Wenn ein Stat der Schutzhoheit eines andern Stats unterworfen ist, so kann ihm das Recht, selbständig mit andern Staten Verträge abzuschließen, gänzlich oder theilweise entzogen sein. Ebenso sind in den zusammengesetzten Staten regelmäßig die Einzelstaten sehr erheblich in der Vertragsbefugniß beschränkt, sei es indem ihnen untersagt ist, gewisse Verträge abzuschließen, die ausschließlich dem Ge- sammtstate vorbehalten sind, z. B. Allianzen, Handels- und Zollverträge, sei es indem sie genöthigt sind, sich der diplomatischen Organe des Gesammtstates zu be- dienen und der Zustimmung des Gesammtstates bedürfen. Verträge, welche im Widerspruch mit diesen Schranken abgeschlossen werden, sind nicht verbindlich.
404.
Damit der Vertrag den Stat verbinde, müssen die Personen, welche denselben im Namen des States abschließen, zur Vertretung des States ermächtigt sein.
Es gilt das sowohl von der Repräsentationsbefugniß des jeweiligen Inhabers der Statsgewalt (oben § 116), als von der Vollmacht der Gesanten, welche den Vertrag unterhandeln und unterzeichnen (oben § 159 f.).
405.
Wird für einen Stat ein Vertrag von einer Person unterhandelt und abgeschlossen, welche nicht dazu ermächtigt ist, so wird der Stat so lange nicht verpflichtet, als er nicht durch nachträgliche Gutheißung jenen Mangel der Vollmacht hebt. Bis dahin steht auch der andern Vertrags- partei der Rücktritt frei, wenn sie nicht darauf verzichtet hat.
Man heißt Verträge, welche von nichtbevollmächtigten Vertretern, gewöhnlich in der Hoffnung auf spätere Ratihabition abgeschlossen werden, Spon- siones; in Erinnerung an die persönliche sponsio der alten Römer. Der Aus- druck, welcher in Rom eine strenge und formelle Vertragspflicht bedeutete, ist freilich nicht geeignet, derartige in ihrer Wirksamkeit höchst zweifelhafte Verträge zu bezeich- nen, während wir im Gegensatze zu den Römern die rechtsverbindlichen Ver- träge der Staten pacta heißen.
406.
Wird der von einem nicht ermächtigten Vertreter abgeschlossene Ver- trag von dem State nicht genehmigt, so ist überall kein Vertrag zu Stande gekommen.
Der Stat wird nicht verpflichtet, weil er nicht wirklich vertreten war, und der Geschäftsführer (sponsor) nicht, weil er kein Stat ist und als Privat-
Sechstes Buch.
Wenn ein Stat der Schutzhoheit eines andern Stats unterworfen iſt, ſo kann ihm das Recht, ſelbſtändig mit andern Staten Verträge abzuſchließen, gänzlich oder theilweiſe entzogen ſein. Ebenſo ſind in den zuſammengeſetzten Staten regelmäßig die Einzelſtaten ſehr erheblich in der Vertragsbefugniß beſchränkt, ſei es indem ihnen unterſagt iſt, gewiſſe Verträge abzuſchließen, die ausſchließlich dem Ge- ſammtſtate vorbehalten ſind, z. B. Allianzen, Handels- und Zollverträge, ſei es indem ſie genöthigt ſind, ſich der diplomatiſchen Organe des Geſammtſtates zu be- dienen und der Zuſtimmung des Geſammtſtates bedürfen. Verträge, welche im Widerſpruch mit dieſen Schranken abgeſchloſſen werden, ſind nicht verbindlich.
404.
Damit der Vertrag den Stat verbinde, müſſen die Perſonen, welche denſelben im Namen des States abſchließen, zur Vertretung des States ermächtigt ſein.
Es gilt das ſowohl von der Repräſentationsbefugniß des jeweiligen Inhabers der Statsgewalt (oben § 116), als von der Vollmacht der Geſanten, welche den Vertrag unterhandeln und unterzeichnen (oben § 159 f.).
405.
