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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Viertes Buch.
wurden weggenommen. Man suchte dieses Raubrecht damit zu vertheidigen, daß
die hülflosen Fremden Feinde und als solche rechtlos und ihre Güter herrenlos ge-
worden seien. Die humanere Rechtsbildung der neuen Zeit verwirft diese Barbarei
und achtet auch in dem Fremden sowohl das Recht der Person als das Eigenthum.

335.

Die Schiffstrümmer (Wrack) und die gestrandeten Waaren sind kein
Gegenstand der freien Occupation, außer wenn die Eigenthümer in un-
zweideutiger Weise auf ihr Eigenthum verzichtet haben. Sie können von
den Eigenthümern jederzeit so lange angesprochen werden, als nicht die
Eigenthumsklage verjährt ist.

Dasselbe Recht steht auch den Personen zu, welche auf diese Güter versichert
sind. Das englische Schiffahrtsgesetz von 1854 § 477 verpflichtet die
ganze Ufergemeinde für den Schaden einzustehn, welcher von den Uferbewoh-
nern an dem Wrackgute verübt worden ist, und bedroht überdem alle, welche sich an
dieser unerlaubten Wegnahme betheiligt haben, auch wenn kein anderes Vergehen
darin liegt, mit einer Geldbuße.

336.

Dagegen ist ein mäßiger Anspruch auf Rettungs- und Bergelohn
von Seite der rettenden und bergenden Uferbewohner wohl begründet.

Der eigentliche Bergelohn (Salvage) setzt einen Schiffbruch oder doch das
Verlassen des Schiffs in Seenoth durch die Schiffsmannschaft voraus. In andern,
beziehungsweise mindern Fällen, in denen der Schiffsmannschaft nur dritte Personen
zu Hülfe kommen, ist nur von Hülfslohn die Rede. Vgl. über diesen Unterschied
das deutsche Handelsgesetzbuch Art. 742. Der Ausdruck Rettungslohn be-
zieht sich vorzüglich auf die Rettung von Menschenleben. In allen diesen Fällen
sind die Personen, welche gewöhnlich mit eigener Gefahr und schwerer Arbeit hülf-
reiche Dienste leisten, berechtigt, einen Lohn zu fordern. Aber es darf diese Forde-
rung nicht so weit gespannt werden, daß dieselbe in der Praxis wieder zu einem
verdeckten Raubrecht wird. Es darf nicht auf das Unglück und die Noth der See-
fahrer speculirt, sondern nur Ersatz für nützliche Dienste verlangt werden. Das
deutsche Handelsgesetzbuch setzt für Bergelohn als äußerstes Maß den dritten
Theil des Werthes der geborgenen Güter fest, welches nur in einzelnen Ausnahmen
bis auf die Hälfte des Werthes erhöht werden darf, Art. 748. 749. Im Einzelnen
entscheidet, wenn über das richtige Maß Streit entsteht, das richterliche Ermessen mit
billiger Erwägung aller Umstände. Ebenda 744. Von einem Rettungslohn
für Menschen
ist in dem Gesetz nicht die Rede. Indessen, wenn auch das Leben
ein unschätzbares Gut ist, so ist doch die Arbeit für Erhaltung des Lebens wohl zu
schätzen und es ist zweckmäßiger, im Interesse der Lebensrettung, von Rechts wegen

Viertes Buch.
wurden weggenommen. Man ſuchte dieſes Raubrecht damit zu vertheidigen, daß
die hülfloſen Fremden Feinde und als ſolche rechtlos und ihre Güter herrenlos ge-
worden ſeien. Die humanere Rechtsbildung der neuen Zeit verwirft dieſe Barbarei
und achtet auch in dem Fremden ſowohl das Recht der Perſon als das Eigenthum.

335.

Die Schiffstrümmer (Wrack) und die geſtrandeten Waaren ſind kein
Gegenſtand der freien Occupation, außer wenn die Eigenthümer in un-
zweideutiger Weiſe auf ihr Eigenthum verzichtet haben. Sie können von
den Eigenthümern jederzeit ſo lange angeſprochen werden, als nicht die
Eigenthumsklage verjährt iſt.

Dasſelbe Recht ſteht auch den Perſonen zu, welche auf dieſe Güter verſichert
ſind. Das engliſche Schiffahrtsgeſetz von 1854 § 477 verpflichtet die
ganze Ufergemeinde für den Schaden einzuſtehn, welcher von den Uferbewoh-
nern an dem Wrackgute verübt worden iſt, und bedroht überdem alle, welche ſich an
dieſer unerlaubten Wegnahme betheiligt haben, auch wenn kein anderes Vergehen
darin liegt, mit einer Geldbuße.

336.

Dagegen iſt ein mäßiger Anſpruch auf Rettungs- und Bergelohn
von Seite der rettenden und bergenden Uferbewohner wohl begründet.

