den erneuerten Frieden anerkannt wird. Soweit also eine thatsächliche Umge- staltung der Dinge unangefochten fortdauert, soweit gilt der status quo post bellum res sunt. Abgesehen davon aber ist der status quo ante bel- lum res fuerunt als maßgebend zu betrachten.
701.
Der Krieg kann durch Unterwerfung des besiegten Feindes unter den Sieger beendigt werden. Bleibt die besiegte Partei auch nachher noch als Stat fortbestehen, so werden die auferlegten Friedensbedingungen wie ein Friedensvertrag betrachtet. Hört dieselbe auf, ein Stat für sich zu sein, so kommen die Grundsätze der Erweiterung des Statsgebiets bezie- hungsweise der Vereinigung verschiedener Statsgebiete zur Anwendung. Die Eroberung begründet erst in Folge der Ergebung oder des Friedens- vertrages einen neuen friedlichen Rechtszustand.
Vgl. oben zu § 287. 289.
702.
Der Sieger kann in Folge der Unterwerfung des Besiegten keine andere Rechte über Land und Leute erwerben, als welche in der Natur der Statsgewalt und der öffentlichen Rechtsordnung ihre Begründung und Schranke finden. Die Statsgewalt geht auf ihn über, aber nicht mehr als die Statsgewalt.
Es folgt das aus dem heutigen Begriffe des Stats, welcher nicht absolute Gewalt über Personen und Eigenthum bedeutet, sondern nur öffentlich-rechtliche und insofern verfassungsmäßige Gewalt. Die Privatpersonen und ihre Familien haben eine Existenz für sich, über welche der Stat nicht willkürlich ver- fügen darf. Ebenso ist die Kirche nicht Statssache. Das Alterthum dachte darüber anders, wie auch die alt-römische Deditionsformel zeigt: LiviusI. 37. "Rex interrogativ: Estisne vos legati oratoresqus missi a populo Collatino, ut vos populumque Collatinum dederitis? Sumus. Estne populus Collatinus in sua potestate? Est. Deditisne nos, populum Collatinum, urbem, agros, aquam, terminos, delubra, utensilia, divina, humanaque omnia in meam po- pulique Romani deditionem? Dedimus. At ego recipio". Der antike Stats- begriff ist allumfassend und absolut. Der moderne Statsbegriff dagegen ist im Gegensatz zu der Kirche auf die politische Volksgemeinschaft und mit Beachtung des Privatrechts und der Privatfreiheit auf das öffentliche Recht beschränkt, also relativ. Vgl. Bluntschli Allg. Statsrecht S. 51. 64.
Das Kriegsrecht.
den erneuerten Frieden anerkannt wird. Soweit alſo eine thatſächliche Umge- ſtaltung der Dinge unangefochten fortdauert, ſoweit gilt der status quo post bellum res sunt. Abgeſehen davon aber iſt der status quo ante bel- lum res fuerunt als maßgebend zu betrachten.
701.
Der Krieg kann durch Unterwerfung des beſiegten Feindes unter den Sieger beendigt werden. Bleibt die beſiegte Partei auch nachher noch als Stat fortbeſtehen, ſo werden die auferlegten Friedensbedingungen wie ein Friedensvertrag betrachtet. Hört dieſelbe auf, ein Stat für ſich zu ſein, ſo kommen die Grundſätze der Erweiterung des Statsgebiets bezie- hungsweiſe der Vereinigung verſchiedener Statsgebiete zur Anwendung. Die Eroberung begründet erſt in Folge der Ergebung oder des Friedens- vertrages einen neuen friedlichen Rechtszuſtand.
Vgl. oben zu § 287. 289.
702.
Der Sieger kann in Folge der Unterwerfung des Beſiegten keine andere Rechte über Land und Leute erwerben, als welche in der Natur der Statsgewalt und der öffentlichen Rechtsordnung ihre Begründung und Schranke finden. Die Statsgewalt geht auf ihn über, aber nicht mehr als die Statsgewalt.
