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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Achtes Buch.
Fischern an den englischen Küsten in Amerika die Fischerei auszuüben, und auch die
unbesetzten Buchten und Häfen zu benutzen. In dem Frieden von Gent von 1814
war dieser Vertrag mit Stillschweigen übergangen worden. Die englische Regie-
rung behauptete nun, daß durch den Krieg jenes Zugeständniß, das die Natur
eines Privilegiums habe, erloschen und im Frieden nicht wieder erneuert worden
sei. Die Regierung der Vereinigten Staten dagegen behauptete, daß jener Vertrag
nur einen ältern bestehenden Rechtszustand anerkannt und nicht singu-
läres Recht geschaffen habe und daher auch nicht im Krieg untergegangen, vielmehr
im Frieden zu ungehemmter Wirksamkeit gelangt sei. Schließlich wurde in dem
Vertrag von 1818 der Streit dadurch ausgeglichen, daß innerhalb bestimmter geo-
graphischer Grenzen die Fischerei an der englischen Küste in Amerika den Fischern
aus den Vereinigten Staten gestattet wurde. Vgl. die ausführliche Darstellung bei
Wheaton, Intern. Law. § 269 -- 274.

3. Sollen die früheren Verträge definitiv außer Wirksamkeit bleiben, so müs-
sen dafür besondere Gründe angeführt werden.

Solche Gründe sind:

a) daß ihr Inhalt mit den Friedensbestimmungen nicht vereinbar sei.
Z. B. Aeltere Grenzverträge
gelten fort, insofern die Grenze
durch den Frieden nicht verändert worden ist und sind erloschen, soweit
die Grenze eine andere geworden ist;
b) daß der frühere Vertrag der Natur der Sache durch den Krieg nicht bloß
in seiner Wirksamkeit gehemmt, sondern aufgelöst worden sei.
Z. B. Ein Allianzvertrag zwischen den beiden Staten, welche sich
bekriegt und durch den Krieg die Allianz gelöst haben. Es bedarf eines
neuen Vertrags, wenn der alte Vertrag zerstört ist, und es genügt nicht
die Beseitigung des Hindernisses seiner Wirksamkeit.

Heffter § 181 fügt bei: "Vertragsverpflichtungen, deren Erfüllung erst noch
in Zukunft geschehen sollte, wo also noch eine Willensänderung in Betreff der
übernommenen Verpflichtung möglich war". Ich sehe den Grund dafür nicht ein;
denn der abgeschlossene Vertrag gilt fort, auch wenn der Wille eines Contrahenten
sich ändern sollte. Wenn z. B. der Stat A mit dem Stat B einen Vertrag schloß
über gemeinsame Herstellung einer Eisenbahn oder Brücke, und bevor der Bau voll-
zogen ist, ein Krieg zwischen ihnen ausbricht, so wird die Ausführung wohl während
des Kriegs gehemmt, aber es steht der Erfüllung im wieder gewonnenen Frieden
Nichts mehr im Wege. Nur die Zeitfrist wird mit Rücksicht auf die in Abrech-
nung fallende Zeit des Kriegs erstreckt werden müssen.

719.

Wird in dem Friedensvertrage die Rückgabe des im Kriege ein-
genommenen Gebietes versprochen, so wird als Meinung der Vertrags-
parteien angenommen, daß das Rechtsverhältniß der Gebietshoheit wieder
anerkannt sei, wie es vor der feindlichen Besitznahme gewesen war, und

Achtes Buch.
Fiſchern an den engliſchen Küſten in Amerika die Fiſcherei auszuüben, und auch die
unbeſetzten Buchten und Häfen zu benutzen. In dem Frieden von Gent von 1814
war dieſer Vertrag mit Stillſchweigen übergangen worden. Die engliſche Regie-
rung behauptete nun, daß durch den Krieg jenes Zugeſtändniß, das die Natur
eines Privilegiums habe, erloſchen und im Frieden nicht wieder erneuert worden
ſei. Die Regierung der Vereinigten Staten dagegen behauptete, daß jener Vertrag
nur einen ältern beſtehenden Rechtszuſtand anerkannt und nicht ſingu-
läres Recht geſchaffen habe und daher auch nicht im Krieg untergegangen, vielmehr
im Frieden zu ungehemmter Wirkſamkeit gelangt ſei. Schließlich wurde in dem
Vertrag von 1818 der Streit dadurch ausgeglichen, daß innerhalb beſtimmter geo-
graphiſcher Grenzen die Fiſcherei an der engliſchen Küſte in Amerika den Fiſchern
aus den Vereinigten Staten geſtattet wurde. Vgl. die ausführliche Darſtellung bei
Wheaton, Intern. Law. § 269 — 274.

3. Sollen die früheren Verträge definitiv außer Wirkſamkeit bleiben, ſo müſ-
ſen dafür beſondere Gründe angeführt werden.

Solche Gründe ſind:

a) daß ihr Inhalt mit den Friedensbeſtimmungen nicht vereinbar ſei.
Z. B. Aeltere Grenzverträge
gelten fort, inſofern die Grenze
durch den Frieden nicht verändert worden iſt und ſind erloſchen, ſoweit
die Grenze eine andere geworden iſt;
b) daß der frühere Vertrag der Natur der Sache durch den Krieg nicht bloß
in ſeiner Wirkſamkeit gehemmt, ſondern aufgelöst worden ſei.
Z. B. Ein Allianzvertrag zwiſchen den beiden Staten, welche ſich
bekriegt und durch den Krieg die Allianz gelöst haben. Es bedarf eines
neuen Vertrags, wenn der alte Vertrag zerſtört iſt, und es genügt nicht
die Beſeitigung des Hinderniſſes ſeiner Wirkſamkeit.

