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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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bestimmung, sondern mit der Existenz des besiegten Stats selbst auch dessen ganze
Verfassung zerstört. Die Noth zwingt daher, unter Umständen trotz jenes statsrecht-
lichen Hindernisses die Abtretung zu vollziehen, und das Völkerrecht erkennt diesen
Vollzug als nothwendig und demgemäß als rechtmäßig an, im Interesse der
Beendigung des Kriegs und der Herstellung des Friedens.

707.

Die Abtretung gibt der erwerbenden Statsgewalt alle Rechte, welche
die abtretende Statsgewalt gehabt hat, aber nicht mehr Rechte.

Das öffentliche Recht der Bevölkerung und des Landes wird durch
die Abtretung nicht aufgehoben, sondern nur insofern und insoweit geän-
dert, als der neue Verband mit einem andern Stat eine Aenderung nöthig
macht. Im Uebrigen dauert es fort.

Vgl. oben § 701. 702. Die Versetzung der Centralgewalt an eine andere
Stelle und die Verbindung des abgetretenen Gebiets mit einem andern State sind
freilich so entscheidende Umgestaltungen, daß sie gewöhnlich eine gründliche und weit
wirkende Veränderung der Verfassung in jenem Gebiete nach sich ziehen. Immer
ist hier der Uebergang aus dem einen Recht in das andere schwierig und kaum
anders, als durch eine vorübergehende Ausnahmsgewalt (Dictatur) der
erwerbenden Statsgewalt auszugleichen. Das Völkerrecht spricht nur die Regel aus,
daß nicht das bisherige öffentliche Recht (in Gemeinden, Körperschaften, Aemtern,
Gerichten, politischen Freiheiten u. s. f.) durch den bloßen Act der Abtretung erlösche,
sondern daß dasselbe im Gegentheil, soweit die Einheit des neuen Statenverbands
und die Nothwendigkeit der öffentlichen Verhältnisse es verstatten, erhalten bleibe.
Die Vermuthung spricht für die Fortdauer, die Umänderung bedarf
einer Anordnung der neuen Statsgewalt.

708.

Der Friedensschluß beendigt mit dem Kriege auch den bisherigen
Rechtsstreit unter den kriegführenden Staten. Es dürfen nach demselben
keine weitern Feindseligkeiten geübt werden. Die Wirksamkeit des Kriegs-
rechts hört auf und das Friedensrecht tritt wieder ein.

1. Der Friede beendigt auch dann den Rechtsstreit, welcher zum Kriege
geführt hat, wenn er über denselben keine ausdrückliche Entscheidung trifft. Die
anfängliche Beschwerde darf nicht nochmals zur Ursache eines zweiten Kriegs gemacht
werden. Vgl. unten 709. 713. Wheaton Int. Law. § 544.

2. Die Beendigung des Kriegsrechts muß sofort eintreten, insoweit dasselbe
zu feindlichen Handlungen ermächtigt. Aber es können nicht ebenso auf den

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beſtimmung, ſondern mit der Exiſtenz des beſiegten Stats ſelbſt auch deſſen ganze
Verfaſſung zerſtört. Die Noth zwingt daher, unter Umſtänden trotz jenes ſtatsrecht-
lichen Hinderniſſes die Abtretung zu vollziehen, und das Völkerrecht erkennt dieſen
Vollzug als nothwendig und demgemäß als rechtmäßig an, im Intereſſe der
Beendigung des Kriegs und der Herſtellung des Friedens.

707.

Die Abtretung gibt der erwerbenden Statsgewalt alle Rechte, welche
die abtretende Statsgewalt gehabt hat, aber nicht mehr Rechte.

Das öffentliche Recht der Bevölkerung und des Landes wird durch
die Abtretung nicht aufgehoben, ſondern nur inſofern und inſoweit geän-
dert, als der neue Verband mit einem andern Stat eine Aenderung nöthig
macht. Im Uebrigen dauert es fort.

Vgl. oben § 701. 702. Die Verſetzung der Centralgewalt an eine andere
Stelle und die Verbindung des abgetretenen Gebiets mit einem andern State ſind
freilich ſo entſcheidende Umgeſtaltungen, daß ſie gewöhnlich eine gründliche und weit
wirkende Veränderung der Verfaſſung in jenem Gebiete nach ſich ziehen. Immer
iſt hier der Uebergang aus dem einen Recht in das andere ſchwierig und kaum
anders, als durch eine vorübergehende Ausnahmsgewalt (Dictatur) der
erwerbenden Statsgewalt auszugleichen. Das Völkerrecht ſpricht nur die Regel aus,
daß nicht das bisherige öffentliche Recht (in Gemeinden, Körperſchaften, Aemtern,
Gerichten, politiſchen Freiheiten u. ſ. f.) durch den bloßen Act der Abtretung erlöſche,
ſondern daß dasſelbe im Gegentheil, ſoweit die Einheit des neuen Statenverbands
und die Nothwendigkeit der öffentlichen Verhältniſſe es verſtatten, erhalten bleibe.
Die Vermuthung ſpricht für die Fortdauer, die Umänderung bedarf
einer Anordnung der neuen Statsgewalt.

