abredung auf. Wenn dagegen ein Waffenstillstand auf unbestimmte Zeit ab- geschlossen worden ist, so überwiegt hier die friedliche Stimmung so sehr und ähnelt derselbe dem Frieden so sehr, daß hier eine brüske Erneuerung des Kampfes unstatt- haft ist.
695.
Wenn eine Partei die selbstverständlichen oder die ausdrücklichen Bedingungen der Waffenruhe oder des Waffenstillstandes mißachtet und denselben zuwiderhandelt, so ist auch die Gegenpartei nicht weiter an die Uebereinkunft gebunden und kann den Krieg auch ohne vorherige Kün- digung erneuern und fortsetzen, es wäre denn, daß der Vertrag anders bestimmte.
Diese Regel folgt aus der Natur des Waffenstillstands, welcher nur Hemmung des Kriegs ist. Wenn eine Partei während desselben Handlungen der Feindselig- keit begeht, so bricht sie den Waffenstillstand, und hat daher kein Recht mehr zu erwarten, daß der Gegner seinerseits den Fortbestand desselben achte. Freilich kann diese Regel leicht mißbraucht werden. Die Frage nämlich, ob eine Partei durch irgend eine Maßregel den Waffenstillstand gebrochen habe, kann zweifel- haft sein; und da es keinen unparteiischen Richter gibt, welcher dieselbe rechtskräftig entscheidet, so kann eine Partei, welche den Krieg zu erneuern wünscht, die Klage, daß die andere Partei zuvor den Waffenstillstand gebrochen habe, zum Vorwande nehmen, um ihren Vertragsbruch zu verdecken. Die öffentliche Meinung, welche bis- her allein in solchen Fällen zu Gericht sitzt, hält sich an das Erforderniß der bona fides.
696.
Die Verletzung der Waffenruhe oder des Waffenstillstandes durch eine Privatperson, welche ohne Statsauftrag handelt und deren Handlung auch nicht von der Kriegsgewalt gutgeheißen oder begünstigt wird, recht- fertigt nur die Forderung ihrer Bestrafung und der Entschädigung, aber nicht die sofortige Erneuerung der Feindseligkeiten.
Auch wenn die Staten, beziehungsweise ihre Heere den Waffenstillstand ernst- lich und treu halten wollen, so können doch Private, vielleicht in der Absicht den Krieg wieder zu entzünden, Handlungen der Feindseligkeit begehn, z. B. einen Raubzug unternehmen, Gefangene machen und wegschleppen, einzelne Feinde tödten u. s. f. Für derlei Handlungen wird der Stat nur insofern verant- wortlich, als er sie entweder hervorruft oder schützt und obwohl er es sollte, nicht
Achtes Buch.
abredung auf. Wenn dagegen ein Waffenſtillſtand auf unbeſtimmte Zeit ab- geſchloſſen worden iſt, ſo überwiegt hier die friedliche Stimmung ſo ſehr und ähnelt derſelbe dem Frieden ſo ſehr, daß hier eine brüske Erneuerung des Kampfes unſtatt- haft iſt.
695.
Wenn eine Partei die ſelbſtverſtändlichen oder die ausdrücklichen Bedingungen der Waffenruhe oder des Waffenſtillſtandes mißachtet und denſelben zuwiderhandelt, ſo iſt auch die Gegenpartei nicht weiter an die Uebereinkunft gebunden und kann den Krieg auch ohne vorherige Kün- digung erneuern und fortſetzen, es wäre denn, daß der Vertrag anders beſtimmte.
Dieſe Regel folgt aus der Natur des Waffenſtillſtands, welcher nur Hemmung des Kriegs iſt. Wenn eine Partei während desſelben Handlungen der Feindſelig- keit begeht, ſo bricht ſie den Waffenſtillſtand, und hat daher kein Recht mehr zu erwarten, daß der Gegner ſeinerſeits den Fortbeſtand desſelben achte. Freilich kann dieſe Regel leicht mißbraucht werden. Die Frage nämlich, ob eine Partei durch irgend eine Maßregel den Waffenſtillſtand gebrochen habe, kann zweifel- haft ſein; und da es keinen unparteiiſchen Richter gibt, welcher dieſelbe rechtskräftig entſcheidet, ſo kann eine Partei, welche den Krieg zu erneuern wünſcht, die Klage, daß die andere Partei zuvor den Waffenſtillſtand gebrochen habe, zum Vorwande nehmen, um ihren Vertragsbruch zu verdecken. Die öffentliche Meinung, welche bis- her allein in ſolchen Fällen zu Gericht ſitzt, hält ſich an das Erforderniß der bona fides.
