Wird die Ehre eines andern Stats verletzt oder seine Würde miß- achtet, so ist der beleidigte oder gekränkte Stat berechtigt, entsprechende Genugthuung zu fordern.
Es unterscheidet sich diese Art der Rechtsverletzung von der vorhergehenden durch den idealen Charakter des gekränkten Rechts und durch die tiefere Empfin- dung des beleidigten Statsbewußtseins. Die Genugthuung geht da- her auch einen Schritt über die bloße Wiederherstellung hinaus. Sie kann nach Umständen in der Bestrafung derjenigen Personen bestehen, welche jene Belei- digung begangen und die Würde des verletzten States mißachtet haben. Die Genug- thuung kann nicht bloß gewährt, sie kann unter Umständen auch genommen werden. Die Art derselben wird oft durch die Sitte bestimmt. Unsittliches darf man nicht verlangen.
464.
Besteht die Verletzung in dem thatsächlichen Eingriff in das Rechts- gebiet (Rechtsbruch) oder in widerrechtlicher Besitzstörung eines andern States, so ist der verletzte Stat berechtigt, nicht bloß Aufhebung des Un- rechts und Wiederherstellung des gestörten Rechts- oder Besitzstandes bezie- hungsweise Schadensersatz zu begehren, sondern überdem Genugthuung und Sühne und je nach Umständen weitere Garantien gegen Erneuerung des Rechtsbruchs zu fordern.
Der Rechtsbruch ist eine schwerere Verletzung, als die bloße Nichterfüllung und daher eher dem strafbaren Unrecht der Privatpersonen zu vergleichen. Da es aber im Völkerrechte keine eigentliche Strafgerichtsbarkeit gibt, sondern die Selbsthülfe des Völkerrechts noch auf derselben Stufe sich befindet, wie die alte Rache der in ihrem Frieden verletzten Barbaren, so muß die Bestimmung der Sühne großen- theils dem Ermessen des verletzten States und den Verhandlungen mit dem Ver- letzer überlassen werden.
465.
Wird der Rechtsbruch bis zu gewaltsamem Friedensbruch gesteigert, so wird auch das Recht des verletzten States auf Züchtigung des Friede- brechers erweitert.
Zwischen Rechtsbruch und Friedensbruch besteht ein ähnlicher Unter- schied, wie zwischen Vergehen und Verbrechen im Strafrecht, der schwer zu definiren
Siebentes Buch.
463.
Wird die Ehre eines andern Stats verletzt oder ſeine Würde miß- achtet, ſo iſt der beleidigte oder gekränkte Stat berechtigt, entſprechende Genugthuung zu fordern.
Es unterſcheidet ſich dieſe Art der Rechtsverletzung von der vorhergehenden durch den idealen Charakter des gekränkten Rechts und durch die tiefere Empfin- dung des beleidigten Statsbewußtſeins. Die Genugthuung geht da- her auch einen Schritt über die bloße Wiederherſtellung hinaus. Sie kann nach Umſtänden in der Beſtrafung derjenigen Perſonen beſtehen, welche jene Belei- digung begangen und die Würde des verletzten States mißachtet haben. Die Genug- thuung kann nicht bloß gewährt, ſie kann unter Umſtänden auch genommen werden. Die Art derſelben wird oft durch die Sitte beſtimmt. Unſittliches darf man nicht verlangen.
464.
Beſteht die Verletzung in dem thatſächlichen Eingriff in das Rechts- gebiet (Rechtsbruch) oder in widerrechtlicher Beſitzſtörung eines andern States, ſo iſt der verletzte Stat berechtigt, nicht bloß Aufhebung des Un- rechts und Wiederherſtellung des geſtörten Rechts- oder Beſitzſtandes bezie- hungsweiſe Schadenserſatz zu begehren, ſondern überdem Genugthuung und Sühne und je nach Umſtänden weitere Garantien gegen Erneuerung des Rechtsbruchs zu fordern.
Der Rechtsbruch iſt eine ſchwerere Verletzung, als die bloße Nichterfüllung und daher eher dem ſtrafbaren Unrecht der Privatperſonen zu vergleichen. Da es aber im Völkerrechte keine eigentliche Strafgerichtsbarkeit gibt, ſondern die Selbſthülfe des Völkerrechts noch auf derſelben Stufe ſich befindet, wie die alte Rache der in ihrem Frieden verletzten Barbaren, ſo muß die Beſtimmung der Sühne großen- theils dem Ermeſſen des verletzten States und den Verhandlungen mit dem Ver- letzer überlaſſen werden.
465.
Wird der Rechtsbruch bis zu gewaltſamem Friedensbruch geſteigert, ſo wird auch das Recht des verletzten States auf Züchtigung des Friede- brechers erweitert.
Zwiſchen Rechtsbruch und Friedensbruch beſteht ein ähnlicher Unter- ſchied, wie zwiſchen Vergehen und Verbrechen im Strafrecht, der ſchwer zu definiren
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Siebentes Buch.
463.
Wird die Ehre eines andern Stats verletzt oder ſeine Würde miß-
achtet, ſo iſt der beleidigte oder gekränkte Stat berechtigt, entſprechende
Genugthuung zu fordern.
Es unterſcheidet ſich dieſe Art der Rechtsverletzung von der vorhergehenden
durch den idealen Charakter des gekränkten Rechts und durch die tiefere Empfin-
dung des beleidigten Statsbewußtſeins. Die Genugthuung geht da-
her auch einen Schritt über die bloße Wiederherſtellung hinaus. Sie kann
nach Umſtänden in der Beſtrafung derjenigen Perſonen beſtehen, welche jene Belei-
digung begangen und die Würde des verletzten States mißachtet haben. Die Genug-
thuung kann nicht bloß gewährt, ſie kann unter Umſtänden auch genommen
werden. Die Art derſelben wird oft durch die Sitte beſtimmt. Unſittliches darf
man nicht verlangen.
464.
Beſteht die Verletzung in dem thatſächlichen Eingriff in das Rechts-
gebiet (Rechtsbruch) oder in widerrechtlicher Beſitzſtörung eines andern
States, ſo iſt der verletzte Stat berechtigt, nicht bloß Aufhebung des Un-
rechts und Wiederherſtellung des geſtörten Rechts- oder Beſitzſtandes bezie-
hungsweiſe Schadenserſatz zu begehren, ſondern überdem Genugthuung und
Sühne und je nach Umſtänden weitere Garantien gegen Erneuerung des
Rechtsbruchs zu fordern.
Der Rechtsbruch iſt eine ſchwerere Verletzung, als die bloße Nichterfüllung
und daher eher dem ſtrafbaren Unrecht der Privatperſonen zu vergleichen. Da es
aber im Völkerrechte keine eigentliche Strafgerichtsbarkeit gibt, ſondern die Selbſthülfe
des Völkerrechts noch auf derſelben Stufe ſich befindet, wie die alte Rache der in
ihrem Frieden verletzten Barbaren, ſo muß die Beſtimmung der Sühne großen-
theils dem Ermeſſen des verletzten States und den Verhandlungen mit dem Ver-
letzer überlaſſen werden.
465.
Wird der Rechtsbruch bis zu gewaltſamem Friedensbruch geſteigert,
ſo wird auch das Recht des verletzten States auf Züchtigung des Friede-
brechers erweitert.
Zwiſchen Rechtsbruch und Friedensbruch beſteht ein ähnlicher Unter-
ſchied, wie zwiſchen Vergehen und Verbrechen im Strafrecht, der ſchwer zu definiren
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/282>, abgerufen am 26.11.2024.
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