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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Fünftes Buch.
Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen.
1. Schutz der persönlichen Freiheit.
360.

Es gibt kein Eigenthum des Menschen am Menschen. Jeder
Mensch ist Person, d. h. ein rechtsfähiges und mit Recht begabtes Wesen.

Dieser natürliche Rechtssatz, der schon von den römischen Juristen erkannt
wurde, ist während Jahrtausenden von den meisten Völkern gegen ihr besseres Ge-
wissen mißachtet und verdunkelt worden. Im Alterthum hat man sich, um die un-
natürliche Sclaverei zu rechtfertigen, auf die gemeine Rechtsübung der Völker, das
jus gentium berufen. Nur ganz allmählich und langsam hat die europäische Civi-
lisation jenen schändlichen Mißbrauch der Gewalt des herrschenden über den dienen-
den Menschen, den man Eigenthum nannte und mit dem Eigenthum an Hausthieren
auf Eine Linie stellte, gemildert und endlich abgeschafft und das natürliche Menschen-
recht der Person anerkannt. Als bereits in Italien, in England und in Frankreich
die Eigenschaft aufgehoben war, bestand dieselbe noch in einigen deutschen Ländern
fort, und später als in Deutschland, erst in unsern Tagen wurde sie in Rußland
beseitigt. So bildete sich nach und nach das europäische Recht aus, welches die
Sclaverei nicht mehr als wirkliches Recht in Europa gelten ließ, sondern die per-
sönliche Freiheit als Menschenrecht ehrte. Nachdem die Vereinigten Staten von
Nordamerika sich ebenfalls gegen die Sclaverei der Schwarzen erklärt und innerhalb
ihres Machtbereichs die widerstrebenden Staten genöthigt haben, die persönliche Frei-
heit und die bürgerlichen Rechte auch der dunkeln Rassen anzuerkennen, ist jenes
Menschenrecht auch in Amerika durchgedrungen und nunmehr zu allgemeiner

Bluntschli, Das Völkerrecht. 14
Fünftes Buch.
Die Statshoheit im Verhältniß zu den Perſonen.
1. Schutz der perſönlichen Freiheit.
360.

Es gibt kein Eigenthum des Menſchen am Menſchen. Jeder
Menſch iſt Perſon, d. h. ein rechtsfähiges und mit Recht begabtes Weſen.

Dieſer natürliche Rechtsſatz, der ſchon von den römiſchen Juriſten erkannt
wurde, iſt während Jahrtauſenden von den meiſten Völkern gegen ihr beſſeres Ge-
wiſſen mißachtet und verdunkelt worden. Im Alterthum hat man ſich, um die un-
natürliche Sclaverei zu rechtfertigen, auf die gemeine Rechtsübung der Völker, das
jus gentium berufen. Nur ganz allmählich und langſam hat die europäiſche Civi-
liſation jenen ſchändlichen Mißbrauch der Gewalt des herrſchenden über den dienen-
den Menſchen, den man Eigenthum nannte und mit dem Eigenthum an Hausthieren
auf Eine Linie ſtellte, gemildert und endlich abgeſchafft und das natürliche Menſchen-
recht der Perſon anerkannt. Als bereits in Italien, in England und in Frankreich
die Eigenſchaft aufgehoben war, beſtand dieſelbe noch in einigen deutſchen Ländern
fort, und ſpäter als in Deutſchland, erſt in unſern Tagen wurde ſie in Rußland
beſeitigt. So bildete ſich nach und nach das europäiſche Recht aus, welches die
Sclaverei nicht mehr als wirkliches Recht in Europa gelten ließ, ſondern die per-
ſönliche Freiheit als Menſchenrecht ehrte. Nachdem die Vereinigten Staten von
Nordamerika ſich ebenfalls gegen die Sclaverei der Schwarzen erklärt und innerhalb
ihres Machtbereichs die widerſtrebenden Staten genöthigt haben, die perſönliche Frei-
heit und die bürgerlichen Rechte auch der dunkeln Raſſen anzuerkennen, iſt jenes
Menſchenrecht auch in Amerika durchgedrungen und nunmehr zu allgemeiner

Bluntſchli, Das Völkerrecht. 14
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[[209]/0231] Fünftes Buch. Die Statshoheit im Verhältniß zu den Perſonen. 1. Schutz der perſönlichen Freiheit. 360. Es gibt kein Eigenthum des Menſchen am Menſchen. Jeder Menſch iſt Perſon, d. h. ein rechtsfähiges und mit Recht begabtes Weſen. Dieſer natürliche Rechtsſatz, der ſchon von den römiſchen Juriſten erkannt wurde, iſt während Jahrtauſenden von den meiſten Völkern gegen ihr beſſeres Ge- wiſſen mißachtet und verdunkelt worden. Im Alterthum hat man ſich, um die un- natürliche Sclaverei zu rechtfertigen, auf die gemeine Rechtsübung der Völker, das jus gentium berufen. Nur ganz allmählich und langſam hat die europäiſche Civi- liſation jenen ſchändlichen Mißbrauch der Gewalt des herrſchenden über den dienen- den Menſchen, den man Eigenthum nannte und mit dem Eigenthum an Hausthieren auf Eine Linie ſtellte, gemildert und endlich abgeſchafft und das natürliche Menſchen- recht der Perſon anerkannt. Als bereits in Italien, in England und in Frankreich die Eigenſchaft aufgehoben war, beſtand dieſelbe noch in einigen deutſchen Ländern fort, und ſpäter als in Deutſchland, erſt in unſern Tagen wurde ſie in Rußland beſeitigt. So bildete ſich nach und nach das europäiſche Recht aus, welches die Sclaverei nicht mehr als wirkliches Recht in Europa gelten ließ, ſondern die per- ſönliche Freiheit als Menſchenrecht ehrte. Nachdem die Vereinigten Staten von Nordamerika ſich ebenfalls gegen die Sclaverei der Schwarzen erklärt und innerhalb ihres Machtbereichs die widerſtrebenden Staten genöthigt haben, die perſönliche Frei- heit und die bürgerlichen Rechte auch der dunkeln Raſſen anzuerkennen, iſt jenes Menſchenrecht auch in Amerika durchgedrungen und nunmehr zu allgemeiner Bluntſchli, Das Völkerrecht. 14

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. [209]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/231>, abgerufen am 27.11.2024.