696.
Die Verletzung der Waffenruhe oder des Waffenſtillſtandes durch eine Privatperſon, welche ohne Statsauftrag handelt und deren Handlung auch nicht von der Kriegsgewalt gutgeheißen oder begünſtigt wird, recht- fertigt nur die Forderung ihrer Beſtrafung und der Entſchädigung, aber nicht die ſofortige Erneuerung der Feindſeligkeiten.
Auch wenn die Staten, beziehungsweiſe ihre Heere den Waffenſtillſtand ernſt- lich und treu halten wollen, ſo können doch Private, vielleicht in der Abſicht den Krieg wieder zu entzünden, Handlungen der Feindſeligkeit begehn, z. B. einen Raubzug unternehmen, Gefangene machen und wegſchleppen, einzelne Feinde tödten u. ſ. f. Für derlei Handlungen wird der Stat nur inſofern verant- wortlich, als er ſie entweder hervorruft oder ſchützt und obwohl er es ſollte, nicht
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Achtes Buch.
abredung auf. Wenn dagegen ein Waffenſtillſtand auf unbeſtimmte Zeit ab-
geſchloſſen worden iſt, ſo überwiegt hier die friedliche Stimmung ſo ſehr und ähnelt
derſelbe dem Frieden ſo ſehr, daß hier eine brüske Erneuerung des Kampfes unſtatt-
haft iſt.
695.
Wenn eine Partei die ſelbſtverſtändlichen oder die ausdrücklichen
Bedingungen der Waffenruhe oder des Waffenſtillſtandes mißachtet und
denſelben zuwiderhandelt, ſo iſt auch die Gegenpartei nicht weiter an die
Uebereinkunft gebunden und kann den Krieg auch ohne vorherige Kün-
digung erneuern und fortſetzen, es wäre denn, daß der Vertrag anders
beſtimmte.
Dieſe Regel folgt aus der Natur des Waffenſtillſtands, welcher nur Hemmung
des Kriegs iſt. Wenn eine Partei während desſelben Handlungen der Feindſelig-
keit begeht, ſo bricht ſie den Waffenſtillſtand, und hat daher kein Recht
mehr zu erwarten, daß der Gegner ſeinerſeits den Fortbeſtand desſelben achte.
Freilich kann dieſe Regel leicht mißbraucht werden. Die Frage nämlich, ob eine
Partei durch irgend eine Maßregel den Waffenſtillſtand gebrochen habe, kann zweifel-
haft ſein; und da es keinen unparteiiſchen Richter gibt, welcher dieſelbe rechtskräftig
entſcheidet, ſo kann eine Partei, welche den Krieg zu erneuern wünſcht, die Klage,
daß die andere Partei zuvor den Waffenſtillſtand gebrochen habe, zum Vorwande
nehmen, um ihren Vertragsbruch zu verdecken. Die öffentliche Meinung, welche bis-
her allein in ſolchen Fällen zu Gericht ſitzt, hält ſich an das Erforderniß der
bona fides.
696.
Die Verletzung der Waffenruhe oder des Waffenſtillſtandes durch
eine Privatperſon, welche ohne Statsauftrag handelt und deren Handlung
auch nicht von der Kriegsgewalt gutgeheißen oder begünſtigt wird, recht-
fertigt nur die Forderung ihrer Beſtrafung und der Entſchädigung, aber
nicht die ſofortige Erneuerung der Feindſeligkeiten.
Auch wenn die Staten, beziehungsweiſe ihre Heere den Waffenſtillſtand ernſt-
lich und treu halten wollen, ſo können doch Private, vielleicht in der Abſicht
den Krieg wieder zu entzünden, Handlungen der Feindſeligkeit begehn,
z. B. einen Raubzug unternehmen, Gefangene machen und wegſchleppen, einzelne
Feinde tödten u. ſ. f. Für derlei Handlungen wird der Stat nur inſofern verant-
wortlich, als er ſie entweder hervorruft oder ſchützt und obwohl er es ſollte, nicht
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/400>, abgerufen am 21.11.2024.
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