2. Eine sehr starke und im Grunde ungerechte Benutzung der Seeherrschaft geschah durch Dänemark, indem es während Jahrhunderten im Besitz der beiden Erdzungen, welche den Sundpaß einengen, auf der einzigen Fahrstraße aus dem baltischen Meere in die Nordsee den sogenannten Sundzoll erhob. Den mittel- alterlichen Rechtsansichten war diese Zollerhebung nicht ebenso anstößig, wie dem modernen Rechtsbewußtsein. Die europäischen Staten ließen sich daher diese Belä- stigung gefallen und suchten nur durch Verträge eine weitere Erschwerung zu ver- hüten. Erst der offene und entschiedene Widerspruch der Vereinigten Staten von Amerika nöthigte Dänemark über Ablösung des Sundzolls zu verhandeln. Seit dem Jahr 1857 ist nun diese Beschwerde der Schiffahrt von den übrigen Staten vertrags- mäßig losgekauft und die freie Schiffahrt am 1. April 1857 hergestellt worden.
311.
Die Ströme und Flüsse gehören, wenn sie innerhalb eines Landes fließen, zu dem Statsgebiet des Landes, wenn sie zwischen zwei Staten die Grenze bilden, im Zweifel je zur Hälfte bis in die Mitte den beider- seitigen Uferstaten zu.
Vgl. oben zu Art. 298.
312.
Schiffbare Ströme und Flüsse, welche das Gebiet mehrerer Staten durchfließen, begründen ein gemeinsames Recht und Interesse aller dieser Staten an der geordneten und freien Benutzung derselben zur Schiffahrt.
Jeder der betheiligten Staten ist verpflichtet, auf seinem Gebiet so- wohl für die Offenhaltung des Fahrwegs für die Schiffe als für den Unterhalt der Leinpfade zu sorgen.
Es ist das einer der wenigen Fortschritte, welche die Entwicklung des Völker- rechts hauptsächlich auf Betrieb des Preußischen Gesanten Wilh. v. Humboldt den Verhandlungen des Wiener Congresses verdankt. Die Wiener Congreßacte von 1815 Art. 108 lautet: "Les Puissances, dont les etats sont separes ou traverses par une meme riviere navigable, s'engagent a regler d'un commun accord tout ce qui a rapport a la navigation de cette riviere. Art. 113. Chaque etat riverain se chargera de l'entretien des chemins de halage qui passent par son territoire et des travaux necessaires pour la meme etendue dans le lit de la riviere, pour ne faire eprouver aucun obstacle a la navi- gation". Der Fluß bildet ein natürliches Band, welches die Länder verbindet, die er durchfließt. Sein Gewässer ergibt sich nicht völlig der Sonderherrschaft eines Sta- tes, es fließt weiter, unbekümmert um die statliche Grenze. Es dient daher auch der gemeinsamen Schiffahrt, soweit der Fluß schiffbar ist. Es ist nur eine An-
Viertes Buch.
2. Eine ſehr ſtarke und im Grunde ungerechte Benutzung der Seeherrſchaft geſchah durch Dänemark, indem es während Jahrhunderten im Beſitz der beiden Erdzungen, welche den Sundpaß einengen, auf der einzigen Fahrſtraße aus dem baltiſchen Meere in die Nordſee den ſogenannten Sundzoll erhob. Den mittel- alterlichen Rechtsanſichten war dieſe Zollerhebung nicht ebenſo anſtößig, wie dem modernen Rechtsbewußtſein. Die europäiſchen Staten ließen ſich daher dieſe Belä- ſtigung gefallen und ſuchten nur durch Verträge eine weitere Erſchwerung zu ver- hüten. Erſt der offene und entſchiedene Widerſpruch der Vereinigten Staten von Amerika nöthigte Dänemark über Ablöſung des Sundzolls zu verhandeln. Seit dem Jahr 1857 iſt nun dieſe Beſchwerde der Schiffahrt von den übrigen Staten vertrags- mäßig losgekauft und die freie Schiffahrt am 1. April 1857 hergeſtellt worden.
311.
Die Ströme und Flüſſe gehören, wenn ſie innerhalb eines Landes fließen, zu dem Statsgebiet des Landes, wenn ſie zwiſchen zwei Staten die Grenze bilden, im Zweifel je zur Hälfte bis in die Mitte den beider- ſeitigen Uferſtaten zu.
Vgl. oben zu Art. 298.
312.
Schiffbare Ströme und Flüſſe, welche das Gebiet mehrerer Staten durchfließen, begründen ein gemeinſames Recht und Intereſſe aller dieſer Staten an der geordneten und freien Benutzung derſelben zur Schiffahrt.
