Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
291.
Ueberhaupt ist jede neue Statenbildung zugleich Begründung einer neuen Gebietshoheit.
Vgl. darüber oben § 28 f. Die Gebietshoheit ist nur eine einzelne Eigen- schaft und Richtung der Statshoheit, und diese die folgerichtige Eigenschaft der Existenz des Stats.
292.
Die Formen des privatrechtlichen Verkehrs und der privatrechtlichen Willenserklärung in Kauf- und Tauschverträgen, Zufertigung im Grund- buch, Verpfändung, Erbeinsetzung und Vermächtniß, Erbvertrag, obwohl im Mittelalter vielfältig auch auf die Landesherrschaft angewendet, sind nicht mehr anwendbar auf den Erwerb moderner Statshoheit.
Ein Tausch ist heute noch möglich, aber nur in völkerrechtlicher und stats- rechtlicher Form, z. B. in einem Friedens- oder einem andern Statsvertrag, nicht mehr in privatrechtlicher Form. Der Verkauf dagegen, durch welchen auf der einen Seite die Statshoheit veräußert und auf der andern Seite dafür eine Summe Geldes bezahlt wird, ist unsers Zeitalters unwürdig. Wohl aber lassen sich schick- licher Weise auch mit statsrechtlich und völkerrechtlich motivirten Abtretungen Geld- leistungen verbinden. Weil die Gebietshoheit kein Privatrecht, kein Eigenthum ist im privatrechtlichen Sinn, sondern Statsrecht, so passen auch die von der Privat- willkür benutzten Formen des Privatrechts nicht auf die Regulirung dieser öffent- lichen Verhältnisse.
293.
Das Erbrecht dynastischer Häuser kann insofern noch den rechtmäßigen Erwerb einer Statshoheit begründen, als dasselbe zugleich als Thronfolge- recht eine verfassungsmäßige Geltung hat oder die Anerkennung der poli- tisch berechtigten Bevölkerung hinzutritt.
Am längsten haben sich die mittelalterlichen Ansichten eines Familienerbrechts in den dynastischen Häusern und vorzüglich noch in den Anschauungen deut- scher Volksstämme erhalten. In unsern Tagen glaubte man noch, freilich zum Erstaunen fremder Völker, in Deutschland die Frage des Erbrechts in den Nord- albingischen Herzogthümern Schleswig und Holstein wesentlich aus dem verwickelten Studium des mittelalterlichen Privatfürstenrechts allein entscheiden zu können. Das Thronfolgerecht in dem modernen State aber ist nichts als ein Stück Statsver- fassung und ganz denselben Umgestaltungen und Veränderungen ausgesetzt wie diese. Da Niemand einen privatrechtlichen Anspruch auf die Regierung eines Volkes
Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
291.
Ueberhaupt iſt jede neue Statenbildung zugleich Begründung einer neuen Gebietshoheit.
Vgl. darüber oben § 28 f. Die Gebietshoheit iſt nur eine einzelne Eigen- ſchaft und Richtung der Statshoheit, und dieſe die folgerichtige Eigenſchaft der Exiſtenz des Stats.
292.
Die Formen des privatrechtlichen Verkehrs und der privatrechtlichen Willenserklärung in Kauf- und Tauſchverträgen, Zufertigung im Grund- buch, Verpfändung, Erbeinſetzung und Vermächtniß, Erbvertrag, obwohl im Mittelalter vielfältig auch auf die Landesherrſchaft angewendet, ſind nicht mehr anwendbar auf den Erwerb moderner Statshoheit.
Ein Tauſch iſt heute noch möglich, aber nur in völkerrechtlicher und ſtats- rechtlicher Form, z. B. in einem Friedens- oder einem andern Statsvertrag, nicht mehr in privatrechtlicher Form. Der Verkauf dagegen, durch welchen auf der einen Seite die Statshoheit veräußert und auf der andern Seite dafür eine Summe Geldes bezahlt wird, iſt unſers Zeitalters unwürdig. Wohl aber laſſen ſich ſchick- licher Weiſe auch mit ſtatsrechtlich und völkerrechtlich motivirten Abtretungen Geld- leiſtungen verbinden. Weil die Gebietshoheit kein Privatrecht, kein Eigenthum iſt im privatrechtlichen Sinn, ſondern Statsrecht, ſo paſſen auch die von der Privat- willkür benutzten Formen des Privatrechts nicht auf die Regulirung dieſer öffent- lichen Verhältniſſe.