Der eigentliche Bergelohn (Salvage) ſetzt einen Schiffbruch oder doch das
Verlaſſen des Schiffs in Seenoth durch die Schiffsmannſchaft voraus. In andern,
beziehungsweiſe mindern Fällen, in denen der Schiffsmannſchaft nur dritte Perſonen
zu Hülfe kommen, iſt nur von Hülfslohn die Rede. Vgl. über dieſen Unterſchied
das deutſche Handelsgeſetzbuch Art. 742. Der Ausdruck Rettungslohn be-
zieht ſich vorzüglich auf die Rettung von Menſchenleben. In allen dieſen Fällen
ſind die Perſonen, welche gewöhnlich mit eigener Gefahr und ſchwerer Arbeit hülf-
reiche Dienſte leiſten, berechtigt, einen Lohn zu fordern. Aber es darf dieſe Forde-
rung nicht ſo weit geſpannt werden, daß dieſelbe in der Praxis wieder zu einem
verdeckten Raubrecht wird. Es darf nicht auf das Unglück und die Noth der See-
fahrer ſpeculirt, ſondern nur Erſatz für nützliche Dienſte verlangt werden. Das
deutſche Handelsgeſetzbuch ſetzt für Bergelohn als äußerſtes Maß den dritten
Theil des Werthes der geborgenen Güter feſt, welches nur in einzelnen Ausnahmen
bis auf die Hälfte des Werthes erhöht werden darf, Art. 748. 749. Im Einzelnen
entſcheidet, wenn über das richtige Maß Streit entſteht, das richterliche Ermeſſen mit
billiger Erwägung aller Umſtände. Ebenda 744. Von einem Rettungslohn
für Menſchen
iſt in dem Geſetz nicht die Rede. Indeſſen, wenn auch das Leben
ein unſchätzbares Gut iſt, ſo iſt doch die Arbeit für Erhaltung des Lebens wohl zu
ſchätzen und es iſt zweckmäßiger, im Intereſſe der Lebensrettung, von Rechts wegen

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[194/0216] Viertes Buch. wurden weggenommen. Man ſuchte dieſes Raubrecht damit zu vertheidigen, daß die hülfloſen Fremden Feinde und als ſolche rechtlos und ihre Güter herrenlos ge- worden ſeien. Die humanere Rechtsbildung der neuen Zeit verwirft dieſe Barbarei und achtet auch in dem Fremden ſowohl das Recht der Perſon als das Eigenthum. 335. Die Schiffstrümmer (Wrack) und die geſtrandeten Waaren ſind kein Gegenſtand der freien Occupation, außer wenn die Eigenthümer in un- zweideutiger Weiſe auf ihr Eigenthum verzichtet haben. Sie können von den Eigenthümern jederzeit ſo lange angeſprochen werden, als nicht die Eigenthumsklage verjährt iſt. Dasſelbe Recht ſteht auch den Perſonen zu, welche auf dieſe Güter verſichert ſind. Das engliſche Schiffahrtsgeſetz von 1854 § 477 verpflichtet die ganze Ufergemeinde für den Schaden einzuſtehn, welcher von den Uferbewoh- nern an dem Wrackgute verübt worden iſt, und bedroht überdem alle, welche ſich an dieſer unerlaubten Wegnahme betheiligt haben, auch wenn kein anderes Vergehen darin liegt, mit einer Geldbuße. 336. Dagegen iſt ein mäßiger Anſpruch auf Rettungs- und Bergelohn von Seite der rettenden und bergenden Uferbewohner wohl begründet. Der eigentliche Bergelohn (Salvage) ſetzt einen Schiffbruch oder doch das Verlaſſen des Schiffs in Seenoth durch die Schiffsmannſchaft voraus. In andern, beziehungsweiſe mindern Fällen, in denen der Schiffsmannſchaft nur dritte Perſonen zu Hülfe kommen, iſt nur von Hülfslohn die Rede. Vgl. über dieſen Unterſchied das deutſche Handelsgeſetzbuch Art. 742. Der Ausdruck Rettungslohn be- zieht ſich vorzüglich auf die Rettung von Menſchenleben. In allen dieſen Fällen ſind die Perſonen, welche gewöhnlich mit eigener Gefahr und ſchwerer Arbeit hülf- reiche Dienſte leiſten, berechtigt, einen Lohn zu fordern. Aber es darf dieſe Forde- rung nicht ſo weit geſpannt werden, daß dieſelbe in der Praxis wieder zu einem verdeckten Raubrecht wird. Es darf nicht auf das Unglück und die Noth der See- fahrer ſpeculirt, ſondern nur Erſatz für nützliche Dienſte verlangt werden. Das deutſche Handelsgeſetzbuch ſetzt für Bergelohn als äußerſtes Maß den dritten Theil des Werthes der geborgenen Güter feſt, welches nur in einzelnen Ausnahmen bis auf die Hälfte des Werthes erhöht werden darf, Art. 748. 749. Im Einzelnen entſcheidet, wenn über das richtige Maß Streit entſteht, das richterliche Ermeſſen mit billiger Erwägung aller Umſtände. Ebenda 744. Von einem Rettungslohn für Menſchen iſt in dem Geſetz nicht die Rede. Indeſſen, wenn auch das Leben ein unſchätzbares Gut iſt, ſo iſt doch die Arbeit für Erhaltung des Lebens wohl zu ſchätzen und es iſt zweckmäßiger, im Intereſſe der Lebensrettung, von Rechts wegen

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/216>, abgerufen am 25.11.2024.