708.

Der Friedensſchluß beendigt mit dem Kriege auch den bisherigen
Rechtsſtreit unter den kriegführenden Staten. Es dürfen nach demſelben
keine weitern Feindſeligkeiten geübt werden. Die Wirkſamkeit des Kriegs-
rechts hört auf und das Friedensrecht tritt wieder ein.

1. Der Friede beendigt auch dann den Rechtsſtreit, welcher zum Kriege
geführt hat, wenn er über denſelben keine ausdrückliche Entſcheidung trifft. Die
anfängliche Beſchwerde darf nicht nochmals zur Urſache eines zweiten Kriegs gemacht
werden. Vgl. unten 709. 713. Wheaton Int. Law. § 544.

2. Die Beendigung des Kriegsrechts muß ſofort eintreten, inſoweit dasſelbe
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[384/0406] Achtes Buch. beſtimmung, ſondern mit der Exiſtenz des beſiegten Stats ſelbſt auch deſſen ganze Verfaſſung zerſtört. Die Noth zwingt daher, unter Umſtänden trotz jenes ſtatsrecht- lichen Hinderniſſes die Abtretung zu vollziehen, und das Völkerrecht erkennt dieſen Vollzug als nothwendig und demgemäß als rechtmäßig an, im Intereſſe der Beendigung des Kriegs und der Herſtellung des Friedens. 707. Die Abtretung gibt der erwerbenden Statsgewalt alle Rechte, welche die abtretende Statsgewalt gehabt hat, aber nicht mehr Rechte. Das öffentliche Recht der Bevölkerung und des Landes wird durch die Abtretung nicht aufgehoben, ſondern nur inſofern und inſoweit geän- dert, als der neue Verband mit einem andern Stat eine Aenderung nöthig macht. Im Uebrigen dauert es fort. Vgl. oben § 701. 702. Die Verſetzung der Centralgewalt an eine andere Stelle und die Verbindung des abgetretenen Gebiets mit einem andern State ſind freilich ſo entſcheidende Umgeſtaltungen, daß ſie gewöhnlich eine gründliche und weit wirkende Veränderung der Verfaſſung in jenem Gebiete nach ſich ziehen. Immer iſt hier der Uebergang aus dem einen Recht in das andere ſchwierig und kaum anders, als durch eine vorübergehende Ausnahmsgewalt (Dictatur) der erwerbenden Statsgewalt auszugleichen. Das Völkerrecht ſpricht nur die Regel aus, daß nicht das bisherige öffentliche Recht (in Gemeinden, Körperſchaften, Aemtern, Gerichten, politiſchen Freiheiten u. ſ. f.) durch den bloßen Act der Abtretung erlöſche, ſondern daß dasſelbe im Gegentheil, ſoweit die Einheit des neuen Statenverbands und die Nothwendigkeit der öffentlichen Verhältniſſe es verſtatten, erhalten bleibe. Die Vermuthung ſpricht für die Fortdauer, die Umänderung bedarf einer Anordnung der neuen Statsgewalt. 708. Der Friedensſchluß beendigt mit dem Kriege auch den bisherigen Rechtsſtreit unter den kriegführenden Staten. Es dürfen nach demſelben keine weitern Feindſeligkeiten geübt werden. Die Wirkſamkeit des Kriegs- rechts hört auf und das Friedensrecht tritt wieder ein. 1. Der Friede beendigt auch dann den Rechtsſtreit, welcher zum Kriege geführt hat, wenn er über denſelben keine ausdrückliche Entſcheidung trifft. Die anfängliche Beſchwerde darf nicht nochmals zur Urſache eines zweiten Kriegs gemacht werden. Vgl. unten 709. 713. Wheaton Int. Law. § 544. 2. Die Beendigung des Kriegsrechts muß ſofort eintreten, inſoweit dasſelbe zu feindlichen Handlungen ermächtigt. Aber es können nicht ebenſo auf den

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/406>, abgerufen am 22.11.2024.