293.
Das Erbrecht dynaſtiſcher Häuſer kann inſofern noch den rechtmäßigen Erwerb einer Statshoheit begründen, als dasſelbe zugleich als Thronfolge- recht eine verfaſſungsmäßige Geltung hat oder die Anerkennung der poli- tiſch berechtigten Bevölkerung hinzutritt.
Am längſten haben ſich die mittelalterlichen Anſichten eines Familienerbrechts in den dynaſtiſchen Häuſern und vorzüglich noch in den Anſchauungen deut- ſcher Volksſtämme erhalten. In unſern Tagen glaubte man noch, freilich zum Erſtaunen fremder Völker, in Deutſchland die Frage des Erbrechts in den Nord- albingiſchen Herzogthümern Schleswig und Holſtein weſentlich aus dem verwickelten Studium des mittelalterlichen Privatfürſtenrechts allein entſcheiden zu können. Das Thronfolgerecht in dem modernen State aber iſt nichts als ein Stück Statsver- faſſung und ganz denſelben Umgeſtaltungen und Veränderungen ausgeſetzt wie dieſe. Da Niemand einen privatrechtlichen Anſpruch auf die Regierung eines Volkes
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Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit.
291.
Ueberhaupt iſt jede neue Statenbildung zugleich Begründung einer
neuen Gebietshoheit.
Vgl. darüber oben § 28 f. Die Gebietshoheit iſt nur eine einzelne Eigen-
ſchaft und Richtung der Statshoheit, und dieſe die folgerichtige Eigenſchaft der
Exiſtenz des Stats.
292.
Die Formen des privatrechtlichen Verkehrs und der privatrechtlichen
Willenserklärung in Kauf- und Tauſchverträgen, Zufertigung im Grund-
buch, Verpfändung, Erbeinſetzung und Vermächtniß, Erbvertrag, obwohl
im Mittelalter vielfältig auch auf die Landesherrſchaft angewendet, ſind
nicht mehr anwendbar auf den Erwerb moderner Statshoheit.
Ein Tauſch iſt heute noch möglich, aber nur in völkerrechtlicher und ſtats-
rechtlicher Form, z. B. in einem Friedens- oder einem andern Statsvertrag, nicht
mehr in privatrechtlicher Form. Der Verkauf dagegen, durch welchen auf der einen
Seite die Statshoheit veräußert und auf der andern Seite dafür eine Summe
Geldes bezahlt wird, iſt unſers Zeitalters unwürdig. Wohl aber laſſen ſich ſchick-
licher Weiſe auch mit ſtatsrechtlich und völkerrechtlich motivirten Abtretungen Geld-
leiſtungen verbinden. Weil die Gebietshoheit kein Privatrecht, kein Eigenthum
iſt im privatrechtlichen Sinn, ſondern Statsrecht, ſo paſſen auch die von der Privat-
willkür benutzten Formen des Privatrechts nicht auf die Regulirung dieſer öffent-
lichen Verhältniſſe.
293.
Das Erbrecht dynaſtiſcher Häuſer kann inſofern noch den rechtmäßigen
Erwerb einer Statshoheit begründen, als dasſelbe zugleich als Thronfolge-
recht eine verfaſſungsmäßige Geltung hat oder die Anerkennung der poli-
tiſch berechtigten Bevölkerung hinzutritt.
Am längſten haben ſich die mittelalterlichen Anſichten eines Familienerbrechts
in den dynaſtiſchen Häuſern und vorzüglich noch in den Anſchauungen deut-
ſcher Volksſtämme erhalten. In unſern Tagen glaubte man noch, freilich zum
Erſtaunen fremder Völker, in Deutſchland die Frage des Erbrechts in den Nord-
albingiſchen Herzogthümern Schleswig und Holſtein weſentlich aus dem verwickelten
Studium des mittelalterlichen Privatfürſtenrechts allein entſcheiden zu können. Das
Thronfolgerecht in dem modernen State aber iſt nichts als ein Stück Statsver-
faſſung und ganz denſelben Umgeſtaltungen und Veränderungen ausgeſetzt wie
dieſe. Da Niemand einen privatrechtlichen Anſpruch auf die Regierung eines Volkes
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/195>, abgerufen am 21.11.2024.
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