gegenüber andern Staten wird
durch die Unabhängigkeit des Statshauptes von fremden Statsgewalten be-
währt. Die Statshäupter sind in der Regel keiner fremden Statshoheit
unterworfen, auch dann nicht, wenn sie ein fremdes Statsgebiet betreten.

Die sogenannte Exterritorialität, von der in dem folgenden Capitel
die Rede sein wird, ist eine weit getriebene Anwendung dieses Grundsatzes, welche
die völkerrechtliche Beschränkung der Statshoheit, die sich im übrigen auf das ganze
Land ausdehnt, zu Gunsten der fremden Souveräne erklären und rechtfertigen soll.
Die Rücksicht auf die völkerrechtliche Sicherheit und Unabhängigkeit der
Vertreter der Staten hat hier das Uebergewicht erlangt über die Rücksicht auf die
besondere statsrechtliche Gebietshoheit.

130.

Die Souveräne können jedoch in fremdem Gebiet ihre Befreiung
von der dortigen Statsgewalt nur insofern behaupten, als sie

Bluntschli, Das Völkerrecht. 8

Völkerrechtliche Organe.
Republiken ihren Regierungen dieſe perſönliche Eigenſchaft abſprechen, iſt der, ſie
wollen dieſelben fortwährend daran erinnern, daß ihre Gewalt eine abgeleitete, keine
urſprüngliche ſei, während die monarchiſchen Völker es lieben, die Hoheit des States
in der Majeſtät des Monarchen perſönlich darzuſtellen.

127.

Die Familien der Souveräne in den europäiſchen Staten werden
als „ſouveräne Familien“ bezeichnet und ſind unter ſich ebenbürtig.

Der Ausdruck ſouveräne Familie iſt freilich ungenau, denn der
Familie kommt keine Souveränetät zu, weder die urſprüngliche Statsſouveränetät,
noch die concentrirte Fürſtenſouveränetät. Vielmehr ſind alle ihre übrigen Glieder
Unterthanen des Stats und des Statshaupts.

128.

Wenn gleich der Präſident einer Republik nicht als Souverän gilt,
ſo kommen ihm dennoch, inſofern er als Repräſentant ſeines States er-
ſcheint, alle diejenigen Rechte zu, welche dem ſouveränen Repräſentanten
eines States gebühren.

Inwiefern er den Stat repräſentirt, iſt in ihm das Recht des States
zu ehren, den er darſtellt. Es gilt das auch von dem Rang und den beſondern
Ehren des republicaniſchen Stats im Verhältniß zu den monarchiſchen Staten.

129.

Die Unabhängigkeit eines States gegenüber andern Staten wird
durch die Unabhängigkeit des Statshauptes von fremden Statsgewalten be-
währt. Die Statshäupter ſind in der Regel keiner fremden Statshoheit
unterworfen, auch dann nicht, wenn ſie ein fremdes Statsgebiet betreten.

Die ſogenannte Exterritorialität, von der in dem folgenden Capitel
die Rede ſein wird, iſt eine weit getriebene Anwendung dieſes Grundſatzes, welche
die völkerrechtliche Beſchränkung der Statshoheit, die ſich im übrigen auf das ganze
Land ausdehnt, zu Gunſten der fremden Souveräne erklären und rechtfertigen ſoll.
Die Rückſicht auf die völkerrechtliche Sicherheit und Unabhängigkeit der
Vertreter der Staten hat hier das Uebergewicht erlangt über die Rückſicht auf die
beſondere ſtatsrechtliche Gebietshoheit.

130.

Die Souveräne können jedoch in fremdem Gebiet ihre Befreiung
von der dortigen Statsgewalt nur inſofern behaupten, als ſie

