Eine bloße Unterbrechung der diplomatischen Sendung, welche die Fortwirkung des Creditivs zweifelhaft macht, findet Statt:
a) in Folge von Streitigkeiten, welche noch nicht zum Abbruch aber zu einstweiliger Einstellung der diplomatischen Functionen führen,
b) bei Statsumwälzungen in einem der beiden Länder, deren Aus- gang noch ungewiß ist,
c) wenn der Gesante in Folge persönlicher Hindernisse vorübergehend außer Stande ist, seine Thätigkeit fortzusetzen.
In zweifelhaften Fällen der ersten und zweiten Classe hängt es immerhin von dem Ermessen der Staten oder ihrer Gesanten ab, diesen Zweifeln eine größere oder geringere Wirkung zu verstatten. In Fällen der dritten Art wird die Verhand- lung mit Nothwendigkeit unterbrochen. Dahin gehört z. B. die Absperrung der Verbindung in Kriegszeiten, oder eine Krankheit des Gesanten, die ihn zur Vertre- tung unfähig macht -- ohne Zwischenvertretung -- u. dgl. In dieser Zwischenzeit wird die Wirksamkeit des Creditivs als suspendirt betrachtet. Wenn jedoch das Hemmniß beseitigt, oder die Ungewißheit zu Gunsten der Fortsetzung des diplomati- schen Verkehrs gehoben wird, so tritt das alte Creditiv wieder in volle Kraft und wird angenommen, es habe auch in der Zwischenzeit gegolten. Wird umgekehrt diese Zwischenzeit durch den Abbruch des Verkehrs beendigt, so wird angenommen, das suspendirte Creditiv sei unwirksam geblieben.
238.
Wird die diplomatische Sendung in friedlicher Weise durch Abberu- fung des Gesanten beendigt und ist derselbe bei dem Souverän persönlich beglaubigt, so kann eine dem feierlichen Empfang entsprechende feierliche Verabschiedung des Gesanten stattfinden. Der Gesante erhält dann gegen das Abberufungsschreiben von dem Souverän des besendeten Stats ein Recreditivschreiben (lettres de recreance) an den Souverän des Absende- stats, welches die Beendigung des bisherigen Repräsentationsverhältnisses beurkundet.
Jene Feierlichkeit und dieses Recreditiv sind aber nicht nothwendig, um das frühere Creditiv außer Wirksamkeit zu setzen.
239.
Unter allen Umständen, selbst nach einer Kriegserklärung, hat der Empfangstat die Pflicht, dafür zu sorgen, daß der scheidende Gesante un-
Völkerrechtliche Organe.
237.
Eine bloße Unterbrechung der diplomatiſchen Sendung, welche die Fortwirkung des Creditivs zweifelhaft macht, findet Statt:
a) in Folge von Streitigkeiten, welche noch nicht zum Abbruch aber zu einſtweiliger Einſtellung der diplomatiſchen Functionen führen,
b) bei Statsumwälzungen in einem der beiden Länder, deren Aus- gang noch ungewiß iſt,
c) wenn der Geſante in Folge perſönlicher Hinderniſſe vorübergehend außer Stande iſt, ſeine Thätigkeit fortzuſetzen.
In zweifelhaften Fällen der erſten und zweiten Claſſe hängt es immerhin von dem Ermeſſen der Staten oder ihrer Geſanten ab, dieſen Zweifeln eine größere oder geringere Wirkung zu verſtatten. In Fällen der dritten Art wird die Verhand- lung mit Nothwendigkeit unterbrochen. Dahin gehört z. B. die Abſperrung der Verbindung in Kriegszeiten, oder eine Krankheit des Geſanten, die ihn zur Vertre- tung unfähig macht — ohne Zwiſchenvertretung — u. dgl. In dieſer Zwiſchenzeit wird die Wirkſamkeit des Creditivs als ſuspendirt betrachtet. Wenn jedoch das Hemmniß beſeitigt, oder die Ungewißheit zu Gunſten der Fortſetzung des diplomati- ſchen Verkehrs gehoben wird, ſo tritt das alte Creditiv wieder in volle Kraft und wird angenommen, es habe auch in der Zwiſchenzeit gegolten. Wird umgekehrt dieſe Zwiſchenzeit durch den Abbruch des Verkehrs beendigt, ſo wird angenommen, das ſuspendirte Creditiv ſei unwirkſam geblieben.