Wird für einen Stat ein Vertrag von einer Perſon unterhandelt und abgeſchloſſen, welche nicht dazu ermächtigt iſt, ſo wird der Stat ſo lange nicht verpflichtet, als er nicht durch nachträgliche Gutheißung jenen Mangel der Vollmacht hebt. Bis dahin ſteht auch der andern Vertrags- partei der Rücktritt frei, wenn ſie nicht darauf verzichtet hat.
Man heißt Verträge, welche von nichtbevollmächtigten Vertretern, gewöhnlich in der Hoffnung auf ſpätere Ratihabition abgeſchloſſen werden, Spon- ſiones; in Erinnerung an die perſönliche sponsio der alten Römer. Der Aus- druck, welcher in Rom eine ſtrenge und formelle Vertragspflicht bedeutete, iſt freilich nicht geeignet, derartige in ihrer Wirkſamkeit höchſt zweifelhafte Verträge zu bezeich- nen, während wir im Gegenſatze zu den Römern die rechtsverbindlichen Ver- träge der Staten pacta heißen.
406.
Wird der von einem nicht ermächtigten Vertreter abgeſchloſſene Ver- trag von dem State nicht genehmigt, ſo iſt überall kein Vertrag zu Stande gekommen.
Der Stat wird nicht verpflichtet, weil er nicht wirklich vertreten war, und der Geſchäftsführer (sponsor) nicht, weil er kein Stat iſt und als Privat-
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Sechstes Buch.
Wenn ein Stat der Schutzhoheit eines andern Stats unterworfen iſt, ſo
kann ihm das Recht, ſelbſtändig mit andern Staten Verträge abzuſchließen, gänzlich
oder theilweiſe entzogen ſein. Ebenſo ſind in den zuſammengeſetzten Staten
regelmäßig die Einzelſtaten ſehr erheblich in der Vertragsbefugniß beſchränkt, ſei es
indem ihnen unterſagt iſt, gewiſſe Verträge abzuſchließen, die ausſchließlich dem Ge-
ſammtſtate vorbehalten ſind, z. B. Allianzen, Handels- und Zollverträge, ſei
es indem ſie genöthigt ſind, ſich der diplomatiſchen Organe des Geſammtſtates zu be-
dienen und der Zuſtimmung des Geſammtſtates bedürfen. Verträge, welche
im Widerſpruch mit dieſen Schranken abgeſchloſſen werden, ſind nicht verbindlich.
404.
Damit der Vertrag den Stat verbinde, müſſen die Perſonen, welche
denſelben im Namen des States abſchließen, zur Vertretung des States
ermächtigt ſein.
Es gilt das ſowohl von der Repräſentationsbefugniß des jeweiligen
Inhabers der Statsgewalt (oben § 116), als von der Vollmacht der
Geſanten, welche den Vertrag unterhandeln und unterzeichnen (oben § 159 f.).
405.
Wird für einen Stat ein Vertrag von einer Perſon unterhandelt
und abgeſchloſſen, welche nicht dazu ermächtigt iſt, ſo wird der Stat ſo
lange nicht verpflichtet, als er nicht durch nachträgliche Gutheißung jenen
Mangel der Vollmacht hebt. Bis dahin ſteht auch der andern Vertrags-
partei der Rücktritt frei, wenn ſie nicht darauf verzichtet hat.
Man heißt Verträge, welche von nichtbevollmächtigten Vertretern,
gewöhnlich in der Hoffnung auf ſpätere Ratihabition abgeſchloſſen werden, Spon-
ſiones; in Erinnerung an die perſönliche sponsio der alten Römer. Der Aus-
druck, welcher in Rom eine ſtrenge und formelle Vertragspflicht bedeutete, iſt freilich
nicht geeignet, derartige in ihrer Wirkſamkeit höchſt zweifelhafte Verträge zu bezeich-
nen, während wir im Gegenſatze zu den Römern die rechtsverbindlichen Ver-
träge der Staten pacta heißen.
406.
Wird der von einem nicht ermächtigten Vertreter abgeſchloſſene Ver-
trag von dem State nicht genehmigt, ſo iſt überall kein Vertrag zu Stande
gekommen.
Der Stat wird nicht verpflichtet, weil er nicht wirklich vertreten war,
und der Geſchäftsführer (sponsor) nicht, weil er kein Stat iſt und als Privat-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/254>, abgerufen am 29.11.2024.
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