Bluntſchli, Das Völkerrecht. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0135" n="113"/><fw place="top" type="header">Völkerrechtliche Organe.</fw><lb/>
Republiken ihren Regierungen die&#x017F;e per&#x017F;önliche Eigen&#x017F;chaft ab&#x017F;prechen, i&#x017F;t der, &#x017F;ie<lb/>
wollen die&#x017F;elben fortwährend daran erinnern, daß ihre Gewalt eine abgeleitete, keine<lb/>
ur&#x017F;prüngliche &#x017F;ei, während die monarchi&#x017F;chen Völker es lieben, die Hoheit des States<lb/>
in der Maje&#x017F;tät des Monarchen per&#x017F;önlich darzu&#x017F;tellen.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>127.</head><lb/>
                <p>Die Familien der Souveräne in den europäi&#x017F;chen Staten werden<lb/>
als &#x201E;&#x017F;ouveräne Familien&#x201C; bezeichnet und &#x017F;ind unter &#x017F;ich ebenbürtig.</p><lb/>
                <p>Der Ausdruck <hi rendition="#g">&#x017F;ouveräne Familie</hi> i&#x017F;t freilich <hi rendition="#g">ungenau</hi>, denn der<lb/>
Familie kommt keine Souveränetät zu, weder die ur&#x017F;prüngliche Stats&#x017F;ouveränetät,<lb/>
noch die concentrirte Für&#x017F;ten&#x017F;ouveränetät. Vielmehr &#x017F;ind alle ihre übrigen Glieder<lb/><hi rendition="#g">Unterthanen</hi> des Stats und des Statshaupts.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>128.</head><lb/>
                <p>Wenn gleich der Prä&#x017F;ident einer Republik nicht als Souverän gilt,<lb/>
&#x017F;o kommen ihm dennoch, in&#x017F;ofern er als Reprä&#x017F;entant &#x017F;eines States er-<lb/>
&#x017F;cheint, alle diejenigen Rechte zu, welche dem &#x017F;ouveränen Reprä&#x017F;entanten<lb/>
eines States gebühren.</p><lb/>
                <p>Inwiefern er den Stat reprä&#x017F;entirt, i&#x017F;t in ihm das <hi rendition="#g">Recht des States</hi><lb/>
zu ehren, den er dar&#x017F;tellt. Es gilt das auch von dem <hi rendition="#g">Rang</hi> und den be&#x017F;ondern<lb/><hi rendition="#g">Ehren</hi> des republicani&#x017F;chen Stats im Verhältniß zu den monarchi&#x017F;chen Staten.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>129.</head><lb/>
                <p>Die Unabhängigkeit eines States gegenüber andern Staten wird<lb/>
durch die Unabhängigkeit des Statshauptes von fremden Statsgewalten be-<lb/>
währt. Die Statshäupter &#x017F;ind in der Regel keiner fremden Statshoheit<lb/>
unterworfen, auch dann nicht, wenn &#x017F;ie ein fremdes Statsgebiet betreten.</p><lb/>
                <p>Die &#x017F;ogenannte <hi rendition="#g">Exterritorialität</hi>, von der in dem folgenden Capitel<lb/>
die Rede &#x017F;ein wird, i&#x017F;t eine weit getriebene Anwendung die&#x017F;es Grund&#x017F;atzes, welche<lb/>
die völkerrechtliche Be&#x017F;chränkung der Statshoheit, die &#x017F;ich im übrigen auf das ganze<lb/>
Land ausdehnt, zu Gun&#x017F;ten der fremden Souveräne erklären und rechtfertigen &#x017F;oll.<lb/>
Die Rück&#x017F;icht auf die <hi rendition="#g">völkerrechtliche Sicherheit</hi> und <hi rendition="#g">Unabhängigkeit</hi> der<lb/>
Vertreter der Staten hat hier das Uebergewicht erlangt über die Rück&#x017F;icht auf die<lb/>
be&#x017F;ondere <hi rendition="#g">&#x017F;tatsrechtliche Gebietshoheit</hi>.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>130.</head><lb/>
                <p>Die Souveräne können jedoch in fremdem Gebiet ihre Befreiung<lb/>
von der dortigen Statsgewalt nur in&#x017F;ofern behaupten, als &#x017F;ie</p><lb/>
                <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Blunt&#x017F;chli</hi>, Das Völkerrecht. 8</fw><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0135] Völkerrechtliche Organe. Republiken ihren Regierungen dieſe perſönliche Eigenſchaft abſprechen, iſt der, ſie wollen dieſelben fortwährend daran erinnern, daß ihre Gewalt eine abgeleitete, keine urſprüngliche ſei, während die monarchiſchen Völker es lieben, die Hoheit des States in der Majeſtät des Monarchen perſönlich darzuſtellen. 127. Die Familien der Souveräne in den europäiſchen Staten werden als „ſouveräne Familien“ bezeichnet und ſind unter ſich ebenbürtig. Der Ausdruck ſouveräne Familie iſt freilich ungenau, denn der Familie kommt keine Souveränetät zu, weder die urſprüngliche Statsſouveränetät, noch die concentrirte Fürſtenſouveränetät. Vielmehr ſind alle ihre übrigen Glieder Unterthanen des Stats und des Statshaupts. 128. Wenn gleich der Präſident einer Republik nicht als Souverän gilt, ſo kommen ihm dennoch, inſofern er als Repräſentant ſeines States er- ſcheint, alle diejenigen Rechte zu, welche dem ſouveränen Repräſentanten eines States gebühren. Inwiefern er den Stat repräſentirt, iſt in ihm das Recht des States zu ehren, den er darſtellt. Es gilt das auch von dem Rang und den beſondern Ehren des republicaniſchen Stats im Verhältniß zu den monarchiſchen Staten. 129. Die Unabhängigkeit eines States gegenüber andern Staten wird durch die Unabhängigkeit des Statshauptes von fremden Statsgewalten be- währt. Die Statshäupter ſind in der Regel keiner fremden Statshoheit unterworfen, auch dann nicht, wenn ſie ein fremdes Statsgebiet betreten. Die ſogenannte Exterritorialität, von der in dem folgenden Capitel die Rede ſein wird, iſt eine weit getriebene Anwendung dieſes Grundſatzes, welche die völkerrechtliche Beſchränkung der Statshoheit, die ſich im übrigen auf das ganze Land ausdehnt, zu Gunſten der fremden Souveräne erklären und rechtfertigen ſoll. Die Rückſicht auf die völkerrechtliche Sicherheit und Unabhängigkeit der Vertreter der Staten hat hier das Uebergewicht erlangt über die Rückſicht auf die beſondere ſtatsrechtliche Gebietshoheit. 130. Die Souveräne können jedoch in fremdem Gebiet ihre Befreiung von der dortigen Statsgewalt nur inſofern behaupten, als ſie Bluntſchli, Das Völkerrecht. 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/135
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/135>, abgerufen am 25.11.2024.