238.
Wird die diplomatiſche Sendung in friedlicher Weiſe durch Abberu- fung des Geſanten beendigt und iſt derſelbe bei dem Souverän perſönlich beglaubigt, ſo kann eine dem feierlichen Empfang entſprechende feierliche Verabſchiedung des Geſanten ſtattfinden. Der Geſante erhält dann gegen das Abberufungsſchreiben von dem Souverän des beſendeten Stats ein Recreditivſchreiben (lettres de récréance) an den Souverän des Abſende- ſtats, welches die Beendigung des bisherigen Repräſentationsverhältniſſes beurkundet.
Jene Feierlichkeit und dieſes Recreditiv ſind aber nicht nothwendig, um das frühere Creditiv außer Wirkſamkeit zu ſetzen.
239.
Unter allen Umſtänden, ſelbſt nach einer Kriegserklärung, hat der Empfangſtat die Pflicht, dafür zu ſorgen, daß der ſcheidende Geſante un-
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Völkerrechtliche Organe.
237.
Eine bloße Unterbrechung der diplomatiſchen Sendung, welche die
Fortwirkung des Creditivs zweifelhaft macht, findet Statt:
a) in Folge von Streitigkeiten, welche noch nicht zum Abbruch aber
zu einſtweiliger Einſtellung der diplomatiſchen Functionen führen,
b) bei Statsumwälzungen in einem der beiden Länder, deren Aus-
gang noch ungewiß iſt,
c) wenn der Geſante in Folge perſönlicher Hinderniſſe vorübergehend
außer Stande iſt, ſeine Thätigkeit fortzuſetzen.
In zweifelhaften Fällen der erſten und zweiten Claſſe hängt es immerhin
von dem Ermeſſen der Staten oder ihrer Geſanten ab, dieſen Zweifeln eine größere
oder geringere Wirkung zu verſtatten. In Fällen der dritten Art wird die Verhand-
lung mit Nothwendigkeit unterbrochen. Dahin gehört z. B. die Abſperrung der
Verbindung in Kriegszeiten, oder eine Krankheit des Geſanten, die ihn zur Vertre-
tung unfähig macht — ohne Zwiſchenvertretung — u. dgl. In dieſer Zwiſchenzeit
wird die Wirkſamkeit des Creditivs als ſuspendirt betrachtet. Wenn jedoch das
Hemmniß beſeitigt, oder die Ungewißheit zu Gunſten der Fortſetzung des diplomati-
ſchen Verkehrs gehoben wird, ſo tritt das alte Creditiv wieder in volle Kraft und
wird angenommen, es habe auch in der Zwiſchenzeit gegolten. Wird umgekehrt dieſe
Zwiſchenzeit durch den Abbruch des Verkehrs beendigt, ſo wird angenommen, das
ſuspendirte Creditiv ſei unwirkſam geblieben.
238.
Wird die diplomatiſche Sendung in friedlicher Weiſe durch Abberu-
fung des Geſanten beendigt und iſt derſelbe bei dem Souverän perſönlich
beglaubigt, ſo kann eine dem feierlichen Empfang entſprechende feierliche
Verabſchiedung des Geſanten ſtattfinden. Der Geſante erhält dann gegen
das Abberufungsſchreiben von dem Souverän des beſendeten Stats ein
Recreditivſchreiben (lettres de récréance) an den Souverän des Abſende-
ſtats, welches die Beendigung des bisherigen Repräſentationsverhältniſſes
beurkundet.
Jene Feierlichkeit und dieſes Recreditiv ſind aber nicht nothwendig,
um das frühere Creditiv außer Wirkſamkeit zu ſetzen.
239.
Unter allen Umſtänden, ſelbſt nach einer Kriegserklärung, hat der
Empfangſtat die Pflicht, dafür zu ſorgen, daß der ſcheidende Geſante un-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/171>, abgerufen am 16.02.2025.
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