Es folgt das aus dem heutigen Begriffe des Stats, welcher nicht abſolute Gewalt über Perſonen und Eigenthum bedeutet, ſondern nur öffentlich-rechtliche und inſofern verfaſſungsmäßige Gewalt. Die Privatperſonen und ihre Familien haben eine Exiſtenz für ſich, über welche der Stat nicht willkürlich ver- fügen darf. Ebenſo iſt die Kirche nicht Statsſache. Das Alterthum dachte darüber anders, wie auch die alt-römiſche Deditionsformel zeigt: LiviusI. 37. „Rex interrogativ: Estisne vos legati oratoresqus missi a populo Collatino, ut vos populumque Collatinum dederitis? Sumus. Estne populus Collatinus in sua potestate? Est. Deditisne nos, populum Collatinum, urbem, agros, aquam, terminos, delubra, utensilia, divina, humanaque omnia in meam po- pulique Romani deditionem? Dedimus. At ego recipio“. Der antike Stats- begriff iſt allumfaſſend und abſolut. Der moderne Statsbegriff dagegen iſt im Gegenſatz zu der Kirche auf die politiſche Volksgemeinſchaft und mit Beachtung des Privatrechts und der Privatfreiheit auf das öffentliche Recht beſchränkt, alſo relativ. Vgl. Bluntſchli Allg. Statsrecht S. 51. 64.
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Das Kriegsrecht.
den erneuerten Frieden anerkannt wird. Soweit alſo eine thatſächliche Umge-
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bellum res sunt. Abgeſehen davon aber iſt der status quo ante bel-
lum res fuerunt als maßgebend zu betrachten.
701.
Der Krieg kann durch Unterwerfung des beſiegten Feindes unter
den Sieger beendigt werden. Bleibt die beſiegte Partei auch nachher noch
als Stat fortbeſtehen, ſo werden die auferlegten Friedensbedingungen wie
ein Friedensvertrag betrachtet. Hört dieſelbe auf, ein Stat für ſich zu
ſein, ſo kommen die Grundſätze der Erweiterung des Statsgebiets bezie-
hungsweiſe der Vereinigung verſchiedener Statsgebiete zur Anwendung.
Die Eroberung begründet erſt in Folge der Ergebung oder des Friedens-
vertrages einen neuen friedlichen Rechtszuſtand.
Vgl. oben zu § 287. 289.
702.
Der Sieger kann in Folge der Unterwerfung des Beſiegten keine
andere Rechte über Land und Leute erwerben, als welche in der Natur
der Statsgewalt und der öffentlichen Rechtsordnung ihre Begründung und
Schranke finden. Die Statsgewalt geht auf ihn über, aber nicht mehr
als die Statsgewalt.
Es folgt das aus dem heutigen Begriffe des Stats, welcher nicht abſolute
Gewalt über Perſonen und Eigenthum bedeutet, ſondern nur öffentlich-rechtliche
und inſofern verfaſſungsmäßige Gewalt. Die Privatperſonen und ihre
Familien haben eine Exiſtenz für ſich, über welche der Stat nicht willkürlich ver-
fügen darf. Ebenſo iſt die Kirche nicht Statsſache. Das Alterthum dachte darüber
anders, wie auch die alt-römiſche Deditionsformel zeigt: Livius I. 37.
„Rex interrogativ: Estisne vos legati oratoresqus missi a populo Collatino,
ut vos populumque Collatinum dederitis? Sumus. Estne populus Collatinus
in sua potestate? Est. Deditisne nos, populum Collatinum, urbem, agros,
aquam, terminos, delubra, utensilia, divina, humanaque omnia in meam po-
pulique Romani deditionem? Dedimus. At ego recipio“. Der antike Stats-
begriff iſt allumfaſſend und abſolut. Der moderne Statsbegriff
dagegen iſt im Gegenſatz zu der Kirche auf die politiſche Volksgemeinſchaft und mit
Beachtung des Privatrechts und der Privatfreiheit auf das öffentliche Recht
beſchränkt, alſo relativ. Vgl. Bluntſchli Allg. Statsrecht S. 51. 64.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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