Heffter § 181 fügt bei: „Vertragsverpflichtungen, deren Erfüllung erſt noch
in Zukunft geſchehen ſollte, wo alſo noch eine Willensänderung in Betreff der
übernommenen Verpflichtung möglich war“. Ich ſehe den Grund dafür nicht ein;
denn der abgeſchloſſene Vertrag gilt fort, auch wenn der Wille eines Contrahenten
ſich ändern ſollte. Wenn z. B. der Stat A mit dem Stat B einen Vertrag ſchloß
über gemeinſame Herſtellung einer Eiſenbahn oder Brücke, und bevor der Bau voll-
zogen iſt, ein Krieg zwiſchen ihnen ausbricht, ſo wird die Ausführung wohl während
des Kriegs gehemmt, aber es ſteht der Erfüllung im wieder gewonnenen Frieden
Nichts mehr im Wege. Nur die Zeitfriſt wird mit Rückſicht auf die in Abrech-
nung fallende Zeit des Kriegs erſtreckt werden müſſen.

719.

Wird in dem Friedensvertrage die Rückgabe des im Kriege ein-
genommenen Gebietes verſprochen, ſo wird als Meinung der Vertrags-
parteien angenommen, daß das Rechtsverhältniß der Gebietshoheit wieder
anerkannt ſei, wie es vor der feindlichen Beſitznahme geweſen war, und

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[390/0412] Achtes Buch. Fiſchern an den engliſchen Küſten in Amerika die Fiſcherei auszuüben, und auch die unbeſetzten Buchten und Häfen zu benutzen. In dem Frieden von Gent von 1814 war dieſer Vertrag mit Stillſchweigen übergangen worden. Die engliſche Regie- rung behauptete nun, daß durch den Krieg jenes Zugeſtändniß, das die Natur eines Privilegiums habe, erloſchen und im Frieden nicht wieder erneuert worden ſei. Die Regierung der Vereinigten Staten dagegen behauptete, daß jener Vertrag nur einen ältern beſtehenden Rechtszuſtand anerkannt und nicht ſingu- läres Recht geſchaffen habe und daher auch nicht im Krieg untergegangen, vielmehr im Frieden zu ungehemmter Wirkſamkeit gelangt ſei. Schließlich wurde in dem Vertrag von 1818 der Streit dadurch ausgeglichen, daß innerhalb beſtimmter geo- graphiſcher Grenzen die Fiſcherei an der engliſchen Küſte in Amerika den Fiſchern aus den Vereinigten Staten geſtattet wurde. Vgl. die ausführliche Darſtellung bei Wheaton, Intern. Law. § 269 — 274. 3. Sollen die früheren Verträge definitiv außer Wirkſamkeit bleiben, ſo müſ- ſen dafür beſondere Gründe angeführt werden. Solche Gründe ſind: a) daß ihr Inhalt mit den Friedensbeſtimmungen nicht vereinbar ſei. Z. B. Aeltere Grenzverträge gelten fort, inſofern die Grenze durch den Frieden nicht verändert worden iſt und ſind erloſchen, ſoweit die Grenze eine andere geworden iſt; b) daß der frühere Vertrag der Natur der Sache durch den Krieg nicht bloß in ſeiner Wirkſamkeit gehemmt, ſondern aufgelöst worden ſei. Z. B. Ein Allianzvertrag zwiſchen den beiden Staten, welche ſich bekriegt und durch den Krieg die Allianz gelöst haben. Es bedarf eines neuen Vertrags, wenn der alte Vertrag zerſtört iſt, und es genügt nicht die Beſeitigung des Hinderniſſes ſeiner Wirkſamkeit. Heffter § 181 fügt bei: „Vertragsverpflichtungen, deren Erfüllung erſt noch in Zukunft geſchehen ſollte, wo alſo noch eine Willensänderung in Betreff der übernommenen Verpflichtung möglich war“. Ich ſehe den Grund dafür nicht ein; denn der abgeſchloſſene Vertrag gilt fort, auch wenn der Wille eines Contrahenten ſich ändern ſollte. Wenn z. B. der Stat A mit dem Stat B einen Vertrag ſchloß über gemeinſame Herſtellung einer Eiſenbahn oder Brücke, und bevor der Bau voll- zogen iſt, ein Krieg zwiſchen ihnen ausbricht, ſo wird die Ausführung wohl während des Kriegs gehemmt, aber es ſteht der Erfüllung im wieder gewonnenen Frieden Nichts mehr im Wege. Nur die Zeitfriſt wird mit Rückſicht auf die in Abrech- nung fallende Zeit des Kriegs erſtreckt werden müſſen. 719. Wird in dem Friedensvertrage die Rückgabe des im Kriege ein- genommenen Gebietes verſprochen, ſo wird als Meinung der Vertrags- parteien angenommen, daß das Rechtsverhältniß der Gebietshoheit wieder anerkannt ſei, wie es vor der feindlichen Beſitznahme geweſen war, und

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/412>, abgerufen am 22.11.2024.