Jeder der betheiligten Staten iſt verpflichtet, auf ſeinem Gebiet ſo- wohl für die Offenhaltung des Fahrwegs für die Schiffe als für den Unterhalt der Leinpfade zu ſorgen.
Es iſt das einer der wenigen Fortſchritte, welche die Entwicklung des Völker- rechts hauptſächlich auf Betrieb des Preußiſchen Geſanten Wilh. v. Humboldt den Verhandlungen des Wiener Congreſſes verdankt. Die Wiener Congreßacte von 1815 Art. 108 lautet: „Les Puissances, dont les états sont séparés ou traversés par une même rivière navigable, s’engagent à regler d’un commun accord tout ce qui a rapport à la navigation de cette rivière. Art. 113. Chaque état riverain se chargera de l’entretien des chemins de halage qui passent par son territoire et des travaux nécessaires pour la même étendue dans le lit de la rivière, pour ne faire éprouver aucun obstacle à la navi- gation“. Der Fluß bildet ein natürliches Band, welches die Länder verbindet, die er durchfließt. Sein Gewäſſer ergibt ſich nicht völlig der Sonderherrſchaft eines Sta- tes, es fließt weiter, unbekümmert um die ſtatliche Grenze. Es dient daher auch der gemeinſamen Schiffahrt, ſoweit der Fluß ſchiffbar iſt. Es iſt nur eine An-
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Viertes Buch.
2. Eine ſehr ſtarke und im Grunde ungerechte Benutzung der Seeherrſchaft
geſchah durch Dänemark, indem es während Jahrhunderten im Beſitz der beiden
Erdzungen, welche den Sundpaß einengen, auf der einzigen Fahrſtraße aus dem
baltiſchen Meere in die Nordſee den ſogenannten Sundzoll erhob. Den mittel-
alterlichen Rechtsanſichten war dieſe Zollerhebung nicht ebenſo anſtößig, wie dem
modernen Rechtsbewußtſein. Die europäiſchen Staten ließen ſich daher dieſe Belä-
ſtigung gefallen und ſuchten nur durch Verträge eine weitere Erſchwerung zu ver-
hüten. Erſt der offene und entſchiedene Widerſpruch der Vereinigten Staten von
Amerika nöthigte Dänemark über Ablöſung des Sundzolls zu verhandeln. Seit dem
Jahr 1857 iſt nun dieſe Beſchwerde der Schiffahrt von den übrigen Staten vertrags-
mäßig losgekauft und die freie Schiffahrt am 1. April 1857 hergeſtellt worden.
311.
Die Ströme und Flüſſe gehören, wenn ſie innerhalb eines Landes
fließen, zu dem Statsgebiet des Landes, wenn ſie zwiſchen zwei Staten
die Grenze bilden, im Zweifel je zur Hälfte bis in die Mitte den beider-
ſeitigen Uferſtaten zu.
Vgl. oben zu Art. 298.
312.
Schiffbare Ströme und Flüſſe, welche das Gebiet mehrerer Staten
durchfließen, begründen ein gemeinſames Recht und Intereſſe aller dieſer
Staten an der geordneten und freien Benutzung derſelben zur Schiffahrt.
Jeder der betheiligten Staten iſt verpflichtet, auf ſeinem Gebiet ſo-
wohl für die Offenhaltung des Fahrwegs für die Schiffe als für den
Unterhalt der Leinpfade zu ſorgen.
Es iſt das einer der wenigen Fortſchritte, welche die Entwicklung des Völker-
rechts hauptſächlich auf Betrieb des Preußiſchen Geſanten Wilh. v. Humboldt
den Verhandlungen des Wiener Congreſſes verdankt. Die Wiener Congreßacte
von 1815 Art. 108 lautet: „Les Puissances, dont les états sont séparés ou
traversés par une même rivière navigable, s’engagent à regler d’un commun
accord tout ce qui a rapport à la navigation de cette rivière. Art. 113.
Chaque état riverain se chargera de l’entretien des chemins de halage qui
passent par son territoire et des travaux nécessaires pour la même étendue
dans le lit de la rivière, pour ne faire éprouver aucun obstacle à la navi-
gation“. Der Fluß bildet ein natürliches Band, welches die Länder verbindet, die er
durchfließt. Sein Gewäſſer ergibt ſich nicht völlig der Sonderherrſchaft eines Sta-
tes, es fließt weiter, unbekümmert um die ſtatliche Grenze. Es dient daher auch der
gemeinſamen Schiffahrt, ſoweit der Fluß ſchiffbar iſt. Es iſt nur eine An-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/204>, abgerufen am 24.11.2024.
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